Rezension (2/5*) zu In die Arme der Flut: Roman von Gerard Donovan

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Eine Flut der Widersprüchlichkeit

Es ist der erste Montag im März und ich bin angesichts Gerard Donovans „In die Arme der Flut“ recht ratlos. Der Roman ist erschreckend heterogen, nichts passt zusammen, Inhalt, Sprache, Figuren und didaktische Funktion prallen laut klirrend aufeinander und am Ende bleibt tönender Ärger darüber, dass hier ein Roman entstanden ist, der so offensichtlich gar nicht weiß, was er will, was er soll und warum es ihn gibt.

Fangen wir mal mit dem positivsten Aspekt dieses Buches an: der Sprache. Gerard Donovan beherrscht das Spiel mit Worten, er entwirft wunderbare, nachhallende Sprachbilder, schwingt sich zu lyrischen, atmosphärisch dichten Passagen auf und Natur- und Wetterbeschreibungen gehören zu seinen absoluten Stärken. Gerade im ersten Teil und auch noch zu Beginn des zweiten Teils läuft Donovan zu Hochform auf und demonstriert sein großes Geschick im Umgang mit Sprache. In dieser Hinsicht könnte man höchstens feststellen, dass es zuweilen vielleicht etwas zu verspielt, zu detailverliebt und im Resultat auch langatmig wird.

Auf der Inhaltsebene ist der Roman leider ein unausgegorener Mix aus Donald-Trump-Satire und (Soziale) Medien-Kritik. Sprachlich bleibt sich Donovan hier leider nicht treu. In den Kapiteln, in denen die Medien in sein Visier geraten, beschränkt sich die sprachliche Form auf eine möglichst detailgetreue Kopie von Talkshow- und Nachrichtensendungen. Die Handlung zeichnet die völlig absurd und überspitzt anmutenden Reaktionen der Öffentlichkeit nach, die in ihrem Wahn, Luke Roy zum Helden zu stilisieren, bei Donovan komplett außer Kontrolle gerät und, als sie erfährt, dass er sich das Leben nehmen wollte, wieder diskreditiert. Das Ausmaß der Dinge, die Roy wiederfahren, sind so übertrieben und wenig nachvollziehbar (vor allem dann, wenn der Heldenstatus wieder aufgehoben wird), dass man leider konstatieren muss, dass der Roman in diesen Episoden seinen Anspruch auf Ernsthaftigkeit verspielt. Hinzu kommt, dass durch diese haarsträubenden, überdeutlich skizzierten Entwicklungen die didaktische Funktion dem Leser mit der Brechstange vermittelt werden soll. Es ist eine alte Weisheit, dass Belehrung immer besser durch die Hintertür und mit Raffinesse erfolgt – die meisten Kinderbücher haben das verstanden. Wenn ich aber als Erwachsener mit solch platter Medienkritik konfrontiert werde, die mich dann auch noch auffordern will, umzudenken, bin ich schlichtweg verärgert. Die Eleganz von Donovans Sprache vermisst man beim Transport des moralischen Anliegens schmerzlich.

Dabei muss ich zugeben, dass ich noch nicht einmal sicher bin, dass es nur um Medienkritik geht, denn bei Donovan findet sich unter seinen Figuren auch noch ein religiös Verblendeter und mehrere Selbstmordkandidaten. Die Todessehnsucht und der Wunsch zu sterben werden von Donovan zentral gesetzt. Während im ersten Teil dieses Thema mit sehr viel Überzeugung und Empathie aufs Papier gebracht wird, frage ich mich am Ende des Romans, wie dieser Aspekt mit der Medienkritik zusammenpasst. Außer der Tatsache, dass Luke Roy durch die Enthüllung seiner Selbstmordabsicht in den hanebüchen anmutenden Mahlstrom des Heldentums gerät, kann ich keine sinnvolle Verbindung feststellen. Vielleicht sollen wir uns alle umbringen, weil die Welt von den Medien regiert wird? Oder weckt der Umgang mit Medien Todessehnsüchte? Auch hier wirkt der Roman sehr unausgereift, wie auch in seinem nicht zu Ende gedachten Gebrauch der Legende des Rattenfängers von Hameln, aus dem sogar ein Satz dem Roman als Zitat vorangestellt wird.

Die Figuren sind ein leider ebenfalls ein Problem. Sie sind zu wenig ausformuliert, um Sympathie oder Identifikation zu erlauben. Wenn sie keine Schablonen sind, dann wirken sie wie Marionetten, die in den Dienst der Kritik gestellt werden: oberflächliche Schatten, die orientierungslos durch die Story treiben.

Insgesamt ist „in die Arme der Flut“ ein Roman, der irgendwie unfertig wirkt, dem ein Fokus fehlt, der die verschiedenen Teile auf eine sinnvolle, nachhallende Art zusammenhält. Da wäre sehr viel mehr möglich gewesen, wenn man sich für das eine oder das andere Thema entschieden hätte.

 

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
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Thüringen
Du sprichst mir aus der Seele! Sehr gute Rezension (mal unabhängig von der inhaltlichen Zustimmung meinerseits).
 

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