Rezension (2/5*) zu Fischers Frau von Karin Kalisa

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.056
9.724
49
Buchinformationen und Rezensionen zu Fischers Frau von Karin Kalisa
Kaufen >
Prätentiöses Flickwerk

Fischerteppiche? Niemand, den ich kenne, hat je von ihnen gehört, und jeder, der von ihnen hört, googelt sie und ist sofort geflasht. Mir ging es nicht anders. Insofern hat Kalisa es mit ihrem neuen Roman goldrichtig gemacht. Und rund um das Thema der Teppichknüpferei funktioniert der Roman auch ganz wunderbar. Die Fakten sind bestens recherchiert, die Internationalität und Verwobenheit dieser Welt wird einem vor Augen gestellt. Und so schön, optisch wie haptisch, Kalisa den außergewöhnlichen Fischerteppich beschreibt, der auf dem Schreibtisch ihrer Protagonistin Mia Sund landet, würde man ihn sich am liebsten an die Wand hängen und im Vorbeigehen jedes Mal streicheln. Auch die Vorstellung zweier verflochtener Frauenleben gefiel mir gut. Die Fakten nutzen, um entlang dieses Gerippes ein vergangenes Leben zu rekonstruieren, meinetwegen auch erfinden, und mit einem gegenwärtigen zu verbinden, dadurch Resonanz erzeugen – tolle Sache.

Nur tut Kalisa das nicht. Etwa in der Mitte schneidet sie den Roman in zwei Teile, die notdürftig mit dünnem Faden zusammengehalten werden. Ab diesem Punkt spielen Fakten und Recherche keine Rolle mehr. Kalisas Protagonistin will eigentlich einen Forschungsbericht verfassen; stattdessen beginnt sie völlig unmotiviert, die Geschichte der historischen Frauenfigur als sehr ausführliches Märchen zu fantasieren. Zum Buchtitel passt das, schießt aber über´s Ziel hinaus. Das Ende soll alles zusammenführen, was aber nicht gelingt: Ich habe noch NIE eine schlechtere letzte Seite gelesen.

Kalisas Sprache will literarisch sein und bemüht geschraubte Schachtelsätze, die Mühe haben, den Inhalt rüberzubringen. Auch mit ihren Versuchen, Aphorismen zu schaffen, kam ich nicht zurecht, zum Beispiel: „Nur wenn man irgendwo auch mal stehen bleibt, kann es weitergehen. Sonst geht man einfach.“ Aha. Oder „Nicht Papier ist geduldig, dachte sie, die Zeit selbst ist es.“ Diese Art von Pseudotiefsinn finde ich schwer aushaltbar. Dazu immer wieder Wortspiele wie „…eine bestimmte Schönheit oder eine schöne Bestimmtheit…“ Sowas ist für mich nur Wortgeklingel; ich hatte den Eindruck, Kalisa könne keinem Wortspiel widerstehen, ob es Sinn macht oder nicht. Das Hauptthema des Romans scheint Echtheit und Fälschung zu sein. Die Autorin philosophiert über deren Wesen in langen Sätzen, aus denen ich keine Erkenntnis gewonnen habe.

Auch die Figurenzeichnung gefiel mir nicht. Sämtlichen Romanfiguren mangelt es an physischer Präsenz und Tiefe. Eine Nebenfigur, die mir aufgrund ihrer Unkonventionalität anfangs gut gefallen hat, entpuppt sich als bloße Stichwortgeberin. Die Probleme der mit traumatischen Erlebnissen belasteten Hauptfigur Mia, die im ersten Drittel des Romans auf sehr verrätselte Weise viel Raum einnehmen, lösen sich im letzten Drittel quasi in Luft auf. Die Liebesromanze, die ab der Hälfte das Hauptthema des Romans und zur Erlösung der Hauptfigur wird, bleibt für mich körperlos, wird bis zur Blutlosigkeit idealisiert. Warum muss „die Liebe“ immer noch die ultimative Rettung weiblicher Figuren sein?

