NACHWORT und FAZIT zu "Schwäbisches Capriccio"

Literaturhexle

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2. April 2017
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Welche Erkenntnisse zieht ihr aus dem Nachwort von Berthold Forssman?

Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen. Bitte schreibt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

Federfee

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13. Januar 2023
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Fazit
Diese Geschichtensammlung hinterlässt ein wohliges Gefühl, auch wenn manche Episoden nicht lustig waren oder wenn ich manchmal den Kopf wegen der Ignoranz einiger Personen schütteln musste oder wenn Eglitis alle möglichen menschlichen Verhaltensweisen ironisch aufs Korn nimmt.

Auch wenn er sich auf der Schwäbischen Alb umgesehen hat und 'schwäbisch' sogar im Titel steht, so ist da das Wort 'Capriccio' zu lesen, das so leicht, locker und närrisch klingt und so meinte ich beim Lesen ständig allgemein erkennbare und festzustellende menschliche Eigenschaften zu erkennen.

Alles in allem hat es großen Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen. Wie immer bei einer Sammlung verschiedener Episoden gefielen mir manche mehr, manche weniger. Die 'Melusine' ist meine Lieblingsgeschichte und das Ende fand ich bewundernswert abgerundet. Für mich ist es keine Frage: 5 Sterne für Anšlavs Eglītis und sein erzählerisches Können sowie den schmunzelnd-kritischen Blick auf menschliche Schwächen.​
 

Federfee

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13. Januar 2023
3.183
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Anhang

Der Übersetzer Berthold Forssman geht noch einmal auf Anšlavs Eglītis Leben ein und es ist klar, dass es zwar nicht autobiografisch ist, dass aber der Aufenthalt des Autors in Schwaben viele Anregungen und Beobachtungen geboten hat.

Gut finde ich die Bemerkung, dass dieses Buch 'in keine Kategorie' passen will (muss auch nicht) und dass es ein buntes Kaleidoskop ist. So habe ich das auch empfunden.​
 

Literaturhexle

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2. April 2017
20.807
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Dieses Capriccio macht einfach Spaß und weckt die Lesefreude. Jede Erzählung bringt einem die Protagonisten auf eine angenehm liebevolle, zuweilen spitzbübische Weise nah. Die anfängliche Schwere verliert sich zunehmend. Der Autor nutzt dabei eine sehr schöne, bildreiche Sprache. Es wird deutlich, dass Protagonist und Beobachter Drusts in Pfifferlingen gut angenommen wurde, dass er auch die Vorzüge des Städtchens immer stärker zu schätzen weiß. Sein Blick auf die Menschen mit ihren Schrullen und Eigenarten ist im Verlauf doch viel versöhnlicher und liebevoller geworden.Wie Drusts vier Jahre überlebt hat ohne zu arbeiten, bleibt ein Rätsel, ausgebombt ohne Gepäck, wie er ankam. Das ist eben nicht das Thema des Buches.
Der Bogen wird gespannt, Eglītis bringt den Roman stimmig und rund über die Ziellinie.

Das Nachwort des Übersetzers hat mir sehr gut gefallen! In genau der richtigen Dichte erfahren wir einiges über Autor, Werk und wie es überhaupt zu dieser deutschen Ausgabe kam. Auch die kurzen Interpretationsansätze finden meine Zustimmung.

Ein absolut empfehlenswertes, kurzweiliges Buch, das interessante, oft humorvolle Einblicke auf die Nachkriegszeit in der schwäbisch-deutschen Provinz zulässt. Hat mich sehr begeistert!
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Dieses Capriccio von Geschichten aus der Provinz in der Kriegs- und Nachkriegszeit konnte mich erreichen und hat mir sehr viel Freude gemacht, mir ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert und mir so eine freudige Lektüre beschert. Manchmal habe ich bedauert, dass die wundervolle Geschichte rund um Peteris nicht stringent weitererzählt wird. Denn die nächtliche Ankunft im vollkommen unbekannten, verdunkelten Pfifferlingen, geleitet von einem Menschen, der ihm bis zum Ende des Buches und damit seines langjährigen Aufenthaltes unbekannt geblieben ist, fand ich eine brilliante Einleitung in ein Eintauchen in eine dichte Geschichte. Das war dann ja auch so, aber eben anders als erwartet. Die dichte Geschichte nahm sich immer mehr den Ort Pfifferlingen mit seinen Bewohnern, die dann doch weitestgehend unterschiedliche Namen hatten, vor und entwickelte ein buntes Bild des Lebens in diesem vom Krieg etwas verschonten Teil Deutschlands. Die Geschichten dabei strotzen vor Übertreibungen und schildern uns Schildbürgerstreiche, die hier Pfifferlingbürgerstreiche sind, aber nicht weniger absurd und auch witzig. Und trotzdem bleibt dem Leser Peteris erhalten. In diesem bunten Treiben der Pfifferlinger taucht er plötzlich und unerwartet immer wieder auf und schafft so auch einen inneren Zusammenhang der Geschichten, die auch im letzten Kapitel richtig zu einem runde Ende geführt wird: Peteris reist ab und trifft nochmal (fast) alle vom Autor eingeführten Pfifferlinger Bürger, bevor er sich zum Bahnhof begibt. So wird ein für mich tolles und überraschend gestaltetes Buch abgeschlossen, nachdem es mir diesen kleinen schwäbischen Ort so richtig warm ans Herz gelegt hat. :joy
 

