Irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind und das Gesetz der Straße gilt: Hier wachsen Mimmo, Cristofaro und Celeste auf. Sie haben Träume und Hoffnungen, obwohl ihnen der kindliche Blick längst abhanden gekommen ist.
Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, betrügt seine Kunden mit einer präparierten Waage. Cristofaros Vater, ein Trinker, schlägt seinen Sohn jeden Abend. Und Celestes Mutter Carmela, die Prostituierte des Viertels, schickt ihre Tochter auf den Balkon, wenn sie ihre Freier empfängt.
Die drei Kinder haben ein Idol: Totò, Ganove, der besser schießt als jeder andere. Sie wollen so sein wie er, sie wissen nicht, dass auch Totò von einem anderen Leben träumt ...
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Der Borgo Vecchio ist ein Viertel gemäß Klappentext „irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind …“. Hier leben die drei Kinder, die im Mittelpunkt dieses kleinen, aber intensiven Romans stehen. Mimmo ist der Sohn des Metzgers Giovanni, dessen Waage die Kunden stets um ein paar Gramm betrügt. Celeste ist die Tochter der gut frequentierten Prostituierten Carmela. Celeste muss immer, wenn ihre Mutter Kundschaft hat, auf dem mitunter kalten, unwirtlichen Balkon ausharren – oft stundenlang. Cristofaro hat es am schlechtesten getroffen: Sein betrunkener Vater schlägt ihn regelmäßig dermaßen unkontrolliert, dass allgemein klar ist, dass der Junge dieses Martyrium nicht dauerhaft aushalten kann. Doch weder seine Mutter noch die Bewohner des Borgo schreiten ein:
„Im Borgo Vecchio wusste man, dass Cristofaro jeden Abend das Bier seines Vaters weinte. Wenn die Nachbarn nach dem Abendbrot vor dem Fernseher saßen, hörten sie sein Jaulen, das sämtliche Geräusche des Viertels verschluckte. Sie drehten den Ton leiser und lauschten.“ (S. 7/8)
Mimmo und Cristofaro sind enge Freunde. Der Held ihrer Kindheit ist Toto, der Räuber. Im Geheimen sinnieren sie darüber nach, wie viel Geld sie für einen Auftragsmord an Cristofaros Vater aufbringen müssten, den Toto für sie erledigen soll. Der Räuber wird für sie zum Wahrzeichen einer möglichen Befreiung.
„Toto kannte weder Regeln noch Grenzen, denn alles, was er am Tage stahl, wurde des Nachts wieder verprasst, für ihn hatten sich die Pforten der Hölle bereits geöffnet. All das klang für Cristofaro und Mimmo weit weniger bedrohlich denn verheißungsvoll“. (S. 74)
Toto ist also kein Robin Hood, wird aber im Zuge der Geschichte mit übermenschlichen Eigenschaften ausgestattet dargestellt, die ihn zunächst unverletzbar erscheinen lassen.
Ein wenig Freude zieht in das Leben der Kinder ein, als Giovanni das lahme Pferd Nana mitbringt, das später für ihn Rennen laufen und Geld einbringen soll. Die Jungen nehmen sich der Pflege des Tieres an und beziehen auch Celeste mit ein, die froh ist, auf diese Weise dem Balkon zu entkommen. Der Stall wird ein Zufluchtsort, das Pferd zum verständigen Vertrauten. Mimmo verliebt sich zärtlich in Celeste.
Das Borgo Vecchio ist eine heruntergekommene, freudlose Gegend, seine Bewohner sind gefühlsarm und hart. Es werden Episoden geschildert, die unglaublich brutal und trostlos sind. Sie wären in einer zivilisierten Gesellschaft so nicht vorstellbar. Immer wieder geht es um Sünde, um Strafe und Vergebung, die in biblischen, alttestamentarischen Ausmaßen über die Menschen kommen. Dem gegenüber stehen aber immer wieder herausragend poetisch formulierte Absätze, die einen Kontrast dazu bilden:
„Im Spinnennetz des Brotduftes blieb auch der heimkehrende Werftarbeiter hängen, (…). Als der Brotduft ihn erreichte, verwechselte er ihn mit dem Duft des Meeres, denn dort, wo das Ende der Straße zerflirrte und sich in blendendem Dunst verlor, sah er sich in einer Ahnung von Zukunft auf dem höchsten Deck eines frisch vom Stapel gelassenen Schiffes stehen, (…). (S. 48)
Toto, der Räuber nimmt im Zuge der Geschichte eine zentrale Rolle ein. Man wird als Leser immer wieder verunsichert, was real, was Traum oder gar Magie ist. Was ist Legende, was Wahrheit? Es gibt zahlreiche Bilder und Anspielungen. Wer gerne tüftelt und recherchiert, kommt voll auf seine Kosten. Zum Ende hin nimmt der Roman Fahrt auf, es kommt zum Showdown Gut gegen Böse. Langeweile gibt es nicht.
Dennoch blieb ich persönlich nach der Lektüre etwas ratlos zurück. Ich hätte so gerne gewusst, was der Autor, der schließlich einen wichtigen italienischen Literaturpreis gewonnen hat, mit diesem Werk aussagen will. Geht es ihm um das Anprangern von sozialen Missständen? Wie sind die zahlreichen biblischen Anspielungen zu verstehen? Wurde die Brutalität im Borgo Vecchio bewusst überzeichnet und wenn ja, warum? Vielleicht fehlen mir hier einfach profunde Kenntnisse über Italien und seine Schattenseiten.
Das Buch ist sprachlich und inhaltlich nicht einfach und sicher etwas für diesbezügliche Gourmets. Mich konnte es nicht vollkommen überzeugen, doch habe ich seine Stärken durchaus zu schätzen gewusst.
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