Fazit: Ihren thematischen Glücksgriff hat Kalisa verspielt. Das Ergebnis ist ein prätentiöser, sprachlich ärgerlicher Roman, aus Versatzstücken zusammengeflickt, der für mich kein stimmiges Ganzes ergeben hat.


 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.637
16.694
49
Rhönrand bei Fulda
Viele Bücher bekommen Sie erst nach einem halben Jahr in die Onleihe, ist mir erklärt worden. Der Fischerteppich ist noch zu neu. Warte mal ab!
Ja, ich kann mich erinnern, dass ich mal eines ausdrücklich zur Anschaffung bestellt habe, das war "Mädchen" von Edna O'Brien. Es kam dann auch nach wenigen Monaten angetrudelt, ich wurde sogar extra benachrichtigt.
 
  • Like
Reaktionen: Lesehorizont

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.326
5.540
49
53
Die von dir zitierten Stellen sind ja wahrlich hanebüchen!
Stimmt. Glücklicherweise kann ich mich überhaupt nicht an solche Sätze erinnern, nur dass ich es manchmal etwas holprig fand. Von mir gab es vier Sterne - auch weil ich diese Mischung aus Historischem, Mias Alltag und den märchenhaften Elementen anders werte. Das Märchenhafte nimmt gegen Ende zu und schwappt auch in Mias Leben - ich mag das Buch.
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.056
9.724
49
Die von dir zitierten Stellen sind ja wahrlich hanebüchen! Ich habe bisher nichts von der Autorin gelesen und nach dieser Rezi auch nichts in Planung;)
Ja, es gibt noch mehr davon. Die letzte Seite ist an Dämlichkeit nicht zu überbieten, und wenn sich eine Autorin so verabschiedet, ist bei mir Ende Gelände. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es auch Passagen gibt, die gelungen sind. Ich gehöre aber leider zu den Leserinnen, die mehr als 3 dumme Sätze in einem Roman nicht tolerieren. Und hier sind wir eher so zwischen 30 und 300, ok, ich übertreibe, zwischen 30 und 130...
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.480
50.072
49
Ich gehöre aber leider zu den Leserinnen, die mehr als 3 dumme Sätze in einem Roman nicht tolerieren.
Na, das eint dich doch mit unserer Wanda, die eine Floskelphobie hat :p
Ich denke, och bin generell großzügiger, bis, ja bis meine Aufmerksamkeit geweckt wird. Dann kann mich sowas sehr ärgern.

Es gibt aber auch Bücher, die vereinnahmen mich sprachlich so sehr (wickeln mich quasi um den Finger), dass ich geneigt bin den ein oder anderen Missgriff zu verzeihen.
Geschehen wohl bei

Wenn du die Rezis der beiden Moderatorinnen (Renie und ich) vergleichst, hast du zwei Extreme und weißt, was ich meine.
 
  • Like
Reaktionen: Barbara62 und RuLeka

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.056
9.724
49
Wenn du die Rezis der beiden Moderatorinnen (Renie und ich) vergleichst, hast du zwei Extreme und weißt, was ich meine.
Bei sprachlichen Mängeln kommt es halt immer darauf an, wieviel Substanz über die Sprache hinaus vorhanden ist. Es gibt Leute - ein Lesefreund von mir zum Beispiel - die behaupten, ein Buch steht und fällt mit der Sprache, sch...egal, worum es geht. Das glaube ich nicht. Aber umgekehrt kann auch nicht nur der Inhalt ein Buch tragen.

Und dann ist auch nicht jede/r LeserIn gleich sensibel für Nuancen.

