"NACHWORT" sowie FAZIT zu "Eine Laune Gottes"

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.264
10.631
49
Thüringen
Hier könnt ihr ggf. zum Nachwort von Margaret Atwood diskutieren.
Und wie immer:
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Worin liegen seine Stärken und Schwächen?
Bitte schreibt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.264
10.631
49
Thüringen
Das Nachwort von Margaret Atwood war für mich noch einmal sehr passend. Inklusive kleiner Anekdote. Allerdings muss ich das Nachwort definitiv wieder vergessen haben, bis ich die Rezension schreibe, da Atwood das Buch einfach mit so passenden Worten beschreibt. Die will ich ja nicht unfreiwillig abkupfern. ;)

Das Fazit zu diesem Buch könnte meinerseits recht kurz ausfallen: WOW.
Ich bin wirklich hingerissen von diesem zeitlosen Stück Literatur. Die Erzählstimme der Rachel ist so grandios getroffen, nachvollziehbar und psychologisch logisch hergeleitet, dass man glaubt direkt mit ihr zusammen ihren Kopf zu bewohnen. Die Stringenz, mit der Laurence ihre Figuren entwirft und sie handeln lässt gefällt mir sehr. Sie rückt die Frau in den Mittelpunkt und entscheidet sich gezeilt dagegen den männlichen Protagonisten als ritterlichen Retter darzustellen. So wie Rachels Mutter für ihr eigenes Leben verantwortlich ist, so ist letztlich natürlich auch Rachel für ihr Leben verantwortlich und diese Erkenntnis sowie die Konsequenzen daraus, spiegelt Laurence passend wider. Jetzt muss ich doch Bezug nehmen auf das Nachwort von Atwood, die sehr gut beschreibt, dass Rachel von einer kindlichen Unmündigkeit über jugendliche Lust hin zu einer Erwachsenen aufwächst. Und das alles innerhalb eines geschätzt halben, dreiviertel Jahres. Der abschließende liebevolle Blick in eine noch ungewisse, aber doch selbstbestimmte Zukunft für Rachel hat für mich das Buch wirklich rund gemacht. So werden Themengebiete angesprochen wie Homosexualität, die erste, lustvolle Sexualität einer 34Jährigen, unverheirateten Frau, aber auch die Kinderlosigkeit, die Grausamkeit einer Gesellschaft, eine Frau nicht einfach über ihren eigenen Körper im Falle einer Schwangerschaft in ungewissen Lebensverhätnissen entscheiden zu können. So gibt es viele, immer noch brandaktuelle Themen, die dieses Buch schon 1966 aufs Tapet gebracht hat. Man denke an die politischen Bestrebungen in Polen oder erst kürzlich wieder in den USA, Abtreibungen illegal zu machen. Man denke an die vielen Länder, in denen Homosexualität immer noch hinter verschlossenen Türen stattfinden muss. Und natürlich denke man an den leisen Hinweis in der Familiengeschichte Nicks darauf, dass natürlich auch damals schon Ukrainer eine unabhängige Ukraine wünschten.

Für mich ist dieser Roman eine unerwartete Entdeckung. Schon jetzt brauche ich keine Sekunde darüber zweifeln, ob das Buch 5 glatte Sterne verdient hat oder nicht. Das steht für mich fest. Und natürlich werde ich mir dann auch direkt bei Gelegenheit "Der steinerne Engel" besorgen und hoffe auf weitere Veröffentlichungen dieser "übersehenen" Autorin durch den Eisele Verlag.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.629
12.856
49
47
Ich kann @GAIA eigentlich nur in allen Belangen zustimmen.

Auch mich hat der Roman von vorn bis hinten begeistert. Neben der sehr gelungenen Ich-Erzählerinnenstimme und dem intensiven inneren Monolog liegt das auch an den ambivalenten Nebenfiguren, den überaus mutig angesprochenen gesellschaftlichen Themen, der Sprache, dem Stil, dem Witz, der Empathie - tja, irgendwie an allem.

Ich habe gelacht und geweint, mich geärgert und gefreut. Wenn ein Buch das alles zusammen schafft, kann Margaret Laurence nicht so viel falsch gemacht haben.

