Rezension (3/5*) zu Chopinhof-Blues: Roman von Anna Silber

Irisblatt

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15. April 2022
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Buchinformationen und Rezensionen zu Chopinhof-Blues: Roman von Anna Silber
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Starke Einzelgeschichten ohne überzeugende Zusammenführung

Es fällt mir ausgesprochen schwer, den Debütroman von Anna Silber zu bewerten. In seiner Struktur folgt „Chopinhof-Blues“ zunächst drei Erzählsträngen, die sich am Ende vereinen, weil die Protagonist:innen anlässlich einer Geburtstagsfeier in Wien aufeinandertreffen.

Katja hatte eine schwere Kindheit. Von der Mutter massiv vernachlässigt, wuchs sie mit ihrem Bruder Thilo in einem Kinderheim auf. Trotz widriger Umstände bestand sie das Abitur, zog nach Berlin, studierte und fand eine Arbeit im Finanzbereich. Anna Silber beleuchtet vor allem die komplizierte Beziehung Katjas zu ihrem Bruder, aber auch zu ihrer Mutter und ihrem Chef.
Ádám lebt mit seiner Frau Aniko in Wien. Sie stammen aus Ungarn und verließen gemeinsam Budapest in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch seit einiger Zeit stecken die beiden mitten in einer Beziehungskrise.
Esra hat als Krisenjournalistin bereits viele gefährliche Orte aufgesucht, unendlich viel Leid gesehen und dokumentiert. Auf ihrem Einsatz in Honduras erlebt sie plötzlich selbst Gewalt. Zutiefst erschüttert kehrt sie nach Berlin zurück und versucht, ihre Erlebnisse einzuordnen und zu verarbeiten. Doch nichts ist wie zuvor.

Alle Hauptprotagonist:innen wirken auf ihre eigene Art verloren, sind nicht in der Lage das auszusprechen, was notwendig wäre. Es geht um Verantwortung, Schuld, Angst, Zuneigung, Liebe, Familie und Freundschaft. Anna Silber skizziert das alltägliche Leben der sehr unterschiedlichen Protagonist:innen und lässt uns auf eine leise, melancholische Art an ihren Sorgen, Gedanken, Verletzlichkeiten und eingefahrenen Handlungsmustern teilhaben. Durch zahlreiche Dialoge liest sich der Roman leicht und lebendig. Jeder Erzählstrang hat mich bewegt, die Charaktere sind lebendig gezeichnet, die Sorgen, Nöte und Blockaden haben sich beim Lesen gut vermittelt. Ich hadere allerdings mit dem Gesamtkonzept, vor allem mit der Zusammenführung der Erzählstränge. Die Verbindungen der Protagonist:innen sind durchaus vorstellbar, das Aufeinandertreffen auch im Rahmen des Möglichen. Allerdings weiß ich nicht, warum das wichtig für den Roman sein soll. Für Katja scheint am Ende alles auf einen Befreiungsschlag hinauszulaufen. Der Roman endet sehr abrupt und an einem Punkt, an dem ich gerne mehr über die weitere Entwicklung der Charaktere erfahren hätte. Jeder Erzählstrang für sich hätte wunderbar als einzelne Kurzgeschichte funktioniert. Die Zusammenführung fühlt sich nicht rund an, weshalb mich der Roman trotz der gut ausgearbeiteten, interessanten Einzelgeschichten irgendwie unzufrieden zurücklässt.