Nachwort und editorische Notizen sowie Euer Fazit

Emswashed

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9. Mai 2020
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Das Nachwort hat mir den Wind aus den Segeln für einen Verriss genommen. Aber eigentlich war es schon der Beitrag "Tag um Tag", der meine Wut über die Unverständlichkeit der Geschichten, verrauchen lassen hat.
Teresa Präaus hat den Schalk im Nacken, als sie denselben Kunstgriff wie Clarice verwendet und sich selbst als lästige Nachwortschreiberin bezeichnet.
Sie lebt und liebt die Texte, ihre Begeisterung ist zu spüren und fast möchte ich mich beschämt zurückziehen, weil ich nicht genügend Energie dafür aufgebracht habe.

Aber das hier fiel mir dann, mehr oder weniger spontan, doch noch ein.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Für mich war das Nachwort auch durchaus etwas erhellend. Ich muss allerdings sagen, so groß die Begeisterung von Teresa Präaus für die Geschichten Lispectors ist, dass es mich auch wieder genervt hat, dass da jetzt selbst die Nachwortverfasserin wieder ganz genauso schreibt, wie die zu besprechende Autorin. Von einem Nachwort erhoffe ich mir einen außenstehenden Blick und gern auch einen neutraleren Stil. Wer die vorherigen Geschichten sehr genossen hat bezüglich des Stils, wird auch das Nachwort genießen, wer jetzt endlich mal "Tacheles" erwartet, muss schon wieder durchhalten bis zu einem merkwürdigen Ende...
Im ersten Moment fand ich den Kunstgriff, sich wie Clarice als lästige Nachwortschreiberin zu bezeichnet, auch ganz witzig. Aber beim nochmaligen Überlegen gefällt mir das doch nicht. Ich habe ja selbst einmal als Hobby-Rezensentin hier im Forum eine Rezi im Stil von Gerda Blees' "Wir sind das Licht" geschrieben. Das geht meines Erachtens mal durch, wenn man anderen Lust auf den außergewöhnlichen Stil einer Autorin machen will und die Lektüre in der eigenen Rezension empfiehlt. Als professionell engagierte Nachwortschreiberin erhoffe ich mir aber ein bisschen weniger profanes Fan-Dasein/Fantum (ihr wisst, was ich meine) und mehr neutraler Blick von oben (oder eben zurück) auf die Texte. Eine noch knackigere biografische Einordnung hätte mir gefallen, wenn es ja nun auch (semi)biografische Bezüge gibt in den Geschichten.
Insgesamt hätte mir als Stütze für die Lektüre im Rahmen einer solchen Sammlung (zusätzlich oder für sich allein stehend) ein Vorwort sehr geholfen, um dann mit den Erzählungen etwas mehr Geduld zu haben. Außerdem fehlten mir eindeutig die Jahreszahlen zur Veröffentlichung der einzelnen Geschichten. Wenn schon nicht unter jedem Kurzgeschichtentitel innerhlab des Buches, dann doch wenigstens am Ende im Inhaltsverzeichnis vielleicht in Klammern dahinter. Die Aussage ganz zum Schluss, dass die Geschichten chronologisch geordnet sind, ist zwar nett zu wissen, reicht mir dann aber nicht aus.

