Resümee über das Buch

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.465
49.998
49
Resümee/eigene Meinung über das gesamte Buch "Vom Ende einer Geschichte " von Julian Barnes
 

Xirxe

Bekanntes Mitglied
19. Februar 2017
1.629
3.496
49
An meiner Begeisterung für dieses kleine Büchlein hat sich nichts geändert. Es ist zwar keine große Geschichte, aber die Fragen, die der Icherzähler aufwirft, finde ich so treffend für mich selbst, dass ich auch dieses Mal wieder ins Nachdenken versunken bin.
Es gibt ja auch völlige Verrisse zu diesem Buch. Ich stelle da einfach mal eine steile These auf ;) Menschen, die mit Selbstreflektion nichts am Hut haben und ihr eigenes Leben nie hinterfragen, werden diese Geschichte als völlig langweilig empfinden. Denn es passiert ja wirklich nicht viel, der Großteil spielt sich in Tonys Kopf ab. Wie seht Ihr das?
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Literaturhexle

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.349
10.649
49
49
Mir hat der Roman auch sehr gut gefallen.
Viele interessante Lebensweisheiten, eine Geschichte die mich am Ende sehr überrascht hat, was will man mehr. Und es gab viel Raum für Spekulationen, habe viel nachgedacht während des Lesens.
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Literaturhexle

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.349
10.649
49
49
@Xirxe
Genau das gefällt mir an dem Roman sogar sehr gut. Es ist kein Buch das durch eine rasante Handlung punktet. Es zeigt für mich einfach nur die Sicht auf ein Leben eines Menschen der vieles hinterfragt. Aber ich versteh was du meinst, vielen könnte da etwas fehlen.
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Literaturhexle

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.465
49.998
49
Ich habe euch ja schon gesagt, dass beim ersten Lesen nicht so viel bei mir hängen blieb. Es ist nichts zum "eben mal weglesen". Es entfaltet seinen Charakter durch das Nachdenken über die Protagonisten.
Auch Adrian ist eine beschädigte Figur, sein Elternhaus zerrüttet, die Mutter abgehauen. Daher seine Sensibilität, seine Weisheit,... Das gepaart mit überdurchschnittlicher Intelligenz... Ist vielleicht wirklich ein Pulverfass. Als ihn dann die Realität mit der Schwangerschaft einholt, tut er es seinem früheren Schulkameraden gleich und bringt sich um.
Während der ersten Seiten (S. 13 u. S. 20) taucht ja dieses Thema schon auf: Das erotische Prinzip im Konflikt mit dem Todesprinzip, Eros gegen Thanatos.

Adrian wollte irgendwie dieses Abgang. Das war für ihn etwas Großes...

Dass die Mutter dann am Ende schrieb, Adrion sei die letzten Monate seines Lebens glücklich gewesen.... Das zeigt doch, dass es keine adhoc-Entscheidung war...

Mich tröstet es total, dass ihr auch nicht alle Fragen beantworten könnt. Dann soll es wohl so sein.

Für mich hat dieses Buch weniger zu Selbstreflexionen geführt. Es gab keine harten Brüche in meiner Jugend, keine Selbstmorde. Aber ich habe mich in Tony hinein versetzt. Wie er erzählt, ist er ja ein netter Typ. Dieser Brief (den wir ja durch V. zugespielt bekommen) zeigt einen ganz anderen Tony...
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.349
10.649
49
49
Dass die Mutter dann am Ende schrieb, Adrion sei die letzten Monate seines Lebens glücklich gewesen.... Das zeigt doch, dass es keine adhoc-Entscheidung war...

