Rezension Rezension (3/5*) zu Briefe an die grüne Fee: Über die Langeweile, das Begehren, die Liebe und den .

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Briefe an die grüne Fee von Salih Jamal
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Hungrige Herzen bluten schneller...

Ein Mann sitzt auf einem Dach, eine Pistole in der Tasche und bereit zum Sprung. Das Buch erzählt, wie es dazu kommen konnte, dass dieser Mensch dort sitzt und auf den richtigen Moment wartet, seinem Leben ein Ende zu setzen. Einblicke in die Vergangenheit sowie in die aktuelle Gedankenwelt des Ich-Erzählers beleuchten den Hintergrund dieser Entscheidung. Und eines ist gewiss: dieses Leben war bunt.


"Alle anziehenden Leute sind immer im Kern verdorben, darin liegt das Geheimnis ihrer sympathischen Kraft. Wenn man sich auch wünscht, tugendhaft zu bleiben, stellt man eines Tages fest, dass die wirklich glücklichen Augenblicke jene gewesen sind, die man der Sünde gewidmet hat." (Oscar Wilde) - S. 238


Es gibt sie, die Menschen, die von klein auf die Zündschnur des Lebens gleich an beiden Enden abbrennen, immer auf der Suche nach dem besonderen Kick. Nichts wird dabei ausgelassen: Rauchen, Saufen, Drogen, Klauen, Spielen, Sex... Was der Ich-Erzähler hier so treibt oder getrieben hat, soll seine Sache sein und meine nicht, dies zu bewerten. Da ist doch jeder seines Glückes Schmied. Reichlich schräg und fast schon amüsant gerät dabei z.B. der Widerspruch zwischen der biederen Lehre des jungen Mannes im Kaufhaus für die gehobene Kundschaft an der Kö in Düsseldorf einerseits und der sonstigen Haltung des Lebenskünstlers andererseits, der wirklich nichts anbrennen lässt.


"Ich bin süchtig. Ich bin hochgradig süchtig! Verloren auf der verzweifelten Suche nach 'ganz und gar'." - S. 196


Im Zentrum der Erinnerungen steht jedoch der überdimensionierte Egoismus des Erzählers, den Blick nur auf sich und sein Vergnügen gerichtet - doch selbst hier gilt noch: so what. Muss nicht meines sein, aber zum Hauptcharakter passt es. Doch bei aller Hochachtung vor der Offenheit und schonungslosen Ehrlichkeit des Erzählers - das Buch hat lt. Autor auch viele autobiografische Anteile - gab es einen Punkt, der mich beim Lesen richtiggehend anwiderte, nämlich die zeitweise maßlose Arroganz und Überheblichkeit des Hauptcharakters.

Der Erzähler als Nabel der Welt stellt sich mit dem Nimbus der Unverletztlichkeit über alle Menschen, die er durch Charme und Menschenkenntnis allesamt in seinem Sinne zu manipulieren vermag. Und nur schlanke Menschen sind toll, und nur d a s Leben ist lebenswert, bei dem die Lunte an beiden Enden gleichzeitig angezündet wird, und alle, die nicht nach dieser Prämisse leben, sind Biedermänner (und -frauen), die Udo Jürgens lieben - der Abwertung anderer Menschen wird hier erschreckend viel Raum gegeben. Dass man für sich so ein 'normales' Leben nicht will, okay, kein Problem. Aber diese klare Bewertung von Menschen in schräge und interessante Außenseiter, die sich den gesellschaftlichen Zwängen möglichst entziehen (durch illegale Methoden aber gut für sich sorgen) und im Alltagstrott versumpfte Blödmänner kann ich einfach nicht leiden. Das wirkt einfach nur - ewigpubertär.


"Es ist ein Trugschluss, die Geschwindigkeit eines Menschen stünde im Einklang mit der eines anderen. Die Vorstellung dieses Gleichklangs ist die Illusion der Liebe." - S. 238


Doch immer nur Nehmen ohne Rücksicht auf Verluste, das kann selbst für ein Sonntagskind nicht lebenslang funktionieren. Und so trifft den Erzähler das Leid einer unglücklichen Liebe und führt ihn zu mancherlei Erkenntnis. Nein, keine Läuterung vom Saulus zum Paulus, doch durchaus selbstkritisch an der ein oder anderen Stelle. Verbunden auch mit ein wenig Erkenntnis über das Leben an sich.

Leider bekam ich nur an wenigen Stellen des Romans einen Zugang zum Hauptcharakter. Auch wenn die Verletztlichkeit und Melancholie des Erzählers immer wieder anklangen, domninierte hier das exzessive Verhalten um jeden Preis. 'Befremdlich' ist noch die netteste Bezeichnung, die mir hierzu einfällt. Ich hätte gerne Positiveres geschrieben, da dieses Debüt des begeisterungsfähigen Autors ihm ganz sicher eine Herzensangelgenheit ist. Aber mir erging es mit dem Buch nun einmal nicht besser, und der Hauptcharakter blieb mir fremd und oft gleichgültig.


"Nach meinem Diesseits kann mich der Teufel gerne haben und grillen. Wer das Hier und Jetzt wirklich empfangen kann, ist nah dran am Glück." - S. 258


Einige durchaus poetische Passagen versöhnten mich mit dem ansonsten oft rauen und auch vulgären Schreibstil, und auch auf einige detaillierte erotische Szenen muss man hier gefasst sein, die nur selten feinfühlig beschrieben sind. Mich beeindruckte der Stil deutlich weniger als andere Leser, aber Geschmäcker sind nun einmal bekanntlich verschieden...

Alles in allem ein ambitioniertes Debüt, das für mich jedoch klar über das Ziel hinausschießt. Den vom Autor selbst gezogenen Vergleich mit Goethes Werther kann ich jedoch in keiner Weise nachvollziehen - bestenfalls ist dies als Äußerung mit einem deutlichen Augenzwinkern zu verstehen. Von dem Roman jedenfalls hatte ich mir deutlich mehr erhofft...


© Parden

von: Charles Lewinsky
von: Thomas Karallus
von: Sven Amtsberg