Zum Fazit: Ich muss sagen, dass im Rückblick für mich als einizge "Perle" der Geschichtensammlung "Die Flucht" im Gedächtnis geblieben ist. Ich merke schon jetzt, dass mir viele der Geschichten bereits entfallen sind. Die Lektüre war nicht nur anspruchsvoll und fordernd, sondern leider auch recht zäh. Häufig war mir unklar, wo es hingehen soll mit einer Geschichte und wenn ich dann einmal dachte, eine Vorstellung zu haben, war für mich das Ende einer Geschichte vollkommen unerklärlich und hinterließ sehr viele Fragezeichen. Aber leider keine "guten" Fragezeichen, sodass ich mich gern noch länger gedanklich mit einer Geschichte habe beschäftigen wollen. Viele Geschichten wirkten mir wie intellektuelle Fingerübungen. Innerhalb der Geschichten habe ich aber durchaus auch kleine intelligente Miniaturen für mich entdecken können, die auch sehr ansprechend formuliert waren. Leider führten häufig darauffolgende Sätze wieder zu einem Knoten im Kopf und es blieb nicht bei dem verzauberten Moment.
Ich muss zugeben, dass ich nur bei einer Bewertung von 2,5 Sternen für das gesamte Büchlein mit Bezug auf die Anmerkungen, Nachwort, Präsentation etc. gelandet bin. Nun ist ja für mich für die Entscheidung zwischen 2 oder 3 Sternen immer ausschlaggebend, ob ich ein Buch weiterempfehlen würde. Und dieses würde ich mit vielen "Gebrauchshinweisen" für eine sehr spezielle Personengruppe durchaus weiterempfehlen. Mir fällt zwar niemand in meinem literarischen Bekanntenkreis ein, der diese Voraussetzungen erfüllen würde, aber es gibt diese Menschen auf jeden Fall. Und wenn sie unter den Literaturwissenchaftlern zu finden sind. ;)

Nachtrag: Findet jemand von euch irgendwo im Buch oder auf dem Schutzumschlag irgendwelche biografische Angaben zu Lispector? Ich bin entweder blind oder es gibt keine! Das finde ich dann merkwürdig. Ich möchte doch nicht Google befragen müssen, wenn ich das Buch einer Autorin in die Hand nehme. Wenn ich im Buchladen stehe, als Nicht-Smartphone-Besitzerin, sollte es doch auf den ersten Blick möglich sein, im Buch Infos zur Autorin zu finden. Sonst wüsste ich ja im Zweifelsfall nicht einmal, dass es eine bereits verstorbene Künstlerin ist. Ich suche gleich noch einmal, finde ich dann nichts, muss ich sagen, dass das für mich ein Minuspunkt wäre. So schwanke ich mit Blick auf die gesamte Ausgabe doch an meiner Entscheidung für das Aufrunden auf 3 Sterne... Schwierig. :confused:
 
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otegami

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17. Dezember 2021
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Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn ich in Büchern, noch dazu bei Kurzgeschichten, im Inhaltsverzeichnis nachschlage, wie viele Seiten noch zu lesen sind!

Bei einer Sammlung von 30 Kurzgeschichten – nach der Entstehung geordnet – kann wahrscheinlich nicht jede gefallen! Das ist mir auch bewusst!

Außerdem herrschte in dieser Zeit, wo sie entstanden (1940 – 1977) bei vielen auch noch ein anderes Frauenbild. Aber auch die negative Einstellung vieler Protagonistinnen stieß mich einfach ab.

Terese Präauer versuchte wohl, in ihrem Nachwort mit ihrer Begeisterung anzustecken. Das gelang ihr aber nicht bei mir – ich war einfach froh, als das Buch zu Ende war.

Als sehr positiv empfand ich das Format, das Cover und das dazu farblich passende Lesebändchen - ein echter Genuss bei Manesse!

Fazit: mehr als 3 Sterne kann ich leider nicht vergeben!
 

petraellen

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11. Oktober 2020
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ich habe zwar nicht mit diskutieren können, doch das Buch auch zwischenzeitlich gelesen. Ich hoffe es ist in Ordnung, wenn ich mein Fazit trotzdem hier einbringe. Kurzfazit: Ich bin begeistert. Die Erzählungen zeigen die Seite des menschlichen Lebens, mit Höhen und Tiefen und Erwartungen, die in der kurzen Form einer Erzählung brillant geschrieben sind und sich einer anhaltenden Düsterkeit nicht entwinden können.

