Rezension (2/5*) zu Kreutzersonate: Novelle - Penguin Edition von Leo Tolstoi

Yolande

Bekanntes Mitglied
13. Februar 2020
1.777
6.471
49
Fragwürdig

Die Kreutzersonate ist eine Novelle von Leo Tolstoi, die in den Jahren 1887-89 entstand. Zu diesem Zeitpunkt war er schon ein berühmter Schriftsteller, der allerdings eine Sinnkrise durchlebte. Schon seit 1881 hatte er sich intensiv religiösen und moralischen Fragen zugewandt.
In der Novelle schildert Tolstoi die Geschehnisse einer Zugreise. Die Passagiere kommen miteinander ins Gespräch über Liebe und Ehe und während dessen Verlauf offenbart sich der Gutsbesitzer Posdnyschew als Mörder seiner Ehefrau. Die meisten der Mitreisenden wechseln daraufhin empört das Abteil, doch ein Passagier, der Ich-Erzähler, möchte aus Mitleid oder Neugier die ganze Geschichte erfahren.
Zu Beginn ist das Ganze eine unaufhörliche Tirade gegen die herrschende Moral der Gesellschaft, gegen eheliche Untreue und Sexualität an sich. Der Geschichte vorangestellt sind zwei Bibelzitate, die mich schon gleich etwas verstörten. Es gab zu der Zeit eine russische Sekte, die sogenannten „Skopzen“, die völlige sexuelle Enthaltsamkeit propagierte und deswegen sogar die Verstümmlung der Geschlechtsteile, wie Kastration oder Amputation der Brüste, unterstützte. Sie beriefen sich auf ebendiese Textstellen der Bibel.
Dieser Abschnitt hat mich sehr ermüdet und befremdet, weil ich mit den kruden Ansichten des Protagonisten Posdnyschew überhaupt nichts anfangen konnte. Offensichtlich hatte Tolstoi hier versucht, seine eigenen Ansichten im Deckmantel einer Novelle unters Volk zu bringen. Erst als die eigentliche „Handlung“ begann, konnte ich mich ein wenig mit der Geschichte anfreunden. Aber auch hier ufert das Erzählte immer wieder aus und P. stellt sich mehrfach als Opfer der Umstände dar. Er versucht sich zu rechtfertigen und ist doch im Grunde nur ein Mörder, der aus rasender Eifersucht, begründet oder nicht, die physische Stärke gegenüber seiner Frau ausnutzt.
Das Nachwort von Olga Martynova, einer russischen Lyrikerin, Essayistin und Übersetzerin, versucht der Novelle noch einen bedeutenden gesellschaftlichen Stellenwert beizumessen. Eine, in Anbetracht der Berühmtheit des Autors, verständliche Auslegung, der ich aber nicht folgen konnte. Überzeugen konnte mich einzig und allein die manchmal aufblitzende Erzählkunst Tolstois, weswegen ich auch noch zwei Sterne vergebe.


 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.361
21.137
49
Brandenburg
Also bei den Bibelstellen geht es um Eunuchen einmal (Matth19) und zum anderen, darum, dass Ehebruch beim Begehren anfängt (Matth 5).
Ansonsten bin ich ganz bei dir.
 
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