Rezension (3/5*) zu Der zweite Jakob: Roman von Norbert Gstrein

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Buchinformationen und Rezensionen zu Der zweite Jakob: Roman von Norbert Gstrein
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Von innerer Leere und Einsamkeit

Kurzmeinung: Anstrengende Nebelwanderung.


Ein langsam alternder Schauspieler steht vor seinem 60igsten Geburtstag. Am liebsten möchte er diesem Tag aus dem Weg gehen und nicht gefeiert werden, denn, obwohl er eine bekannte Persönlichkeit ist, schwant ihm, dass er nichts Besonderes ist und keine Ehrungen verdient.

Das Besondere an ihm, wie seine Tochter Luzie ihm unbarmherzig quasi ständig vorhält, ist einzig und allein, dass er so viel Geld geerbt hat, dass er auf die Meinung anderer pfeifen konnte. Und so hat er gelebt. Auf andere gepfiffen. Drei Ehen hat er versemmelt, die Chance auf den ganz großen Ruhm verpasst, weil er aus Dünkel die Rolle seines Lebens einem anderen überlassen hat, er war kein guter Schauspieler und hatte seiner Meinung nach nur lausige Rollen, dreimal spielte er einen ekelhaften Frauenmörder – so war er immer nur ein Günstling eines befreundeten Regisseurs und hat in einer Grenzerfahrung bei einem Film über Flüchtlinge an der mexikanischen Grenze kein gutes Bild abgegeben. Daran laboriert er rum.

Die Sache mit der Rolle des Frauenmörders geht ihm nach. Steckt etwas von diesen üblen Burschen in ihm ? Solche Fragen finde ich fragwürdig per se und esoterisch. Ich kann ihnen nichts abgewinnen. Was ein Quatsch.

Als Vater hat Jakob offenbar versagt. Seine Tochter ist labil. Obwohl Jakobs Tochter durchaus ein Früchtchen ist, betet er sie an. Aber früher hat er sie vernachlässigt. All seine vagen geheimen Gedanken über sich selbst, denn über etwas anderes als sich selbst denkt er niemals nach, fallen ihm auf die Füße als ein junger Schnösel ins Haus kommt, den sein Verlag damit beauftragt hat, seine Biografie zu schreiben.

Der Biograf lässt sich weder beeindrucken noch herumscheuchen, die Abneigung der beiden ist mit Händen greifbar. Aber warum gibt seine Tochter diesem Schnösel vertrauliche Informationen?

Der Kommentar:
In den ersten Teilen des Buches geht der Autor beziehungsweise der Schauspieler Jakob auf seine Laufbahn ein, in weiteren kleinen Teilen erzählt er von der Liebe zu einer jungen Frau, 30 Jahre jünger als er, ganz klassisch, der alte Mann und das junge Fleisch, und zuletzt gibt es Szenen beim Arzt, die Werte sind schlecht. Dann gibt’s ein bisschen Kindheit und eine ansatzweise Aufarbeitung der Herkunft. „Ihr seids alles Faschisten“, so in etwa kommentiert der berühmte Sohn des Ortes seine Blutsverwandten. Das alles wirkt zerfasert. Und gibt kein homogenes Stück zusammen. Erklärt wird nichts. Aufgedeckt auch nicht. Alles bleibt vage und wabernd.

Denn obwohl doch so viele Themen auf dem Tisch liegen, spannende Themen wie die Angst vor dem Altwerden und die Angst davor in die Bedeutungslosigkeit zu versinken, Identitätsprobleme, eine alte Schuld und nachlässig geführte Beziehungen, redet der Icherzähler in ausufernden larmoyanten und langweiligen Monologen vor sich hin, er arbeitet nichts auf und es gibt auch keine klugen Betrachtungen seitens des Autors. Warum ist Jakobs Tochter suizidal? Sie hat noch mit 17 leicht bekleidet in seinem Bett gelegen. Ist da mehr dran? Warum verfolgt er sie wie ein Stalker? Warum säuft er so viel? Was denkt er wirklich von sich selbst?

Warum erfahren wir nicht, woran seine Ehen gescheitert sind? Und saß er am Ende selber am Steuer als die junge Frau in Mexiko zu Tode kam? Andeutungen. Vermutungen. Unklarheiten.

Diesen Roman „Der zweite Jakob“ von Norbert Gstrein, empfinde ich leider als äußerst dröge. Zäh. Und zudem wenig erhellend. Dazu kommt, dass mich das Schauspielermilieu sowie so nicht so besonders interessiert. Es sei denn, es wäre super aufbereitet, so wie zum Beispiel Anne Enrights Roman „Die Schauspielerin“.

Die Sprache Norbert Gstreins reißt normalerweise alles raus, aber diesmal bin ich nicht einmal von der Sprache begeistert. Wenn man nichts zu sagen hat, hat man nichts zu sagen. Warum geht er nicht wenigstens einem der Fäden, die er herumliegen hat, nach, zieht daran und bringt den Fisch an Land? Don’t know. Das soll wohl Kunst sein. Der angedeutete Suizid am Schluss gibt mir den Rest. I'm not amused. No.

Am besten passt auf die Atmosphäre des Buches ein Gedicht von Herman Hesse: „Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, Kein Baum sieht den andern, Jeder ist allein. // Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war; Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar.// Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt. // Seltsam, im Nebel zu wandern, Leben ist Einsamsein, Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.

Fazit: Ein ziemlich ungereimter, sogar in seinem Aufbau zerfaserter Roman, der sich irgendwie nicht richtig entscheiden kann, welches Thema er bearbeiten möchte. Alle? Keins? Das Ungefähre, Vage ist sicherlich gewollt, allein, ich mag es nicht „seltsam im Nebel zu wandern“.

Kategorie: Belletristik
Verlag, Hanser 2021

„Der zweite Jakob“ steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2021. Kunst liegt eben im Auge des einzelnen Lesers.

 
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