Rezension Rezension (2/5*) zu Wilde Freude: Roman von Sorj Chalandon.

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
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Lost in the sea of cliche

Hach, was habe ich mich auf das neue Buch „Wilde Freude“ von Sorj Chalandon gefreut. Hatte er doch mit „Am Tag davor“ einen literarischen Megahit gelandet. Nun, wer hoch steigt kann schnell (tief) fallen. Davon zeugt und das zeigt leider sein neuester Roman.

Es geht zunächst um Jeanne, die eine niederschmetternde Diagnose bekommt: Brustkrebs.

„Morgens war ich noch eine lustige Neununddreißigjährige. Nachmittags eine schwerkranke Frau. Sechs Stunden für den Umschwung von der Unbeschwertheit zum Unerträglichen.“ (S. 16)

In der Folge wird sie von ihrem Mann Matt verlassen, der seine Frau nicht leiden sehen kann und der nur sich, seine Kollegen und seine Arbeit kennt. Was für ein … (hier setzt bitte jede*r ein eigenes Wort ein).

Während der Bestrahlung trifft sie auf Brigitte, die ebenfalls an Krebs erkrankt ist. Die beiden freunden sich an – und jetzt wird es gruselig, weil unnütz, unrealistisch, völlig überzogen und klischeetriefend. Böse und noch mehr böse Männer, arme kranke, vom Schicksal und von Männern schwer gebeutelte Frauen, die trinken und kiffen á la „Hey, ich muss sowieso sterben. Also lasst uns vorher noch ein bisschen Spaß haben!“ – und einen Überfall auf einen Juwelier mitten in Paris verüben – mit Spielzeugpistolen! Heißa tiralala – wo bin ich denn hier gelandet??? Der angebliche „Gag“? gegen Ende des Romans hat mich nur gelangweilt.

Seine besten und prägendsten Passagen hat der Roman immer genau dann, wenn Sorj Chalandon einfühlsam und doch nicht auf die Tränendrüse drückend von der Diagnose Krebs (er selbst und seine Frau haben wohl auch die Diagnose Krebs bekommen), der (inneren) Gefühle, der Behandlung, den Schmerzen etc. erzählt.

Leider werden genau diese Szenen von der Vorbereitung auf den Raubüberfall, den Raubüberfall selbst, der in meinen Augen überzogenen, überzeichneten und dadurch erst recht unrealistisch wirkenden Zeit danach und – schlimmer noch – den von Klischees triefenden Figuren überschattet. Anscheinend ist Herr Chalandon vorher im Klischeesee baden gegangen und hat zu viel Wasser geschluckt. Sorry, anders kann ich mir diese geballte Ladung nicht vorstellen, wie sie zustande gekommen sein soll.

Nein, Herr Chalandon – mit dem Roman haben Sie mich leider überhaupt nicht abgeholt.

2* für die genannten einfühlsamen Passagen – mehr ist leider nicht drin.

©kingofmusic


 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
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49
Brandenburg
Huhu - für deine Verhältnisse, bist du richtig bösartig geworden.

Ich meine halt, der gute Sory hätte für seinen Schwank nicht gerade Krebskranke benutzen sollen oder aber auf den Schwank verzichten.
Er hätte ihn nicht gebraucht, es hätte doch genügt, wenn er vom inneren Erleben erzählt hätte. Er kann es doch. Wie er gezeigt hat.

Auch die hochdramatischen Schicksale hätte es nicht gebraucht. oder Sory hat sie für sich gebraucht - um Distanz herzustellen.

Wir werden es nie erfahren.