dracoma

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16. September 2022
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Ein junger Lette, gebildet, aus gutem Haus, wird durch die kriegerischen Ereignisse zum Heimatlosen und strandet eher zufällig in der kleinen Stadt Pfifferlingen auf der Schwäbischen Alb. Die autobiografischen Bezüge sind unübersehbar, und man kann davon ausgehen, dass der Protagonist das Alter Ego des Autors ist.

Vier Jahre wird Dursts dort bleiben, und seine Erinnerungen legt er in mehreren Episoden vor. Es sind skurrile und schwankhafte Geschichten, die oft genug an die Schildbürgerstreiche erinnern, aber in fast allen Geschichten schwingt auch etwas Bitteres mit. Der Blick des eher großbürgerlichen Ausländers auf die Schwaben ist nicht frei von Kritik. Er sieht die sprichwörtliche Sparsamkeit der Schwaben, der oft genug in Geiz und auch Gier umschlägt, wenn z. B. einer gierig das gefundene Dach in seine Einzelteile zerlegt, bevor er merkt, dass es sich um das Dach seines eigenen Stalles handelt. Es sind aber nicht nur schwäbische Eigenschaften, sondern vielleicht auch allgemeinere deutsche und auch menschliche Eigenschaften, die er subtil vorführt. Es ist nicht nur der schwäbische, es ist auch der deutsche Spießbürger, den er betrachtet.
Und diesem Spießbürger hält er wie schon Eulenspiegel einen Spiegel vor, und damit es nicht allzu weh tut, verkleidet er seine Beobachtungen in kleine Schwänke, über die man als Leser getrost lachen kann.
Pfifferlingen liegt abseits der großen Zeitgeschichte (Ende II. Weltkrieg), aber trotzdem zeigt sich ab und an ein Widerhall. Auch in Pfifferlingen sind die Lebensmittel rationiert, der Schwarzmarkt blüht, Hamstern, Geldentwertung, Armut, Kriegsgewinnler und auch das unbeschadete Erstarken der alten Nazi-Funktionäre - all das beobachtet Eglitis sehr genau. Und immer wieder sein Heimweh. Schon im 1. Kapitel erzählt er es seinem Leser, wenn er eine Übernachtung im Gasthaus "Zum Bären" ablehnt, weil der Name ihn offensichtlich an den russischen Bären erinnert. Immer wieder thematisiert er kurz, aber eindringlich seinen Schmerz über den Verlust seiner Heimat Lettland.
Die Episoden bestechen durch eine wunderbar elegante und leichtfüßige Sprache, mit witzigen Vergleichen und viel subtiler Ironie. Ein absoluter Lesegenuss.
Ich finde es schön, dass der Verlag uns diesen Schriftsteller - war mir bis dato unbekannt - zugänglich gemacht hat.
 
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Reaktionen: Barbara62

Barbara62

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19. März 2020
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17.928
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Das Nachwort hat mir sehr gut gefallen, informativ und zugleich auch persönlich. Die Schwierigkeiten bei der Übersetzung bei einem Autor, der nicht mehr am Leben ist, sind sehr interessant.

Ich habe das Buch unheimlich gern gelesen, obwohl ich eigentlich weder Schelmenromane noch Geschichtensammlungen wirklich schätze, und ich fühle mich als Schwäbin nicht angegriffen. Manches habe ich wiedererkannt, manches hat mich über uns nachdenken lassen, manches ist krass überzeichnet mit wahrem Kern, manches würde ich anders deuten als der Besucher aus der Fremde, manches gilt über Schwaben hinaus, wir haben darüber diskutiert.

Meine Rezension: