Rezension Rezension (3/5*) zu City of Girls: Roman von Elizabeth Gilbert.

evaczyk

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25. Juni 2019
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Erlebnis- und Lebenshunger einer jungen Frau in New York

Zugegeben - ich war erst mal ein bißchen skeptisch, ehe ich "City of Girls" von Elizabeth Gilbert zu lesen begann. Seit "Eat Pray Love" genießt Gilbert bei vielen ihrer Leserinnen (schätze, die Frauen sind klar in der Mehrheit) Kultcharakter als eine Art literarischer Lebenshilfe Guru. Also etwas, was mir persönlich zu waberig ist. In City of Girls sind die Lebensweisheiten allerdings in einer Coming of Age-Geschichte versteckt und mit dem Glamour New Yorks in den 40-er Jahren verbrämt.

Vivian Morris, zu Beginn des Romans 19 Jahre als und gerade vom renommierten Vassar College geflogen wegen unzureichender akademischer Leistungen, weiß nicht wirklich, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Behütete Tochter aus gutem Hause, der Vater ein Minenbesitzer in einer Kleinstadt an der Ostküste, die Mutter vor allem an ihren Reitpferden interessiert. Vivian ist nicht unbeding unintelligent, aber antriebslos und ohne jeden Ehrgeiz. Ihre Familie gibt sich allerdings auch wenig Mühe, herauszufinden, was eine gute Option für die Tochter wäre. Statt dessen wird Vivian in die Obhut ihrer Tante Peg gegeben, die in New York ein Theater betreibt. Es ist eine Art Exil - aber wie kann es eine Strafe sein, in New York zu leben?

Das Theater wie auch die Nachbarschaft haben die besten Zeiten hinter sich. Peg, ein wenig exzentrisch und mit großem Herzen, hat ein Alkoholproblem und muss von ihrer Geschäftsführerin Olive immer wieder gebremst werden, um das Theater vor dem finanziellen Ruin zu retten. Dass die beiden mehr als nur das Theater teilen, merkt Vivian erst spät - auch wenn der Gaydar eigentlich prompt ausschlagen müsste.

Die Qualität der Stücke mag nicht gerade Broadway-Niveau haben, doch Vivian ist fasziniert, vor allem von den Revuegirls, die für Glamour und Aufregung sorgen. Und sie stellt fest, dass sie gar nicht so nutzlos ist: Denn Vivian hat ein Auge für Stoffe und Kostüme, ist eine talentierte Näherin und findet sich plötzlich in der Rolle der Kostümbildnerin.

Und dann ist da ja auch noch das aufregende New Yorker Nachtleben, in das sich ihre neuen Freundinnen allabendlich stürzen, mit viel Alkohol, mit immer neuen Männern, mit einem Lebensgefühl, dass nur die Gegenwart kennt. Klar, dass Vivian da mithalten möchte. Ihr völliger Mangel an sexueller Erfahrung steht ihr nicht lange im Weg - ihre Entjungferung wird sozusagen gemeinsam geplant - ein ziemlich komische Szene übrigens.

Dass in Europa Krieg herrscht, wird in dem rauschhaften Leben in Midtown Manhattan fast vergessen, bis Pegs und Olives alte Freundin, die berühmte englische Schauspielerin Edna, samt ihres hübschen aber ausgesprochen unterbelichteten Gatten in New York strandet und die bunte Gemeinschaft ergänzt. Ein Stück für Edna muss her, und mit "City of Girls", geschrieben von Pegs getrenntem Ehemann, hält unerwarteter Erfolg Einzug. Alles könnte perfekt sein, wenn Vivian nicht in einem Moment der Dummheit in einen handfesten Skandal verwickelt wird und von ihrem Bruder wieder zurück nach Hause verfrachtet wird.

Erst Jahre später holt Peg sie zurück nach New York, um sie bei der Organisation von Unterhaltung für die kriegswichtigen Arbeiter des Navy Yard zu unterstützen. Richtig erwachsen wird Vivian aber erst, als sie zusammen mit einer Freundin ein Geschäft für maßgeschneiderte Hochzeitskleider aufbaut und nicht nur wegen ihrer handwerklichen Fertigkeiten gebraucht wird...

Geschrieben ist das alles aus der Sicht Vivians, nunmehr eine sehr alte Frau, eine Art Rechenschaftsbericht an die Tochter eines Mannes, der ihr viel bedeutet hat. Am eindrücklichsten blieben zumindest für mich die Nebenfiguren - Peg, das Revuegirl Celia, Marjory, die Tochter eines Lumpenhändlers, die später Vivians beste Freundin wird. Das sind Frauenfiguren voller Ecken und Kanten, als Persönlichkeiten spannender als Vivian, die zwar als Vorreiterin sexueller Befreiung ihrer Zeit und Gesellschaft ein ganzes Stück voraus ist, als Mensch aber irgendwie blass bleibt, so verschwommen wie der Martini-Dauerrausch ihrer vielen Nachtclub-Nächte.

Akzeptanz, Verständnis und Leidenschaft werden groß geschrieben in diesem Buch, das auch ein Loblied auf die "soziale Familie" ist, jenes Unterstützungsnetzwerk guter Freunde, die nicht nur im Leben von Vivian wichtiger sind als die Herkunftsfamilie. Ein Zeit- und Sittengemälde, dass den Glamour eines New Yorks wieder aufleben lässt, das beim Lesen Bilder aus alten Schwarz-Weiß Filmen der Jazz-Ära weckt. Eingängig und unterhaltsam.

 

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