Der Briefwechsel zwischen Cézanne und Zola beginnt 1858. Zu diesem Zeitpunkt ist Zola achtzehn Jahre alt, Cézanne neunzehn. Die beiden sind in Aix-en-Provence zur Schule gegangen und bildeten gemeinsam mit Jean-Baptistin Baille ein Dreigespann, das in der Schule "die Unzertrennlichen" genannt wurde. Noch bevor Zola sein Abitur ablegen konnte, starb sein Vater, und die Mutter musste in irgendwelchen Rentenangelegenheiten nach Paris. Zola ging mit ihr. Er hat später noch versucht, sein Abi zu machen, fiel aber zweimal durch.
Die Briefe, die die beiden wechseln, sind anfangs frisch und witzig. Zola jammert über die trockene und langweilige Arbeit im beim Zollamt (eine reine Brotarbeit), Cézanne jammert über das Unverständnis seines Vaters, der seinen Sohn als Jurastudenten sehen möchte. Zolas Briefe sind indessen um einiges besser formuliert und interessanter; hin und wieder legt er auch Zeugnis von seinem künstlerischen Credo ab: "Keine hochtrabenden Worte, keine Ausrufungszeichen, kein mehr oder weniger deplazierter Lyrismus; eine in ihrer EInfachheit große Erzählung, ein maßvoller Vers, der deutlich ausdrückt, was er zum Ausdruck bringen will. Das ist kein geringes Streben. Sonne, Mond und Blumen, das ist alles recht schön, aber ein wahrer Gedanke, der ohne Emphase ausgedrückt wird, hat auch seinen Verdienst."
Zwischendurch gibt es lange Pausen im Briefwechsel, weil Cézanne zeitweise in Paris wohnte und die beiden einander häufiger sehen konnten. Ich bin inzwischen im Jahr 1878 angelangt, d.h. Zola ist 38, Cézanne 39 Jahre alt. Da haben die Briefe schon einen merklich kühleren Ton. Zola ist recht erfolgreich am Markt mit den ersten Bänden seines Rougon-Maquart-Zyklus, hat außerdem für verschiedene Zeitungen gearbeitet, eine Familie gegründet; seine Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion steht bevor, was damals eine endgültig feste Position im Establishment bedeutete. Cézanne hat sich zwar mit seinem Vater halb und halb ausgesöhnt, kann aber immer noch nicht auf eigenen Beinen stehen. Sein Vater zahlt ihm einen monatlichen Zuschuss, Cézannes Geliebte Hortense, die ein Kind von ihm hat, existiert allerdings für Papa Cézanne nicht, und Cézanne muss infolgedessen immer wieder seinen Freund Zola um Geld angehen, um seine Hortense unterstützen zu können. Das ist sicher eine Belastung für die Freundschaft gewesen, auch wenn Zola sich die Zuschüsse leisten konnte und es bestimmt gern getan hat.
Ich glaube, ich muss "Das Werk" demnächst noch einmal lesen. Der im Mittelpunkt stehende Maler Claude Lantier hat nämlich einen Freund namens Sandoz, der Schriftsteller und Journalist wird. Er ist erfolgreicher als Lantier und unterstützt ihn mit Geld, obwohl er selbst Frau und Kind hat. Das dürfte eine mehr oder weniger genaue Abbildung des Verhältnisses zwischen den Brieffreunden gewesen sein.
In den ersten Briefen finden sich immer wieder wehmütige Anspielungen, wie eng das Verhältnis war, wie schön die Erinnerung an die gemeinsame Jugend. Zola schreibt 1860: "Wie absichtlich verderben wir unser Leben, wünschen uns das Vergangene wieder oder rufen laut nach der Zukunft, ohne jemals der Gegenwart froh zu werden. Ich habe dir in meinem letzten Brief geschildert, wie mich zuweilen ein Erinnern wie ein Blitz durchzuckt, ein Wort, das du mir einmal gesagt hast, einer unserer Ausflüge, ein Berg, ein Weg, ein Gebüsch, und ich klage und verzweifle - unglücklich und verrückt." Das finde ich herrlich ausgedrückt, ich kenne solche Zustände sehr gut!