Bei dieser Aussage habe ich so meine Zweifel. Aber wie vieles kann man es nur so stehen lassen, denn dies ist ja nur der Eindruck von Mary Ford, wir haben nie die Meinung Adrians gehört, deshalb wäre mir das Tagebuch so wichtig gewesen. Aber ich denke, dass liegt daran das ich meinen Fokus ziemlich auf Adrian gelegt habe. Naja, irgendwie philosophisch evident ;)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.465
49.998
49
Bei dieser Aussage habe ich so meine Zweifel. Aber wie vieles kann man es nur so stehen lassen, denn dies ist ja nur der Eindruck von Mary Ford, wir haben nie die Meinung Adrians gehört, deshalb wäre mir das Tagebuch so wichtig gewesen. Aber ich denke, dass liegt daran das ich meinen Fokus ziemlich auf Adrian gelegt habe. Naja, irgendwie philosophisch evident ;)
Dem würde ich entgegnen, dass die Mutter das Tagebuch ( von dem wir ausgehen können, dass es die Sichtweise Adrians enthält) für Tony vorgesehen hatte. Warum sollte sie das tun, wenn es belegen würde, dass er an ihr zerbrochen ist?
Letztlich verhindert Veronica, dass Tony Klarheit bekommt. Sie ist für mich eine launische Zicke....
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Sassenach123

Xirxe

Bekanntes Mitglied
19. Februar 2017
1.629
3.496
49
Nachdem ich nun nochmal ein paar Nächte darüber geschlafen und auch Eure Posts darüber gelesen habe, kam ich noch zu einer anderen Idee:
Tony und Adrian stehen für mich für zwei unterschiedliche Lebensauffassungen. Während Tony, wie er selbst auch immer wieder schreibt, das Leben so hingenommen hat wie es kam, selbständig kaum Entscheidungen traf und viel von seinen Ambitionen, Wünschen usw. einfach abgelegt hat, war Adrian ein Mensch, der sehr früh bereits klare Vorstellungen und Werte hatte, für die er auch einstand. Hart ausdrückt: Prinzipientreue gegen Prinzipienlosigkeit. Aber wie man sieht, ist das Eine wie das Andere im Extrem nicht wünschenswert. Prinzipien zu haben und danach zu leben ist wichtig, aber man muss in der Lage sein, zu erkennen, wann man davon abweichen muss. Oder man nimmt sich das Leben.
Adrian wollte irgendwie dieses Abgang. Das war für ihn etwas Großes...
Das glaube ich nicht. Adrian war durch und durch Logiker, ein Rationalist, für den sich der Selbstmord völlig folgerichtig aus dem Vorhergegangenen ergab. Wenn es so sein muss, dass ist es so. Das könnte ich mir als seinen letzten Gedanken vorstellen ....
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

Helmut Pöll

Moderator
Teammitglied
9. Dezember 2013
6.582
11.186
49
München
An meiner Begeisterung für dieses kleine Büchlein hat sich nichts geändert. Es ist zwar keine große Geschichte, aber die Fragen, die der Icherzähler aufwirft, finde ich so treffend
Für mich war das eines meiner Lesehighlights der letzten Jahre @Xirxe

Dem würde ich entgegnen, dass die Mutter das Tagebuch ( von dem wir ausgehen können, dass es die Sichtweise Adrians enthält) für Tony vorgesehen hatte. Warum sollte sie das tun, wenn es belegen würde, dass er an ihr zerbrochen ist?
Ich habe mich auch gefragt, warum die Mutter Tony das Tagebuch von Adrian zukommen lassen wollte, wenn darin doch alles schwarz auf weiß steht, was geschehen ist.

Ich glaube sie hat zwei Gründe. Einmal kann sie nach dem Tod ohnehin nichts mehr verheimlichen. Natürlich hätte sie das Tagebuch vor dem Tod auch vernichten können. Aber vielleicht kam sie nicht mehr dazu, kam vielleicht schnell ins Krankenhaus und nicht mehr zurück, so dass nur Zeit blieb dort ein Testament aufzusetzen. Das wissen wir nicht.
Vielleicht wollte sie auch "nur" reinen Tisch machen und ihre Seele erleichtern. Den Drang scheinen Menschen zu haben. Mörder gestehen auf dem Sterbebett ihre Tat, weil es sie erleichtert. Irgendwie will niemand mit einer Lüge gehen.

