Rezension (3/5*) zu Der Schattenkönig von Maaza Mengiste

Wandablue

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18. September 2019
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49
Brandenburg
Den Namenlosen ein Gesicht geben

Kurzmeinung: Kann Preise gewinnen - nicht das Leserherz.


In dem Roman „Der Schattenkönig“ hat Maaza Mengiste sich dem Abbessinienkrieg gewidmet, der als letzter größerer kolonialer Eroberungszug in die Geschichte einging. 1935 überfiel Benito Mussolini Äthiopien ohne Vorwarnung, ganz ohne Kriegserklärung und seine Armee wütete wie entfesselt in dem Land. Sechs Jahre lang dauerte dieser ungerechte und ungleichgewichtige Krieg, dessen zahllose Verbrechen gegen die Menschlichkeit niemals vor ein Kriegsgericht kamen.

Ohne Zweifel verarbeitet Maaza Mengiste in diesem Roman einen Teil ihrer Herkunftsgeschichte. Europa vergißt ja nur zu gerne, was nicht direkt vor seiner Haustür liegt. Insofern ist allein die Thematik, die Mengiste behandelt von Bedeutung.

Was jedoch die Darstellung und die Erzählweise betrifft, dürften die Meinungen darüber auseinandergehen. Mengiste nähert sich diesem blutigen Teil der äthiopischen Geschichte nämlich weniger historisch als künstlerisch an. Sie sagt selber, ihre Geschichte sei aufgebaut wie eine Oper.

Oder wie eine griechische Tragödie vielleicht? Da gibt es einen Chor und Zwischenspiele. Die Zwischenspiele spiegeln Haile Selassies Welt wider. Da ist der Kaiser wie gelähmt von der Invasion der Italiener. Da kann er kaum glauben, was geschieht, da hängt er seinen Gedanken an diverse falsche Entscheidungen nach und schließlich bringt er sich im Ausland in Sicherheit. Allerdings sind diese Einschübe verglichen mit dem restlichen Roman schmal und von geringerer Bedeutung.

Der Ton der restlichen Story ist wahrlich opernhaft. Heroische Gestalten, die Mythengestalten gleichen. Da ist die Frau des Kriegers Kidane, Aster, eine egozentrische Person, die dennoch Opfer der streng patriarchalischen Gesellschaft ist. Sie ist eine typische Person, Täter und Opfer zugleich. Sie lehrt die Frauen, dass sie ihren Teil des Kampfes beizutragen haben. Da ist Hirut, ihre Magd, die Entsetzliches erdulden muss, weil sie niemanden hat, der sie beschützt und der nichts anderes übrig bleibt, als eine Heldin zu werden. Allerdings bleiben sowohl Hirut wie Aster irgendwie blutleer. Die Männer sind Befehlsempfänger, Krieger, brutal und hart. Wie man im Krieg eben sein muss.

Es mag der Autorin vielleicht auch weniger um die Darstellung von Einzelschicksalen gegangen sein, weniger darum, dass man als Leser Empathie zu den Handelnden aufbaut als vielmehr darum, den vielen namenlosen Frauen, die Kriegerinnen werden mussten, ein Gesicht zu geben. Niemand kennt ihre Namen.

Die historische Einbettung der Story ist allerdings wirklich dürftig und viel zu diffus, was den Zugang zum Roman enorm erschwert und die Figuren, die ihre Heldenarien singen und klagen, bleiben weit weg. Auf der Bühne halt. Mit wenigen Pinselstrichen hätte man den Leser besser informieren können! Schade. Klar, kann man heute schnell in Wikipedia nachlesen - aber das ist nicht dasselbe. Das sind nicht Informationen aus Autorenhand.

Da eine Oper von Schönheit lebt, ist die Sprache des Romans schön. Pure Poesie zuweilen. Dies schafft einen seltsamen Kontrast zur Verzweiflung und dem Entsetzen, das die Figuren durchleiden. Sicher ist das gewollt - dennoch schwer auszuhalten.

Fazit: Heroischer Versuch einer künstlerischen Aufarbeitung einer entsetzlichen Zeitspanne während des Zweiten Weltkrieges in Äthiopien. Leserisch eher schwierig. Den Namenlosen ein Gesicht zu geben, ist durch die gewählte Erzählform nur halb gelungen. Das Thema überhaupt aufzugreifen, bleibt allerdings verdienstvoll.

Kategorie: Belletristik
Dtv, 2021
Auf der Shortlist des Booker Prize 2020


 
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