Es ist kompliziert. :smileeye
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.637
16.694
49
Rhönrand bei Fulda
Na, das eint dich doch mit unserer Wanda, die eine Floskelphobie hat :p
Ich denke, och bin generell großzügiger, bis, ja bis meine Aufmerksamkeit geweckt wird. Dann kann mich sowas sehr ärgern.
Ich habe einen erheblichen Widerwillen gegen Meta-Beschreibungen wie "das Blut gefror mir in den Adern", "Schmetterlinge im Bauch" und "Pudding in den Knien" und Ähnliches. Ein paarmal kann ich das goutieren, aber ich habe mal eine Liebesgeschichte gelesen, deren erste zwei Seiten fast nur aus solchen Sätzen bestanden. Da möchte ich irgendwann fragen: was fühlt die Person denn nun wirklich? Und gerade in einer Liebesgeschichte, die ja von Gefühlen erzählen soll, nervt es sehr, wenn der Autorin keine andere Benennung solcher Gefühle einfällt als solche Floskeln.

ps. Jetzt muss ich mal was Witziges erzählen. Ich fand mal in einem Roman den Satz (aus dem Kopf zitiert): "Er sah so gut aus, dass es ihr den Atem verschlug." Den wollte ich gerade gern als krasses Beispiel solcher Metasprache zitieren, war mir aber nicht mehr ganz sicher, wie er lautete, und googelte deshalb eben genau diese Formulierung: "sah so gut aus, dass es ihr den Atem verschlug". Probiert das mal aus. Es ist beeindruckend, in wie vielen Romanen anscheinend genau dieser Satz vorkommt!
 
Zuletzt bearbeitet:

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.269
10.698
49
Thüringen
Fazit: Ihren thematischen Glücksgriff hat Kalisa verspielt. Das Ergebnis ist ein prätentiöser, sprachlich ärgerlicher Roman, aus Versatzstücken zusammengeflickt, der für mich kein stimmiges Ganzes ergeben hat.
Ich hatte den Vorgänger der Autorin, „Bergsalz“, gelesen und da sind mir ähnliche Probleme aufgefallen, die du auch hier zu diesem Roman beschreibst. „Bergsalz“ bekam damals auch nur 2 Sterne von mir, weshalb ich mich für den vorliegenden Roman gar nicht erst beworben hatte. Richtige Entscheidung für mich. ;)
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.056
9.724
49
Dieses Statement verstehe ich nicht, klingt wie ein Vorwurf.
Manchmal haben LeserInnen, die ein Buch mochten und dann einen Verriss lesen, das Gefühl, es würde ihnen etwas weggenommen. Will man ja gar nicht, aber es fühlt sich vielleicht so an. Ich versteh das.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.480
50.072
49
Will man ja gar nicht, aber es fühlt sich vielleicht so an. Ich versteh das.
Stimmt. Wir hatten da mal einen Streit in der Rubrik "Bücher, die man unbedingt gelesen haben sollte".
Da hat halt jemand ein Buch eingestellt, das stark polarisierte...
Prompt war die Urheberin eingeschnappt. Ich finde, dass man das nie persönlich nehmen darf. Es geht um eine Sache und Geschmäcker sind verschieden.
Anders natürlich, wenn jemand schreiben würde: alle, denen das Buch gefällt, sind Dünnbrettbohrer oder so ähnlich. Aber sowas rut hier eh keiner;)
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.326
5.540
49
53
Manchmal haben LeserInnen, die ein Buch mochten und dann einen Verriss lesen, das Gefühl, es würde ihnen etwas weggenommen. Will man ja gar nicht, aber es fühlt sich vielleicht so an. Ich versteh das.
Bei mir ist das nicht so. Ich bin mir aber sicher, dass ich mich, wenn ich gezielt auf die Suche gehen würde, über viele Sätze ärgern würden. Da mir diese Sätze beim ersten Lesen nicht aufgefallen sind, belasse ich es hier beim ersten Leseeindruck.
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.056
9.724
49
Bei mir ist das nicht so. Ich bin mir aber sicher, dass ich mich, wenn ich gezielt auf die Suche gehen würde, über viele Sätze ärgern würden. Da mir diese Sätze beim ersten Lesen nicht aufgefallen sind, belasse ich es hier beim ersten Leseeindruck.
Ist ja auch völlig in Ordnung.
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Irisblatt