Aber ich habe mich in Tony hinein versetzt. Wie er erzählt, ist er ja ein netter Typ. Dieser Brief (den wir ja durch V. zugespielt bekommen) zeigt einen ganz anderen Tony...
Ich finde Tony auch sympathisch. Der Brief ist natürlich indiskutabel, aber seiner jugendlichen Wut geschuldet. Einen Strick würde ich ihm nicht daraus drehen.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.465
49.998
49
@Helmut Pöll
Die Mutter betrachtet Tony als engsten Freund Adrians. Das würde ja auch die Zahlung der 500 Pfund erklären, die Veronica als "Blutgeld" bezeichnet hat. Insofern denke ich, passt der reine Tisch da ganz gut zu. Sie hat ja beides in einem Atemzug vererbt.
Dass Veronica das Testament ihrer Mutter ignoriert und das Vermächtnis nicht ausführt, beweist ja auch, dass Mutter und Tochter zerstritten waren. Veronica scheint aber auch und gerade mit Tony eine Rechnung offen zu haben: sie spielt geradezu mit ihm.... Da bin ich wieder bei meiner These von der verschmähten Liebe.
 

Helmut Pöll

Moderator
Teammitglied
9. Dezember 2013
6.582
11.186
49
München
Für mich ist "Vom Ende einer Geschichte" ein ganz großes Buch, getarnt als kleines Taschenbuch. Barnes hat viel über das Leben nachgedacht und gegrübelt und lässt Tony seine Erkenntnisse verkünden. Beispielsweise dass es nicht eine, sondern mehrere Wahrheiten gibt und dass eine plausible Interpretation eines Geschehens oder einer Person sich im Lauf der Zeit wandeln können. Nicht nur, weil neue Fakten auftauchen, sondern weil sich im Lauf der Zeit die Personen verändern und damit auch ihre Interpretationen darüber, was geschehen ist.

Plötzlich sind Helden keine Helden mehr, sondern Angsthasen hinter einer mysteriösen Fassade. Vielleicht ist in diesem Licht Tony auch gar nicht so langweilig, wie er selber auch manchmal meint. Immerhin ist er - zumindest im Alter - der Reflektierteste von Allen.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.465
49.998
49
Vielleicht ist in diesem Licht Tony auch gar nicht so langweilig, wie er selber auch manchmal meint. Immerhin ist er - zumindest im Alter - der Reflektierteste von Allen.

Ich habe Tony nie als langweilig empfunden. Er ist halt ein "Normalo". Er hatte keine großen Ansprüche an das Leben, keinen tollen Job, aber einen Job bis zur Rente. Seine Ehe hat leider nicht gehalten.

Aber er denkt jetzt eben differenziert über die Sache mit Adrian nach und das zeugt von Charakter. Ich mochte ihn durchweg gern. Das mit der Langeweile hat er als Erzähler so oft wiederholt, dass man es mal glaubt;)
 

Leseglück

Aktives Mitglied
7. Juni 2017
543
1.272
44
67
Ich habe heute erst "Vom Ende einer Geschichte" zu Ende gelesen. Eure Kommentare habe ich mit großem Interesse gelesen.

Mich hat die Novelle, die ohne Zweifel vom Stil her ganz toll geschrieben ist, etwas ratlos zurückgelassen. Ich finde es geht ein bisschen um zu viel in dem Buch.
Da ist zum einen das Thema, das von euch diskutiert wurde: inwieweit stimmt die Geschichte, die ich mir selbst über mich und mein Leben erzähle, mit der "Wirklichkeit" überein. Inwieweit stimmen Fremdbild und Selbstbild überein. Diesen Teil stellt Barnes toll dar. Bei seinen Rückblenden deutet er immer wieder an, dass es nur seine Erinnerung ist bzw. dass das alles ganz anders gewesen sein könnte usw. Das Bild vom eigenen Leben wird immer unschärfer. Er selbst erlebt sich als "Leisetreter" aber der Brief aus seiner Vergangenheit zeigt einen sehr emotionalen, aufbrausenden und rachesüchtigen Mann. Später stellt sich heraus, dass er auch das Bild, das er ein Leben lang von seinem verehrten Freund Adrian hatte, neu zeichnen muss!

