Rezension Rezension (3/5*) zu Die allertraurigste Geschichte von Ford Madox Ford.

MRO1975

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11. August 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die allertraurigste Geschichte von Ford Madox Ford
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Ein Meisterwerk? Ja - Nein - Vielleicht

Das Buch beginnt mit einem Brief des Autors an seine Frau Stella Ford. Der Autor berichtet ihr, wie der Roman entstanden ist. Es handelt sich angeblich um eine wahre Geschichte, die dem Autor von Hauptmann Edward Ashburnham selbst erzählt worden ist. Ursprünglich hieß der Roman „The saddest Story“. Da der Verleger meinte, unter diesem Titel sei der Roman in Kriegszeiten kaum verkäuflich, schlug der Autor im Scherz als Titel „The good Soldier“ vor. Unter diesem Titel wurde der Roman erstveröffentlicht. Der Diogenes-Verlag hat den Roman im Jahr 2018 neu, unter dem ursprünglichen Titel herausgebracht. Meiner Ansicht nach passen beide Titel mehr oder weniger gut. Die erzählte Geschichte ist weder die Allertraurigste, die ich je gehört oder gelesen habe, noch ist der in der Romanhandlung mitwirkende Hauptmann Edward Ashburnham ein guter Soldat. Derartige Falschbezeichnungen, Übertreibungen und Verwirrungen gehören indes zum Konzept dieses Romans, weshalb die Titel dennoch irgendwie passen.

Obwohl es sich also angeblich um eine wahre Geschichte handeln soll, wird sie uns von einem Ich-Erzähler erzählt, der mit dem Autor nicht identisch ist. Der Ich-Erzähler ist John Dowell, ein reicher Amerikaner, der ankündigt, die allertraurigste Geschichte erzählen zu wollen, die er je gehört hat. Schnell wird allerdings klar, das er die Geschichte nicht nur gehört, sondern selbst erlebt hat und tief darin verstrickt war. Es geht um ihn und seine Frau Florence sowie das Ehepaar Edward und Leonora Ashurnham. Die Paare verband eine mehrjährige, anscheinend tiefe Freundschaft. Doch der schöne Schein von Ehrbarkeit und Freundschaft trügt, wie John nach dem Tod von Florence erfahren muss. Seine Ehe mit Florence war auf Lügen aufgebaut und Florence eine Ehebrecherin. Der „gute“ Soldat und angebliche Freund Edward, den er stets bewunderte und vielleicht sogar liebte, war ein Lüstling, der mit Duldung seiner Frau Leonora zahlreiche Affären hatte, zuletzt
sogar mit Florence.

Schein und Sein ist das große Thema dieses Romans. Die Umsetzung in der Geschichte der Dowells und Ashburnhams ist an sich auch gut gelungen. Allerdings hatte ich mehr als eine Aneinanderreihung von Affären erwartet. Die Erzählweise ist zudem gewöhnungsbedürftig und erfordert große Aufmerksamkeit. Denn John Dowell ist ein sog. unzuverlässiger Erzähler. Er erzählt die Geschichte in Episoden und Fetzchen, die er nach gutdünken aneinander reiht, gerade so, wie sie ihm anscheinend einfallen. Manches greift er mehrfach auf, teils wiederholt er sich oder vertieft bestimmte Begebenheiten. Dabei kommt es nicht selten vor, dass er sich selbst bewusst oder unbewusst korrigiert oder widerspricht. Dieses Verwirrspiel ist nicht ohne Reiz und verleiht der Geschichte eine gewisse Spannung, obwohl die Rahmenhandlung recht frühzeitig klar zu sein scheint. Überzeugt hat mich der Roman dennoch nicht. Die Geschichte ist nicht besonders originell. Der Schreibstil mag zur Zeit der Erstveröffentlichung revolutionär gewesen sein, für mich war er nur ermüdend.