Rezension Rezension (3/5*) zu Die Mauer: Roman von John Lanchester.

KrimiElse

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26. Januar 2019
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buchmafia.blogspot.com
Dystopisch

Der Autor John Lancaster schrieb seinen fünften, diesmal dystopischen Roman „Die Mauer“. Es geht um Abgrenzung und Ausgrenzung von Klimaflüchtlingen, Bedrohungen von außen und aus den eigenen Reihen, Schuldfragen der vorangegangenen Generationen in einem offenbar totalitäten System.

Der junge Joseph Kavanagh tritt seinen zweijährigen Dienst als Verteidiger der Mauer an. Er findet seinen Platz innerhalb seiner Einheit in soldatischer Manier, als Balanceakt zwischen Befehlskette und Gehorsam, Kameradschaft und der engeren Verbindung zu einer jungen Frau namens Hifa muss er agieren, während Trainingseinsätzen wird er auf den Ernstfall eines Angriffs durch die Anderen vorbereitet. Denn der Gegner ist äußerst gefährlich, da die Anderen nichts zu verlieren haben. Und der Preis ist hoch, wenn er versagt: Kavanagh wird verstoßen und selbst aufs Meer geschickt, wird selbst zum Anderen.

Kavanagh beschäftigt sich zu Beginn des Romans mit diesem monströsen Bauwerk Mauer, seiner Kälte, seiner Größe, seiner Ödnis und Langeweile. Zunächst ist nicht klar, wo die Mauer steht, es könnte jeder beliebige Befestigungswall sein, verbunden mit der unendlichen Langeweile und Kälte, die mit dem 12-stündigen Starren auf Meer innerhalb einer Schicht zwangsläufig aufkommt. Man denkt unwillkürlich an „Game of Thrones“ von George R.R.Martin, an Franz Kafka „Das Schloß“ oder sogar auch an den Römischen Limes oder die Berliner Mauer. Flach, knapp und kalt ist die hier Sprache gehalten, offenbar gewollt platt, wenige kalte Wörter werden zu Bildern oder zum Haiku angeordnet, und vermitteln dadurch sehr eindringlich ein Gefühl für die Kälte, die den Tod auf der Mauer bedeuten kann, für die Sinnlosigkeit und und die Geringschätzung der Menschlichkeit. Dieser Beginn ist übrigens für mich der beste Teil am ganzen Buch.

John Lancaster hat ein Buch geschrieben, das zum einen dystopisch ist, zum anderen eine ziemlich konkrete Vorlage für die Zukunft zeigen soll mit Blick auf momentane populistische und nationalistische Bewegungen. Haltungen statt Handlungen stehen im Vordergrund, konzeptionelle Fragen spielen eine große Rolle, wie übrigens in vielen berühmten Dystopien, weniger der Hintergrund und das Hinterfragen. Doch genau das stört mich auch am Buch. Es entwickelt sich zwar im Verlauf der Handlung zu einem durchaus spannenden Abenteuerroman, sofern man Abenteuer mit Armee-Hintergrund und Heldentum mag, aber die Charaktere sind mir viel zu blaß, zu wenig mit inneren Konflikten beschäftigt, die die Situationen zwangsläufig verlangen. Die Geschichte selbst ist zudem bar jeder Hintergrundinformation. Man liest wie ein Blinder und bekommt keinerlei Hinweise darauf, was den „Wandel“ bewirkte, worin die Schuld der vorangegangenen Generation besteht, ob sie überhaupt besteht oder ob dies nur ein jugendliches Rebellieren gegen die Eltern ist.
Natürlich könnte man als Leser Parallelen ziehen zur aktuellen klimatischen und politischen Situation, zur Zunahme der Abschottung gegenüber Flüchtlingen, zum sorglosen Umgang mit der globalen Erwärmung, aus der sich viele denkbare Katastrophen ergeben könnten, aber das Buch regt mich nicht dazu an, sondern ich habe das Gefühl, ich soll unbedingt blind bezüglich des großen Überblicks bleiben. Und das gefällt mir leider gar nicht.

Dem Buch wird große Aktualität bescheinigt, die für mich so nicht gut nachvollziehbar ist. Denn aktuell wird es erst durch die Besprechungen oder durch den Verlag mit Hinweisen auf Brexitdiskussionen, Abschottung und Klimawandel, mögliche apokalyptische Wandlungen, die angepasstes Handeln erfordern sollen, weniger durch die Handlung und die Geschichte selbst.
Soll ich aus dem Buch apokalyptische Vorstellungen einer möglichen Zukunft herauslesen und angstvoll mein Handeln anpassen? Ähnliche Dystopien totalitärer Systeme wie die vorliegende wurden bereits im vergangenen Jahrhundert geschrieben, im übrigen besser als hier mit sich konsequent durch die Geschichte ziehender Kälte, und die mich dadurch mehr bewegt haben.


 
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