 

otegami

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17. Dezember 2021
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Kurzfazit: Ich bin begeistert. Die Erzählungen zeigen die Seite des menschlichen Lebens, mit Höhen und Tiefen und Erwartungen, die in der kurzen Form einer Erzählung brillant geschrieben sind und sich einer anhaltenden Düsterkeit nicht entwinden können.

Ich freue mich, dass Du von diesem Buch begeistert warst! (Das Lesen fiel Dir da bestimmt leichter ;) , wenn es ein Genuss war!)
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Ja, ich mag solche Geschichten. Ebenso die Kurzgeschichten von Alice Munro.
Die Munro Geschichten sind aber sehr viel verständlicher.

Ich glaube ich hätte Lispector besser folgen können, wenn sie heute schreiben würde. Es wären immer noch Gedankenschnipsel und Kryptisches, aber vielleicht hätte ich eines Chance, es zu entschlüsseln.
 

Renie

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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Welch ein Buch!
Rückblickend festigt sich bei mir der Eindruck, dass es mit dieser Sammlung an Erzählungen nicht um die Geschichten an sich geht, sondern um die Person Clarice. Will heißen: ich verstehe zwar selten bis gar nicht den tieferen Sinn einer Geschichte, doch entwickelt sich bei mir das Bild einer sehr eigenwilligen Autorin, die in Brasilien gefeiert wurde. Ihre Berühmtheit hat sie meines Erachtens nicht ihrer schriftstellerischen Brillanz zu verdanken, sondern dem Mythos ihrer Persönlichkeit, den man aus ihren Geschichten herausliest und der durch weitere Faktoren begünstigt wird, bspw. ihr ungewöhnlicher Name.
Anhand der Geschichten, die ich gelesen habe, dichte ich ihr folgende Eigenschaften an:
exzentrisch, depressiv, verschlossen, manchmal arrogant, sensibel, emanzipiert, divenhaft, geheimnisvoll. Ich kann nicht anders, aber ich muss bei Clarice immer an das Auftreten der Existentialisten denken, wobei deren Philosophie nicht viel mit Clarice zu tun hat (gemessen an dem bisschen, das ich von Clarices Geschichten verstehe) Ich sehe also Leute wie Camus, Sartre und Simone de Beauvoir vor mir - alle schwarz gekleidet, mit einem düsteren Blick auf das Leben.
Wenn nicht nur ich dieses Bild von CL vor Augen habe, wundert mich nicht, dass die Literaturwelt ihre Geschichten in den Himmel hebt.
Manesse hat daher nicht die Geschichten verlegt, sondern eher das Gesamtpaket Clarice Lispector, inklusive Mythos. Und das ist dem Verlag gut gelungen.
Und sind wir mal ehrlich: viele Klassiker "leben" von dem Mythos ihrer Autoren. Manch schlechter Roman (nach unseren Maßstäben) erhält doch bereits Bonuspunkte, noch bevor man ihn gelesen hat.
Sind die Geschichten von CL jetzt schlecht? Spontan waren viele schlecht, weil ich sie einfach nicht verstanden habe bzw. mit manchem kafkaesken Moment nichts anfangen konnte. Hätte ich jemanden neben mir sitzen gehabt, der mir nähere Erläuterungen gegeben hätte, hätte ich mir vermutlich ein qualifizierteres Urteil bilden können.
Dennoch gab es Geschichten, die ich gern und mit Interesse gelesen habe. Dies waren durch die Bank weg diejenigen Stories, welche einen nachvollziehbaren Handlungsfaden hatten und nah an der Realität waren.
Unterm Strich wird mir CL als Erzählerin schräger und kafkaesker Geschichten in Erinnerung bleiben, ohne dass ich mich auf lange Sicht an einzelne ihrer Geschichten erinnern werden kann.
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Ihre Berühmtheit hat sie meines Erachtens nicht ihrer schriftstellerischen Brillanz zu verdanken, sondern dem Mythos ihrer Persönlichkeit, den man aus ihren Geschichten herausliest und der durch weitere Faktoren begünstigt wird, bspw. ihr ungewöhnlicher Name.
Anhand der Geschichten, die ich gelesen habe, dichte ich ihr folgende Eigenschaften an:
exzentrisch, depressiv, verschlossen, manchmal arrogant, sensibel, emanzipiert, divenhaft, geheimnisvoll. Ich kann nicht anders, aber ich muss bei Clarice immer an das Auftreten der Existentialisten denken, wobei deren Philosophie nicht viel mit Clarice zu tun hat (gemessen an dem bisschen, das ich von Clarices Geschichten verstehe) Ich sehe also Leute wie Camus, Sartre und Simone de Beauvoir vor mir - alle schwarz gekleidet, mit einem düsteren Blick auf das Leben.
Ja, ja, ja!!!!! :thumbsup:thumbsup:thumbsup:thumbsup:thumbsup:thumbsup Gedacht habe ich mir das wohl auch irgendwie, aber Du hast es wunderbar in Worte gefasst!!!!! Danke!
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Manesse hat daher nicht die Geschichten verlegt, sondern eher das Gesamtpaket Clarice Lispector, inklusive Mythos. Und das ist dem Verlag gut gelungen.
So wird es denn sein.

