Rezension Rezension (3/5*) zu All das zu verlieren: Roman von Leïla Slimani.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Ein Tanz am Abgrund

Adele hat scheinbar alles im Leben um glücklich zu sein. Ihr Mann Richard ist wohlsituierter Arzt, der Sohn Lucien ein gesundes Kind. Ihr Job als Journalistin bringt sie zu politisch brisanten Brennpunkten. Und trotzdem ist sie leer, auf der Suche nach etwas, will sich spüren und gespürt werden. Sie führt ein Doppelleben wohl verborgen vor ihrem Mann, führt Männerbekanntschaften, oft nur für eine Nacht. Es sind keine liebevollen Affären, mitnichten. Adele bewegt sich unaufhörlich in einer Spirale von sexueller Gewalt.
Leila Slimani erzählt hier von einer sehr schwierigen Frau, einer zerrissenen Frau, die ihre bürgerliche Fassade wahren möchte, aber für die das „Normale“ nicht mehr gut genug ist, die immer mehr, immer schnelleren und immer brutaleren Kick braucht. Adele hadert mit ihrer Rolle als Ehefrau, als Mutter. Adeles Kindheit bei einer abweisenden Mutter, die Adele nur beim Vornamen nennen kann, wird angerissen. Liefert aber zu wenig an Erklärung für Adeles Werdegang. Das ganze Ambiente ist spießbürgerlich. Das typische französische „Sie“ zwischen den Schwiegerleuten, die moralinsaure Schwiegermutter, die Adele „meine kleine Adele“ nennt. Man will Adele zurufen „Nimm die Beine in die Hand und lauf davon!“ Aber Adele bleibt, und missbraucht, lässt sich missbrauchen, tanzt am Rande des Abgrunds.

„Sie ist euphorisch, wie Betrüger es sind, die man noch nicht entlarvt hat. Voller Dankbarkeit, geliebt zu werden, und starr vor Angst bei der Vorstellung, all das zu verlieren.“

Erzählen kann Leila Slimani. Obwohl Adele in ihrem Wesen mir immer fremd blieb, und ich muss eine Protagonistin nicht mögen oder verstehen, zieht die Geschichte einen in den Strudel von Betrug, Verrat, Missbrauch. Slimani will verstören und das schafft sie durchaus. Aber unter dem Strich gibt es keine Entwicklung, kein Fazit, außer dass Sucht in die Katastrophe führt. Nun, dass ist nichts Neues. In Leila Slimanis Essayband Sex und Lügen merkt man kann ganz eindringlich, wie ihr die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen am Herzen liegt. Doch mit Adele bringt sie einfach nur einen psychisch kranken Menschen- Adele, die scheinbar hilflos ihren Obsessionen ausgeliefert ist - auf die Bühne. Ich will von starken Frauencharakteren lesen, wenn gerühmt wird, dass die Autorin „intelligent von Frauen“ schreibt. Ich will nicht von Frauencharakteren lesen, denen man nachsagen möchte, sie hätte das ja genau so gewollt!