Auch von mir noch einmal danke an @otegami und @Literaturhexle , die für den Roman und den Verlag Werbung gemacht haben. Ich weiß noch, dass ich damals beim Lesen des Klappentextes nach dem Kalendereintrag dachte: Puh, das klingt aber langweilig, da melde ich mich auf keinen Fall an. So kann man sich täuschen...

Ohne jeden Zweifel sind das für mich natürlich fünf Sterne und die bislang wohl größte Überraschung in diesem Jahr.
 

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.264
10.631
49
Thüringen
Auch von mir noch einmal danke an @otegami und @Literaturhexle , die für den Roman und den Verlag Werbung gemacht haben. Ich weiß noch, dass ich damals beim Lesen des Klappentextes nach dem Kalendereintrag dachte: Puh, das klingt aber langweilig, da melde ich mich auf keinen Fall an. So kann man sich täuschen...
Da kann ich dir nur vollständig zustimmen. Und auch an dieser Stelle noch einmal mein Dank an euch, @otegami und @Literaturhexle !!!
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.526
24.541
49
66
Bei diesem Buch habe ich gleich gespürt, dass ich es hier mit wirklich großer Literatur zu tun habe.
Ich bin schon mit großen Erwartungen an den Roman herangegangen, weil ich „ Der steinerne Engel“ kannte. Aber „ Eine Laune Gottes“ hat mich viel stärker berührt.
Manches hat mich an „ Stoner“ erinnert, sowohl von der Erzählhaltung her als auch von der Figur. Bei beiden Büchern spürt man eine tiefe Menschlichkeit, kann es irgendwie nicht anders ausdrücken.
Die Autorin versteht es, intensiv In die menschliche Seele zu blicken und alles Ambivalente nachvollziehbar zu beschreiben.
Und der Roman hat tatsächlich keinerlei Patina angesetzt. Manche Äußerlichkeiten haben sich zwar verändert, doch die tatsächliche Problematik ist dieselbe geblieben.
Das Nachwort von Margaret Atwood bringt alles auf den Punkt.
Ich hoffe, der Eisele Verlag bringt auch die weiteren Romane von Margaret Laurence heraus.
Von dieser Autorin möchte ich alles lesen.
Und die volle Punktzahl ist sicher, da muss ich nicht lange überlegen.
 

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.874
14.821
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Das Fazit zu diesem Buch könnte meinerseits recht kurz ausfallen: WOW.
Perfekt zusammengefasst.

Mich hat dieses Buch sogar noch einmal deutlich mehr begeistert als "Der steinerne Engel", obwohl ich den auch schon mit fünf Sternen bewertet habe. Aufrüttelnd, zeitlos modern, klasse geschrieben, glaubhaft. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Margaret Laurence diese Konflikte nicht selbst erlebt hat? Warum gab es dieses Buch seither nicht in Deutschland? Ich finde keine Erklärung. Genau solche Bücher sind leider selten: die man an jede Frau und viele Männer verkaufen kann, fast unabhängig vom Alter. Sollten noch mehr ihrer Romane übersetzt werden, bin ich garantiert dabei!
Der Optimismus von Margaret Laurence ist genau das, was alle in diesen Zeiten brauchen können. Ein Roman, der Hoffnung schenkt.
 
Zuletzt bearbeitet:

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.570
9.714
49
53
Mainz
Ich habe den Roman sehr gerne gelesen und halte ihn für sehr lesenswert.
Zwar werde ich den Roman voraussichtlich "nur" mit 4 Sternen bewerten, aber grundsätzlich hat mich die Geschichte auch gepackt und mir gefiel der Schreibstil sehr.
Offensichtlich bin ich hier in unserer Runde die einzige, der nicht nur ihr Umfeld, sondern Rachel selbst mitunter gehörig auf die Nerven ging. Zum großen Teil wurde dies zwar kompensiert durch großartige innere Dialoge und die tiefgehende Analyse der toxischen Mutter-Kind Beziehung.
Dennoch bleiben bei mir hier und da Fragezeichen, zum Beispiel bezüglich Rachels Glauben und der Frage, wie der Titel konkret zu verstehen ist?
Auch bin ich mir nicht sicher, ob sie "befreit" genug ist, um den Neuanfang wirklich erfolgreich bewältigen zu können?