Lobenswert sind die vielen "modernen" Themen, die Lispector anschneidet. Seien es verschiedene sexuelle Präferenzen, Arm und Reich, Emanzipation, Rollenklischees, Leben und Tod und so vieles mehr. In zahlreichen Bereichen war sie eindeutig ihrer Zeit voraus. Das ist erstaunlich. Ihr besonderer Fokus liegt auf der Rolle der Frau, auf Klassenvorgaben und Fluchtwegen, die sich meist nur surreal oder in der Fantasie der Protagonistinnen abspielen.
Lispector war eine Feministin.

Leider haben mir nur die wenigsten Erzählungen gefallen. Daran hätte auch eine Jahreszahl der Entstehung nichts geändert. Im ersten LA bin ich noch mitgegangen, habe Auslegungen gesucht und wiederholt gelesen. Mit der Zeit haben mich die kafkaesken, sprunghaften und abstrusen Gedankengänge abgeschreckt. Ich bin wohl zu normal für dieses Büchlein.

Äußerlich bin ich begeistert von dem kleinen Manesse-Band. Allerdings hätte ich mir vom Nachwort mehr Konkreta erhofft. Hier ist jemand begeistert und belegt das mit Textstellen. Erklärt wird wenig, mein Vorhang wird nicht angehoben...

Ich mag Kafka nicht. Ich verstehe Lispector nicht. Danke für diesen zähen Ausflug in eine literarische Welt, die nicht meine ist. Auch das muss man erst einmal feststellen dürfen.
Mehr als gut gelaunte 3 Sterne werden es nicht, aber auch nicht weniger. Ich muss ehrlich manifestieren, dass mein Horizont für die Welt der Madame Lispector nicht ausreicht. Sie mag ihre literarischen Qualitäten haben - jedoch bin ich leider nicht in der Lage, diese zu würdigen :think.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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29. März 2022
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Mainz
Bedingt durch den längeren Familienbesuch konnte ich die Leserfahrung gut sacken lassen und habe nun meine Rezension verfasst. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass ich gerne mal einen Roman von Lispector lesen würde. Der Prosaband konnte mich einerseits nicht immer überzeugen, andererseits sehe ich aber durchaus auch viel Potenzial der Autorin. Ich habe vor Jahren mal einen Roman von ihr aus dem Bücherschrank mit genommen. Vielleicht probiere ich es es ja zeitnah mal damit. Grundsätzlich interessiere ich mich ja insbesondere für sozial- und gesellschaftskritische Werke aus aller Herren Länder. Lispector mag ich noch nicht voreilig abschreiben...