Rezension Rezension (3/5*) zu Alles richtig gemacht: Roman von Gregor Sander.

Literaturhexle

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2. April 2017
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Realistisches Zeitkolorit der Nachwende-Jahre

Der Roman wird aus Sicht des Ich-Erzählers Thomas erzählt und fußt auf zwei Zeitebenen: In der Gegenwart ist der 50-jährige Thomas gerade einigermaßen frustriert. Seine Frau hat ihn zusammen mit den zwei Töchtern verlassen. Er weiß selbst nicht so recht, warum, und auch nicht, wo sie ist. Er hat sich eine Woche frei genommen, nun ruft aber die Arbeit wieder. Thomas arbeitet zusammen mit einer Kollegin als selbständiger Anwalt in einer Kanzlei in Berlin.

Überraschend taucht nach Jahren sein Jugendfreund Daniel wieder auf, der augenscheinlich mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist und untergetaucht war.
An dieser Stelle setzt die zweite Zeitebene ein, die in die Vergangenheit führt. Thomas hat Daniel in der siebten Klasse kennengelernt. Beide lebten in Rostock, jedoch in sehr unterschiedlichen Verhältnissen. Thomas´ Eltern betrieben einen Drogeriemarkt und genossen ihre gutbürgerliche Existenz. Daniels Mutter war nur 16 Jahre älter als ihr Sohn, bei ihr ging es eher unkonventionell und modern zu. Die beiden Jungen waren grundverschieden, freundeten sich aber dennoch allmählich an.

„Mit Daniel konnte ich Fahrrad fahren, bis wir unsere Beine nicht mehr spürten. Unter dem Blätterdach der Allee, von Bad Doberan nach Heiligendamm, neben dem Molly her, der laut stampfend seine Dampfwolken in den Himmel schob. (…)
Wir mussten über nichts davon reden.
Den Rest wussten wir einfach so, zumindest dachte ich das, und Daniel schien es genauso zu gehen. Er war wie ein Teil von mir, der mir vorher gefehlt hatte.“ (S. 32)

Thomas Zukunft scheint bereits festzustehen, er soll die Drogerie seiner Eltern übernehmen. Daniel liebt das Kochen, sein Traum ist es, zur See zu fahren als Schiffskoch – zu Zeiten der DDR keine einfache Angelegenheit. Zunächst beginnt er deshalb eine Lehre als Koch in Rostock, Thomas leistet seinen Wehrdienst ab und geht anschließend in den Einzelhandel.

Im Folgenden fängt der Roman ein Lebensgefühl ein, das anhand dieser Protagonisten dargestellt wird: Das Lebensgefühl junger Menschen nach dem Mauerfall. Thomas und Daniel sind dabei sehr unterschiedlich. Thomas bleibt der Vorsichtige, Daniel ist der Lebenskünstler, der Draufgänger, der, der es wissen will. Dabei kommt er im Laufe der Jahre mehr als einmal mit dem Gesetz in Konflikt, muss untertauchen, lebt mal in Frankreich, mal in Irland. Währenddessen wird Thomas erwachsen, sattelt auf Jura um, gründet in Berlin eine Kanzlei und eine Familie.

Das Leben ist kein Ponyhof. So bleiben die Freunde auch von Schicksalsschlägen nicht verschont. Es gibt immer wieder überraschende Wendungen, auch Frauen treten in ihr Leben.

Es ist die Kunst des Autors, das Leben dieser Protagonisten in stürmischen Umbruchzeiten mit leichter Hand ohne großes Pathos darzustellen. Leser, die auch in der ausgehenden DDR und der Wendezeit aufgewachsen sind, werden ihr Déjà-vu erleben; das Zeitkolorit der Nachwende-Jahre im Osten der Republik ist hervorragend eingefangen. Vieles verband auch die Ost- mit der Westjugend. Augenscheinlich waren die Unterschiede abseitig der politischen Ideologie gar nicht so groß. Sander versteht es, diese Stimmungen wunderbar einzufangen und dem Roman damit etwas Leichtes zu geben. Wer die beschriebenen Schauplätze Rostocks und Berlins aus eigener Erfahrung kennt, hat natürlich einen weiteren Vorteil.

Spannend gestaltet sich auch die Handlung in der Gegenwart. Thomas muss einen halbseidenen Investor anwaltlich vertreten, der ein Mehrfamilienhaus im Wedding entmieten will, andere Fälle führen ihn zum Islamismus und zur Scheinselbständigkeit. Warum hat ihn seine Frau verlassen, was hat sie in Daniels Wohnung zu suchen, sind Fragen, die den Leser beschäftigen.

Das Leben reißt nicht ab. Der Roman erinnert mich von seiner Grundstimmung her an ein lockeres Roadmovie. Alles wird mit einem Augenzwinkern erzählt. Zum Ende hin nimmt die Handlung Fahrt auf, es überstürzen sich die Ereignisse…

Damit hat mich der Autor auch ein wenig abgehängt. Manches empfand ich als sehr konstruiert, zu schnell. Da hätte ich doch noch eine Erklärung mehr gehabt. Andere in unserer Leserunde haben das jedoch anders empfunden, so dass ich denke, dass ich als Leserin vielleicht einfach ein wenig zu ernsthaft bin für diesen augenzwinkernden Roman.

Wer es aber gern ein bisschen locker-leicht mag, wer sich für die Nachwende-Jahre interessiert, dem sei die Lektüre ans Herz gelegt, die die Zeit sehr gut widerspiegelt und gleichzeitig die Geschichte einer ungleichen Männerfreundschaft zu erzählen hat.