Rezension (1/5*) zu Shylock: Roman von Howard Jacobson.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Buchinformationen und Rezensionen zu Shylock: Roman von Howard Jacobson
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Brauchen wir wirklich einen solchen neuen Shylock?

Seit einiger Zeit läuft bei dem englischen Verlag Hogarth ein Shakespeare-Projekt, in dessen Rahmen anerkannte Autoren sich ein Shakespeare-Stück vornehmen und es in neuem Gewand noch einmal/anders erzählen. In Deutschland tritt als Partner von Hogarth der Knaus-Verlag auf und veröffentlicht die so erscheinenden Romane in deutscher Sprache. So auch den Roman „Shylock“ von Howard Jacobson.
Mit „Shylock“ hat sich Jacobson wohl nicht nur das umstrittenste Werk Shakespeares als Vorlage ausgesucht, sondern hat darüber hinaus auch noch durch den Titel „Shylock“ genau die Figur des „Kaufmann von Venedig“ in den Mittelpunkt gerückt, der für das über Jahrhunderte hinweg Umstrittene wohl verantwortlich zeichnet: der jüdische Geldverleiher, der bei Nichtbegleichen seines erteilten Kredits ein Pfund aus dem Fleisch (sein Herz) seines Kreditnehmers Antonio fordert. Kann man diese Geschichte, die auch in früheren Jahrhunderten die Rolle des Judentums auf von vielen Seiten bezweifelte Weise aufgriff, heute so erzählen, dass sie nach Pogromen und dem Holocaust wirklich ein akzeptables Judenbild vermitteln kann?
Diese Frage stellte sich für mich bei der Lektüre im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin.
Jacobson lässt in seinem Roman den historischen Shylock als Figur quasi „wiederauferstehen“ und stellt ihn einem zeitgenössischen nordenglischen Juden mit Namen Strulovitch als dessen Hausgast an die Seite. Gemeinsam diskutieren sie die Welt und die Geschehnisse rund um die jüngere Generation, vor allem rund um die Tochter Beatrice und ihr Verhältnis zu dem Fußball-Beau und Unterwäsche-Modell Howsome. Strulovitch verlangt von Letzterem als Voraussetzung für eine Beziehung zu seiner Tochter den Übertritt zum Judentum, zu dokumentieren durch die Beschneidung der Vorhaut. Gegen diese Forderung trifft er zunächst auf starken Widerstand, bevor sich später alles praktisch in Luft auflöst, denn bei einer ärztlichen Voruntersuchung des notwendigen Eingriffs wird festgestellt, dass eine solche Beschneidung bereits längst (ohne religiösen Hintergrund) durchgeführt wurde.
In diesem Handlungsschema tauchen viele Motive und Figuren der Shakespeare-Vorlage in neuem Kontext auf. Zitate aus der Vorlage werden in kursiver Schrift im Text aufgenommen. Unvermittelt tauchen auch direkt Figuren (Tubal) aus dem „Kaufmann“ in der nordenglischen Handlung auf, um danach gleich wieder zu verschwinden.
Fazit:
Ich habe den Roman nur mit Mühe bis zu seinem Ende gelesen und wäre ohne die Leserunde sicher nicht bis dorthin gekommen. Drei Aspekte für meine Enttäuschung über den Roman möchte ich dafür anführen:

- Generell muss ich in Frage stellen, ob die Neuerzählung eines alten Werkes wirklich eine gute Idee ist. Jedenfalls bei Jacobson hat mir das keine Freude und Neuerkenntnisse gebracht. Ich wünsche mir neue Geschichten, die gerne alte Themen, die schon mal in früherer Zeit bearbeitet wurden, aufgreifen können, dabei aber ein genügendes Maß an Freiheit und an eigener Kreativität und Aktualität aufweisen. Das habe ich bei Jacobsons Neubearbeitung, die für mich allzu eng und nah an dem Original bleibt, nicht gefunden. Eigene, neue Akzente werden in dem Roman nur irgendwie in die alte Handlung eingeschnürt und damit irgendwie "beschnitten" ;-).

- Vom formalen Aspekt her hat mich "Shylock" nicht überzeugt, da er sich als Roman verkauft, aber wesentliche Prosa-Elemente vermissen lässt oder nicht nutzt. Der Großteil des Romans ist nämlich reiner Dialog; die verbindenden Prosastücke dazwischen bleiben ohne einen irgendwie in Erscheinung tretenden, eine Rolle und Haltung einnehmenden Erzähler. Sie sind letztlich nicht viel mehr als reine Bühnenanweisungen. Heraus kommt ein sehr spröder, anspruchsvoller Text, der in mir nichts an Bilderwelten und Ideenflüssen auszulösen vermochte.

- Inhaltlich war ich oft mehr als irritiert angesichts der Behandlung des Judenthemas, das hier noch so viel mehr im Mittelpunkt steht als bei Shakespeare. Die Klischees und Vorurteile Juden gegenüber, die angesprochen und ins Feld geführt werden, habe ich in keiner Weise durch die mittlerweile gewachsenen historischen Ereignisse angereichert gesehen. So wie sie bei Shakespeare (ansatzweise) waren, sind sie von Jacobson über die Jahrhunderte hinweg schlicht neu aufgenommen worden, um Shylock/Strulovitch als typisierte Vertreter des Judentums zu zeichnen.
Von mir kann der Roman jedenfalls keine Leseempfehlung an andere bekommen.


 
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