Rezension (2/5*) zu Nebenan: Roman von Kristine Bilkau

Wandablue

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Buchinformationen und Rezensionen zu Nebenan: Roman von Kristine Bilkau
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Zeitgenössische Probleme - lose aneinander gereiht

Kurzmeinung: Zeitverschwendung


Der Roman „Nebenan“ beschäftigt sich zunächst mit Problemen der Kleinstadt. Leerstand aufgrund hoher Mieten im Zentrum, Landflucht. Dieser Thematik wäre ich gerne gefolgt. Wären da nicht so viele andere Themen nebenher mit eingeflossen. Selbstverständlich die Plastikverschmutzung. Umweltschutz muss. Unerfüllter Kinderwunsch und Hormonbehandlung ist ein weiterer Themenbereich. Wir hören die Klagen der Protagonistin Julia, um die vierzig, über das Unverständnis männlicher Ärzte, und das Unverständnis ihres Partners, der zwar behauptet, mit ihr auch ohne Kinder glücklich sein zu können und Hormonbehandlung ist halt teuer, deshalb könne man auch wieder damit aufhören, sagt er, aber kann sie dem Kerl trauen, der vielleicht nach 15 Jahren mit einer anderen, einer Jüngeren doch noch ein Kind zeugt? Sie sitzt in der Falle. Die Gedanken Julias zum unerfüllten Kinderwunsch nehmen einen breiten Raum ein, gehen dann aber doch nicht in die Tiefe und bleiben irgendwo stecken. Und wollten wir nicht über das Sterben von Kleinstadt und Landflucht lesen? Oder schreiben?

Unerfüllter Kinderwunsch wäre einen eigenen Roman wert gewesen. Es gibt dazu tatsächlich eine Menge zu sagen, zum Beispiel, dass man nicht alles im Leben beeinflussen kann und dass menschliche Machbarkeit eine Grenze hat; oder dass keine Ehe einen Garantieschein besitzt; oder dass man auch dann ein erfülltes Leben haben kann, wenn man sich nicht reproduziert; und überhaupt. Aber davon lesen wir leider nichts weiter. Weil man dann in die Tiefe hätte gehen müssen und Kleinstadt überhaupt keine Rolle spielte.

Und auch sonst nichts. Nichts spielt wirklich eine Rolle. Themen, tauchen auf, versuchen zu zünden, aber bevor die Lunte den Sprengstoff erreicht, wird sie ausgetreten. „Nebenan“ könnte sehr wohl auch „Nebenher“ heißen. Oder „Perlenschnur unbehandelter Thematiken“.

Eine zweite Protagonistin stellt das Problem des Ärztemangels in den Raum und lässt es dort unbeachtet stehen. Die Doktorin Astrid ist sechzig und macht sich allmählich Gedanken über einen Nachfolger. Dabei hätte ich sie gerne begleitet. Aber Julia kümmert sich dann doch lieber um Elsa, ihre betagte Tante, die sich allmählich aufs Sterben vorbereitet und ihr Haus ausräumt, Möbel verkauft, verschenkt, nur noch ein Stockwerk ihres Hauses nützt. Lebensende. Abschied. Trauerarbeit, die der Nochlebende leisten muss. Wieder eine Thematik, bei der ich mitgegangen wäre. Jedoch

muss ich weiter und mich mit Astrid ihrer Nachbarin zuwenden, von der sie sich entfremdet hat, weil deren Sohn ein Tierquäler ist. Spannend. Wieder ein bewegendes Thema. Eltern, die erkennen müssen, dass ihre Nachkommen keineswegs nette, liebe Kinder sind, sondern Monster. Äh, sind sie das? Zwar gibt es ein Gespräch zwischen Astrid und ihrer Nachbarin über die Angelegenheit, die einzige Szene, die ich richtig gut finde, aber erschöpfend behandelt wird auch diese Sache nicht. Und dergleichen mehr. Nirgendwo gibt es einen Schwerpunkt. Jedes Thema ist gleichgewichtig.
Der angerissenen Themenbereiche ist kein Ende. Und nirgendwo darf man als Leser verweilen und sich adäquat auseinandersetzen. Nehme ich zur Kenntnis. Haken. Nehme ich zur Kenntnis. Haken. Dann lese ich doch lieber Zeitung. Dort steht das nämlich alles drin. Mit Hintergrund. Und im Detail.

Fazit: Eine lose Aneinanderreihung zeitgemäßer Problematiken. Mehr Aufzählung als Roman. Von daher völlig belanglos.

Frage: wie kommt dieser Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises? Vermutung: die Jury wird wohl keine Zeitungen abonniert haben und muss durch „Nebenan“ erst auf Stand gebracht werden.

Kategorie: Roman.
Verlag: Luchterhand, 2022
Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022

 

Literaturhexle

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Ich hab den Roman noch auf Halde, kriege hier aber den Mund wässrig gemacht. Sonst sind unsere Leute doch eher begeistert.

Sag, gibt es wirklich zwei Julias in diesem Buch? Eine willentliche Mutter und eine Doktorin? Blöd!
Frage: wie kommt dieser Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises?
Ich habe auch kritische Stimmen gehört: der Roman sei etwas für den Kommerz, der Anspruch fehle ihm gänzlich.
Mal gucken, auf welche Seite ich mich schlage;)

Deine Rezension empfinde ich sehr nachvollziehbar mit wunderbar sarkastischer Färbung. Was zum (Be-)Lächeln.
 
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Wandablue

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Wir haben eine Julia und eine Astrid. Astrid ist die Ärztin. Kannst du das berichtigen? Ich war so darauf fixiert, die richtigen Worte für meine Ablehnung des Romans zu finden ...
 
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Literaturhexle

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Ich stehe kurz vor dem Ende und kann deine Kritik nachvollziehen @Wandablue .
Es wird so ziemlich alles aus der Kiste geholt, was man so an zeitgemäßer Sozialkritik finden kann. Ziemlich einseitig wird das alles angerissen und bleibt dann stehen. Ich denke, Julias Gedanken über die Kinderlosigkeit werden sehr realistisch dargestellt, eine Stärke des Romans. Aber wäre es nicht sinnvoller für sie, sie ginge einer richtigen Arbeit nach? (Warum sie nur befristete Verträge hatte, bleibt auch offen. Liegt alles immer nur an den anderen? Haben die blöden Arbeitgeber auch eine frühzeitigere Schwangerschaft verhindert?). Julia hat zuviel Zeit zum Denken. Sie hat einen Laden, kann aber Kunden nicht leiden... Ihr Mann arbeitet immer mehr, macht sich Gedanken ums Geld und sie sitzt zu Hause und guckt sich Kindervideos an...

DBP? Eben wegen jener Sozialkritik.

Der Ton insgesamt gefällt mir und die erste Hälfte fand ich richtig gut! Wäre Bilkau mal bei den Kernthemen geblieben. Jetzt wird es immer mehr und verwässert dadurch.

Es ist mein zweites Bilkau Buch und wohl auch das letzte.
 
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Literaturhexle

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Das ist kein Muss. Man kann auch unversöhnt mit und in der Welt leben. Es wäre sogar das Logischere, bei dieser Welt...
Ein Happy End hätte überhaupt nicht gepasst. Das meint Wanda wahrscheinlich auch nicht. Für mich waren es ein Haufen Befindlichkeiten ohne Vorwärtsbewegung. Konnte mich nicht überzeugen, obwohl ich wohl 3 Sterne gezückt hätte.