Nacht und Vor dem Tor (bis V.1177)

Querleserin

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Wadern
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Mit der Szene "Nacht" beginnt die irdische Binnenhandlung und der Protagonist stellt sich den Zuschauenden vor. Faust ist eine historische Figur, wer sich dafür interessiert kann folgenden Link anklicken:
https://www.sueddeutsche.de/wissen/...ar-der-echte-doktor-faust-1.3026113-0#seite-2

Im Drama erscheint er uns als verzweifelter Wissenschaftler, der eine Existenzkrise hat: Die von ihm studierte Wissenschaft ermöglicht keine Erkenntnis; er hat keine Freude, kein Gut und kein Ansehen. Seine Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, treibt ihn um. So unternimmt er mehrere Entgrenzungsversuche, um eine Antwort zu finden. Seine Stimmung schwankt dabei zwischen Euphorie und tiefer Depression.

Zunächst betrachtet er das Makrokosmuszeichen. Das Zeichen beschreibt das Universum, und Faust erkennt, indem er das Zeichen erblickt, dass alle Erkenntnis, nach der er sucht, bereits in ihm selbst vorhanden ist. Er als Mensch, als Mikrokosmos, ist ein Abbild des Universums, zwar verkleinert, aber genau dem Universum entsprechend. Die pansophische Erkenntnis seiner Einheit mit dem Universum, mit der Schöpfung nützt Faust jedoch nichts, da er nicht in der Lage ist, das in ihm bereits vorhandene Wissen, die Einsicht in die Zusammenhänge der Schöpfung freizulegen und zu nutzen. Faust weiß mit dem Zeichen des Makrokosmos nichts anzufangen, da er nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügt. Der zweite Entgrenzungsversuch ist die Anrufung des Erdgeistes, der sich jedoch als zu mächtig für Faust erweist, dessen Hybris jedoch offensichtlich wird, da er sich selbst für das "Ebenbild der Gottheit!" (516) hält. Der Eintritt seines Schülers Wagner rettet ihn aus dieser Situation. Wagner verkörpert einen anderen Typus von Wissenschaftler, der sich mit dem erworbenen Wissen zufrieden gibt, Bücher studiert und keine neuen Erkenntisse vom Leben verlangt. Nach diesem Gespräch sieht Faust im Selbstmord den letzten Entgrenzungsversuch, doch sein Freitod wird von den Osterglocken verhindert, die ihn an seine Kindheit erinnern - und an seinen Glauben.
Am nächsten Morgen unternimmt er mit seinem Schüler Wagner einen Osterspaziergang, wobei deutlich wird, dass Faust vom Volk verehrt wird. Im berühmten Monolog offenbart Faust seine unterschiedlichen Triebe: den irdischen, sinnlichen, die Lust am Leben und den göttlichen, geistigen, der nach umfassender Erkenntnis strebt. Beide sind unbefriedigt, daher rührt seine Verzweiflung. Er giert nach "neuem, buntem Leben!" (1121) und lockt mit seiner Aussage Mephistopheles an, der zunächst in der Gestalt eines Pudels erscheint und den er mit nach Hause nimmt.

In Fausts Monolog wird die Polarität deutlich, die auch der Herr im Prolog im Himmel anspricht.
Im Prolog: „Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen, Er liebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb´ ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen.“ (349)

Da Mephisto ist nur in der Lage den mephistophelischen Seelenanteil, also den irdischen, sinnlichen zu befriedigen, entsteht ein Ungleichgewicht der beiden Seelenanteile. Der göttliche Seelenanteil „fordert sein Recht“, so strebt Faust weiter, selbst wenn der irdische Seelenanteil befriedigt wird. Darin liegt Mephistos Funktion.
 
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Emswashed

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9. Mai 2020
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Faust bekennt gegenüber seinem Schüler, dass die Ehrerbietung der Leute völlig unverdient ist:
V 1048 "Hier war die Arznei, die Patienten starben,...."
bis V 1055 "... Daß man die frechen Mörder lobt."

Wer so machtlos die Pest miterlebt hat, wird wohl anfällig für Mephistos Verführungen, auch wenn er erst als Pudel daherkommt.o_O

Auf jeden Fall ist Ostern, die Leute tummeln sich beim Spaziergang in der Sonne, das muss ja Faust auch aus seinen trüben Gedanken herauskommen.
 
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Yolande

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13. Februar 2020
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Faust zweifelt an sich selbst und an seinem Leben. Er wird für seine Verdienste von den Menschen verehrt, aber er selbst sieht sich eher als "Lebensvernichter", da er und sein Vater wohl experimentelle Medizin ausprobiert haben. Er sucht den Sinn des Lebens und hofft, durch Geister oder andere Lebensformen eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Eigentlich könnte es Mephistoteles gar nicht besser antreffen, der Zeitpunkt ist perfekt gewählt.
 
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Faust zweifelt an sich selbst und an seinem Leben. Er wird für seine Verdienste von den Menschen verehrt, aber er selbst sieht sich eher als "Lebensvernichter", da er und sein Vater wohl experimentelle Medizin ausprobiert haben. Er sucht den Sinn des Lebens und hofft, durch Geister oder andere Lebensformen eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Eigentlich könnte es Mephistoteles gar nicht besser antreffen, der Zeitpunkt ist perfekt gewählt.
Genau, Faust ist bereit für den Teufelspakt.