Das ergänzende Nachwort von Atwood fand ich noch mal hilfreich zur Einordnung des Werkes.

Definitiv habe ich eine neue interessante Autorin entdeckt, von der ich gerne noch mehr lesen möchte.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.526
24.541
49
66
Mich hat dieses Buch sogar noch einmal deutlich mehr begeistert als "Der steinerne Engel",
Mich auch.
Warum gab es dieses Buch seither nicht in Deutschland? Ich finde keine Erklärung.
Das frage ich mich ebenfalls. In Kanada zählt sie neben Alice Munro und Margaret Atwood zählt sie zu den ganz Großen.
Ich hoffe, der Eisele Verlag bringt nach und nach die anderen Bücher von ihr auf Deutsch heraus. Mich würde jetzt v.a. der dritte Manawaka- Roman interessieren, im Original „ The Fire-Dwellers“; hier steht die Schwester Stacey im Mittelpunkt.
( meine Quelle: „ Metzler Lexikon englischsprachiger Autorinnen und Autoren“)
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.526
24.541
49
66
Frage, wie der Titel konkret zu verstehen ist?
Jest = Scherz
Ein Scherz Gottes hat eine andere Bedeutung als „ Laune“.
In obigem Lexikon heißt es dazu:
“ Ironischerweise treibt der puritanische Gott des Titels seinen Spaß mit ihr, als sich der Embryo der von ihr befürchteten Schwangerschaft als harmlose Geschwulst entpuppt.“
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.570
9.714
49
53
Mainz
Jest = Scherz
Ein Scherz Gottes hat eine andere Bedeutung als „ Laune“.
In obigem Lexikon heißt es dazu:
“ Ironischerweise treibt der puritanische Gott des Titels seinen Spaß mit ihr, als sich der Embryo der von ihr befürchteten Schwangerschaft als harmlose Geschwulst entpuppt.“
Das hilft mir sehr weiter. Vielen lieben Dank für die Erläuterung!
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.881
6.520
49
71
Auch bin ich mir nicht sicher, ob sie "befreit" genug ist, um den Neuanfang wirklich erfolgreich bewältigen zu können?
Das bedeutet ja wirklich eine große Herausforderung für sie, da hast Du vollkommen Recht! (Das böte Stoff für eine Fortsetzung! ;) )
Ich hoffe nur, dass sie merkt, dass die Welt nicht untergeht, wenn sie Nein sagt und für ihre Interessen einsteht. Und dannnn......... 'nichts ist so motivierend wie der Erfolg'! ;)
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.570
9.714
49
53
Mainz
Das bedeutet ja wirklich eine große Herausforderung für sie, da hast Du vollkommen Recht! (Das böte Stoff für eine Fortsetzung! ;) )
Ich hoffe nur, dass sie merkt, dass die Welt nicht untergeht, wenn sie Nein sagt und für ihre Interessen einsteht. Und dannnn......... 'nichts ist so motivierend wie der Erfolg'
Wenn man mal ehrlich ist, müsste sie sich von der Mutter lossagen, nicht mit ihr wieder zusammenleben - wenn auch an einem neuen Ort. Das ist die einzig angebrachte Konsequenz bei einer derart toxischen Beziehung. Sie wünschte an anderer Stelle ja sogar den Tod der Mutter herbei...
Auch ein Punkt, der meine Zweifel bzgl. des Neuanfangs begündet.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.526
24.541
49
66
Wenn man mal ehrlich ist, müsste sie sich von der Mutter lossagen, nicht mit ihr wieder zusammenleben - wenn auch an einem neuen Ort. Das ist die einzig angebrachte Konsequenz bei einer derart toxischen Beziehung. Sie wünschte an anderer Stelle ja sogar den Tod der Mutter herbei...
Das wäre ein zu großer ( harter? ) Schnitt und hätte den Anschein einer Flucht. So aber kommt sie ihren Tochterpflichten nach und muss trotzdem ständig ihre Unabhängigkeit unter Beweis stellen. Eine wesentlich reifere Entscheidung!
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.881
6.520
49
71
Wenn man mal ehrlich ist, müsste sie sich von der Mutter lossagen, nicht mit ihr wieder zusammenleben - wenn auch an einem neuen Ort. Das ist die einzig angebrachte Konsequenz bei einer derart toxischen Beziehung.
Das wäre so auf den 1. Blick die einfachste Lösung! Aaaaber sie ist die einzig Tochter und das hatte in den 60er Jahren noch eine schwerwiegendere Bedeutung!
Ich wünschte unserer Protagonistin viel, viel Kraft, dass sie ihren Weg weitergeht, den sie gerade erst eingeschlagen hat! (Sie wird sie brauchen! ;) )
 
