Rezension (2/5*) zu Das Leben eines Anderen: Roman von Keiichirō Hirano

Irisblatt

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15. April 2022
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Innere und äußere Spurensuche

Selten war ich so froh, ein Buch zuklappen zu können. Schade - denn das Thema der „Identitätswäsche“ fand ich sehr interessant.

Scheidungsanwalt Akira Kido wird eines Tages von Rie kontaktiert, die den Tod ihres liebevollen Ehemanns Taniguchi Daisuke betrauert. Erst nach seinem tödlichen Arbeitsunfall stellt sich heraus, dass Taniguchi Daisuke nicht sein richtiger Name war. Der Unbekannte hatte den Namen lediglich angenommen, wichtige Stationen aus dessen Leben auswendig gelernt und sich so eine fremde Identität angeeignet. Doch zu welchem Zweck? Wer war dieser Mann mit dem sie mehr als drei Jahre glücklich verheiratet war und eine gemeinsame Tochter hat? Was verheimlichte er? Warum änderte er seinen Namen? Rie ist zutiefst verunsichert: Neben dem Gefühl betrogen worden zu sein, beschäftigen sie auch praktische Fragen: Unter welchem Namen soll ihr Ehemann bestattet werden? Gilt das gemeinsame Kind nun als unehelich, weil sie einen Mann unbekannter Identität heiratete, der so nicht bei den Behörden registriert war? Was soll sie ihrem ältesten Sohn erzählen, der seinen Stiefvater liebte und sich nach dessen Tod wünscht, weiterhin seinen Nachnamen zu behalten?

Kido nimmt sich des Falles an und begibt sich auf eine schwierige Spurensuche, in deren Verlauf deutlich wird, dass der Tausch von Identitäten - eine sogenannte Identitätswäsche - in Japan häufiger als vermutet vorkommt. Er geht auch den möglichen, durchaus vielfältigen Ursachen auf den Grund.

Im Zuge seiner Ermittlungen beschäftigt sich Kido zwangsläufig auch mit seiner eigenen Identität. Er ist Zainichi der dritten Generation, hat also eine koreanische Herkunft. Längst hat er die japanische Staatsbürgerschaft angenommen, doch der zunehmende Rassismus der japanischen Bevölkerung gegen koreanische Migrant:innen berühren auch ihn und seine Familie. Kido stellt sich immer häufiger die Frage, welches Leben er führen könnte, wenn er eine andere Identität hätte. Seine Ehekrise begünstigt dieses Gedankenspiel zusätzlich.

Ich bin überhaupt nicht mit dem Schreibstil des Autors zurecht gekommen. Die Erzählweise ist sehr nüchtern, geradezu emotionslos und der gesamte Roman liest sich eher wie ein Bericht, der in großen Teilen so auch in einer behördlichen Akte stehen könnte. Ich konnte mich sehr schwer auf den Text konzentrieren, weil ich ihn sterbenslangweilig fand. Erschwerend kam für mich hinzu, dass die Protagonist:innen im Text mal mit ihrem Vor-, dann wieder nur mit ihrem Nachnamen, manchmal auch mit ihrem vollständigen Namen genannt wurden. Da meine Konzentration sowieso ständig abschweifte, fiel mir die Orientierung schwer. Japanische Leser:innen dürften damit vermutlich keine Probleme haben und ich könnte mir vorstellen, dass sie besser als ich zwischen den Zeilen dieses Romans lesen können. Für mich war die Distanz zu den Protagonist:innen und zur Geschichte zu groß. Entgegen meines ersten Bewertungsimpulses vergebe ich trotzdem nicht nur einen, sondern zwei Sterne für diesen Roman, weil er mich erstmalig auf das Thema "Identitätswäsche" aufmerksam gemacht hat.

 

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