Verblüfft lese ich Badawis Ausführungen zum Leben seiner Großmutter – einem Leben, an dem die Frau Seite an Seite mit dem Mann teilnahm, ob bei der Feldarbeit, auf dem Basar oder bei Feiern.
Im krassen Gegensatz steht dazu steht sein nächstes Kapitel: Ein männlicher Begleiter für jede Stipendiatin!
In Badawis Zeilen schwingen Scham über die Bloßstellung der Frauen mit, aber auch Trauer, Wut und Ironie – Galgenhumor?
Abstattungsehe – ein Begriff, der eine besonders perfide Form der sexuellen Ausbeutung der Frau beschreibt. Hier wird der Begriff Ehe als absurdum aufgezeigt, denn die Abstattungs-Ehefrau muss auf jegliche materielle Absicherung verzichten.
Das Buch – Zum ersten Mal in der Geschichte der internationalen Buchmesse in Riad haben die Organisatoren auch Frauen den Eintritt erlaubt … Badawi erläutert dazu die religiösen Festlegungen Ichtilat und Chalwa …
In Kultur des Todes beschäftigt sich der Autor mit dem Arabischen Frühling und tritt mutig für das Lebensrecht Israels ein. Weitergehend weist er auf die wechselnde Rolle des Klerus in der Gesellschaft hin und folgert mutig:
"Schau doch, wo Europa heute steht; nachdem die europäischen Völker es endlich geschafft haben, die Pfaffen aus dem öffentlichen Leben heraus zu drängen …
Und er trifft eine schmerzhafte Aussage: … dass ein Ignorieren dieser europäischen Erfahrungen, dazu führen wird, das die Muslime in ihrer Niederlage stecken bleiben werden.
Der Wendepunkt – Badawi identifiziert sich mit der gelungenen Revolution in Ägypten mit der ihm eigenen humorvollen Lyrik: "Sei gegrüßt, du edles Volk, das aus seinem Nickerchen erwacht ist …"
Im "Der Arabische Frühling" hinterfragt Badawi die westliche Säkularisierung, doch bedrückend war für mich sein Satz:
"Vielleicht hast du jetzt die Peitsche, mit der du dir die ganze Zeit deinen Rücken gegeißelt hast …"
Das Lesen dieser Zeilen hat mich tief bewegt, denn sofort erwachten in mir die verwackelten Handybilder von der Auspeitschung Badawis.
Im Saudi-Arabien des 21. Jahrhunderts manifestieren sich die mittelalterlichen Strafmethoden des Auspeitschens, des Abtrennens von Gliedmaßen und Köpfen nicht nur im Strafrecht, sondern auch in den Köpfen seiner Einwohner.
Fazit: "1000 Peitschenhiebe von und für Raif Badawi sind für mich kein Buch, keine Unterhaltungsliteratur; dieses aus Blogbeiträgen zusammengestückelte Werk spiegelt den Lebens- und Leidensweg eines denkenden Menschen, einer ganzen Generation wieder, die im 21. Jahrhundert lebt und doch im finstersten Mittelalter gefangen ist.
Perverser Weise sind die 1000 Peitschenhiebe für den Denker und kritischen Hinter-Frager Raif Badawi die "logische" Konsequenz für dieses in seinen mittelalterlichen Strukturen und Denkweisen gefangenen Königshauses, dass glaubt mit seinem Öl alles kaufen zu können.
Es ist für mich eine bereichernde Erfahrung mit lesenden Mitstreitern von watchaREADIN dieses Werk gemeinsam erkundet zu haben. Andererseits denke ich, dass diese literarische Mahnung die Pflichtlektüre aller westlichen Politiker insbesondere unsere Regierenden sein müsste und sie dessen Inhalt in ihren "Foren" einmal erörtern sollten.
1000 Peitschenhiebe für 65 Seiten, für Raif Badawi, Anno 2015 – "Tags", die ich nie vergessen werde.
Mit lesenden Grüßen,
Frank