In dem Buch wird aber noch ein anderes Thema angesprochen: das Thema der Schuld. Hier wird es mir zu kompliziert. Es soll dargestellt werden, dass selbst ein so zurückhaltender Mann wie Tony dramatisch in das Leben Anderer eingreifen kann, eher unbeabsichtigt. Also im Sinne: Wenn wir leben heißt das automatisch, dass wir andere Leben beeinflussen...z.B. wenn wir eine Beziehung beenden oder jemanden verletzend kritisieren usw. Ja das stimmt alles, aber in dieser Geschichte ist die Schuld, die Tony aus der Sicht von Veronika hat, für mich nicht nachvollziehbar. Nur weil er Adrian geraten hat, sich an die Mutter Veronikas zu wenden oder das Paar Veronika/Adrian verflucht hat???Das erscheint mir zu weit hergeholt...oder ist es die Absicht des Autors so subtil zu sein?

Insgesamt gibt das Buch auf jeden Fall Anlass zum Nachdenken über das eigene Bild, das wir von uns selbst und von unserem Leben haben. Es macht Lust noch weitere Bücher von Barnes zu lesen.
 

Helmut Pöll

Moderator
Teammitglied
9. Dezember 2013
6.582
11.186
49
München
Ja das stimmt alles, aber in dieser Geschichte ist die Schuld, die Tony aus der Sicht von Veronika hat, für mich nicht nachvollziehbar. Nur weil er Adrian geraten hat, sich an die Mutter Veronikas zu wenden oder das Paar Veronika/Adrian verflucht hat???Das erscheint mir zu weit hergeholt...oder ist es die Absicht des Autors so subtil zu sein?
Nein, Veronikas Verhalten Tony gegenüber und ihre Schuldvorwürfe sind nicht nachvollziehbar, da stimme ich Dir zu @Leseglück . Klar wird sie immer den Brief im Hinterkopf behalten, aber für die ganze Misere, die dann passiert, ist Tony nicht verantwortlich.

Vielleicht wollte Barnes einfach nur "realistische" Figuren schildern, keine, die idealtypisch und immer rational agieren. So Leute wie Veronika, die immer einen Sündenbock brauchen, gibt es aber bestimmt.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.465
49.998
49
@Leseglück
All deine Gedanken rund um das Buch sind richtig und du stellst die Grundproblematik zusammengefasst auch klar dar.
Ich hatte beim ersten Lesen des Buches auch massive Schwierigkeiten. Man bekommt hier keine Lösung! Vieles bleibt einfach offen.
Das mag ungewohnt sein, gibt uns aber eben Raum für eigene Gedanken.
Ich sehe es wie @Helmut Pöll : Tony trägt keine Verantwortung an Adrians Selbstmord (oder nur eine kleine). Als Erwachsener Mensch muss man mit Konflikten umgehen können und bei der Zeugung des Kindes war wohl auch niemand anderes im Spiel...

Die Ratlosigkeit, in die man am Ende der Geschichte fällt, könnte genau so vom Autor beabsichtigt sein ;)
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Xirxe und Leseglück

Leseglück

Aktives Mitglied
7. Juni 2017
543
1.272
44
67
Danke für eure Antwort @Helmut Pöll und @Literaturhexle!
Dass Veronika einen Sündenbock sucht finde ich einen guten Gedanken. Also konstruiert sie sich auch eine Gedankenwelt, die höchst fraglich ist! Was wiederum zum Thema passt.
Ja, die unbeantworteten Fragen haben auch ihren Vorteil: man muss sich eigene Gedanken zu dem Thema machen. Das ist ja auch das Schöne am Lesen:)
 

Helmut Pöll

Moderator
Teammitglied
9. Dezember 2013
6.582
11.186
49
München
Dass Veronika einen Sündenbock sucht finde ich einen guten Gedanken.
Vor allem aber muss sie, wenn sie Tony zum Sündenbock macht und Adrian in der Opferrolle lässt, ihr eigenes Bild von Adrian nicht revidieren. Denn wenn Veronika ihr Bild von Adrian revidieren würde, dann hiesse das ja auch, dass sie sich geirrt hat, unter anderem indem sie ihn geheiratet hat. Nur so eine Idee von mir @Leseglück
 
  • Like
Reaktionen: Leseglück und Xirxe