  • Like
Reaktionen: RuLeka

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.264
10.631
49
Thüringen
Aaaaber sie ist die einzig Tochter und das hatte in den 60er Jahren noch eine schwerwiegendere Bedeutung!
Ist sie ja gerade nicht! Es gibt noch Stacey und in deren Umgebung ziehen jetzt Rachel und ihre Mutter. Mein Gedanke dabei: Rachel kann ihre Mutter auch mal "abgeben" bei ihrer Schwester und deren Kindern und dadurch selbstständiger werden. Sie ist dann nicht mehr die einzige, die sich um die Mutter kümmern muss.
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.881
6.520
49
71
Ist sie ja gerade nicht!
Biologisch hast Du Recht ;) ! Aber sie war bisher die einzige, die sich in der Pflicht sah!
Mein Gedanke dabei: Rachel kann ihre Mutter auch mal "abgeben" bei ihrer Schwester und deren Kindern und dadurch selbstständiger werden. Sie ist dann nicht mehr die einzige, die sich um die Mutter kümmern muss.
Genau! Dieser Gedanke kam mir auch! Und das schadet dann weder ihrer Mutter, noch ihrer Schwester (die auch mal sieht, was es bedeutet,........) und deren Kinder. Und für Rachel finde ich auch aus diesem Grund diese Lösung besser als wenn sie alleine irgendwohin gezogen wäre! :)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.440
49.868
49
Wenn man mal ehrlich ist, müsste sie sich von der Mutter lossagen, nicht mit ihr wieder zusammenleben -
Genau. Das ist für mich auch ein Manko am Ausgang der Geschichte. Die Rollen wurden über Jahrzehnte festgeschrieben. Das kann man nicht eben mal auflösen und negieren. Eine Schwalbe macht da noch keinen Sommer. Die Mutter müsste ganz zu Stacey. Jetzt wäre die mal dran!
Heutzutage wäre eine Therapie das Mittel der Wahl für Rachel. Damit sich die zweifellos guten Ansätze verfestigen können und sie nicht bei der nächsten Herzattacke einknickt.
Sie ist dann nicht mehr die einzige, die sich um die Mutter kümmern muss.
Ich habe Zweifel, ob Stacey das auch so sieht. Sie wird quasi genötigt. Auch nicht schlecht, aber gefährlich.
Da zeigen sich viele Widerstände am Horizont. Ob Rachel für die alle schon reif ist? Die Hoffnung stirbt zuletzt;)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.440
49.868
49
Ein Scherz Gottes hat eine andere Bedeutung als „ Laune“.
In diesem Kontext gefällt mir die Laune fast besser. Vielleicht hat Jest auch mehrere Bedeutungen. Für Scherz gibt es mindestens noch den joke.

Das kleine Geschwür wurde von Rachel für eine Schwangerschaft gehalten, die allerlei Überlegungen in Gang setzte, die letztlich die Ursache dafür waren, dass sie sich endlich wehrte, ihr Leben selbst in die Hand nahm und den Neuaufbruch wagte. So würde der Titel Sinn ergeben. Danke Ruth! Ich wusste gar nicht, dass es so kluge Nachschlagewerke gibt! (Und kluge Frauen, die sie zu nutzen wissen;)).