Letzter Teil: S.75-113

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.339
10.605
49
49
Ein Buch das mich nachdenklich gestimmt hat, mir diese schreckliche Zeit erneut vor Augen geführt hat. Es tut gut zu erfahren, dass es auch selbstlose Menschen wie Reinhold gegeben hat.
Interessant war in diesem Abschnitt, dass Reinhold seine Tat lange verschwiegen hat. Wobei verschwiegen das falsche Wort ist, wahrscheinlich hat ihn niemand direkt danach gefragt, wie auch. Er selbst suchte wohl nie eine Bestätigung für alles was er für Regina und Lucia getan hat.
Auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Menschen die ihn umgaben, als sie ihn beschrieben, hat mich sehr fasziniert. Seine Tochter hat ihn ganz erlebt als Lucia beispielsweise. Sein Enkel konnte wiederum Geschichten erzählen, die Reinhold ihm anvertraut hat, obwohl er sonst niemand war, der viel geplaudert hat.
Nun muss ich das gelesene erstmal sacken lassen.
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.638
4.785
49
62
Essen
Der dritte Teil führt uns in die Zeit nach dem Krieg/nach der Befreiung und zurück ins normale Leben. Der Fokus des Erzählten schwingt in Richtung Reinhold. Lucia sorgt dafür, dass er in Yad Vashem geehrt wird und damit in eine Reihe gestellt wird mit Schindler und anderen bekannten Judenrettern. Aber er fühlt sich da so gar nicht passend.
Und hier steckt für mich die eigentliche Botschaft des Romans: Es waren ganz normale Menschen, die da handelten. Genauso wie Lucia kein "Übermensch" ist wie Anne Frank, genauso wenig ist es Reinhold. Sie und er sind Menschen mit Fehlern, Fehlentscheidungen, Schwächen. Und konnten trotzdem zu Helden werden.
Hackl sagt uns damit schonungslos: Du entscheidest selber, was für ein A.... du bist oder wirst.
Und das gilt für Hackl ganz bewusst auch für die Gegenwart, in die hinein im Text nicht von ungefähr eine Brücke gebaut wird:
S. 101:"Es war für dich selbstverständlich und gar nicht erwähnenswert, dass du in einer Zeit der Unmenschlichkeit Deinen Anspruch als Mensch gelebt hast. Und dafür möchte ich dir gerade jetzt, wo sich die Geschichte zu wiederholen droht, ganz besonders danken."
Die Frage nach Wahrheit der Erinnerung stellt sich auch in diesem Buch. Hackl macht im Text immer wieder deutlich, dass er ganz bewusst die Sichtweise seiner handelnden Personen (meist Lucias) wiedergibt und mitteilt. Aber stimmt die immer? Beim Schicksal von Erna, das Lucia ganz anders erinnert als es in Wirklichkeit war (vgl. ganz zum Schluss auf S. 121), verdeutlicht Hackl noch einmal ganz bestimmt nicht zufällig an der besonderen Stelle zum Ausklang seines Romans an den Leser: Es kann auch ganz anders gewesen sein. Traue mir nicht zu sehr. Und dennoch vertraut er uns in dem Buch weitgehend der Macht der ganz subjektiven Wahrnehmung eines Kindes (so wie erinnert in dessen Erwachsenenleben) an und baut darauf einen beeindruckenden, bewegenden Roman.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.071
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Der letzte Teil führt auch sehr eindrücklich die Ereignisse unmittelbar nach dem Krieg in Erinnerung. Wie Regina ihre alte Wohnung den "Besetzern" lässt, weil sie ein Kind mit Down-Syndrom haben, das ist bewundernswert. Wie sie um ihre ehemalige Stelle kämpft und Lucias Wunsch das verlogenen Wien zu verlassen, da es immer noch viele "Nazis" gibt.
Insofern ist der Roman ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen.
Interessant auch, dass Reinhold sich gesträubt hat, geehrt zu werden, weil er einen Rückgang seines Kundenstocks befürchtete!
Und die unterschiedliche Wahrnehmung Lucias und seiner Tochter, es scheint, er habe mit dem Verstecken seine Geduld aufgebraucht. Andererseits ist er ein "vorbildhafter" Großvater. Wie sehr können wir diesen Erinnerung trauen, wie @Anjuta geschrieben hat. Für mich ist das sekundär, da die Tat Reinholds im Vordergrund steht. Seine Zivilcourage ist bewundernswert und ein großes Vorbild. Das scheint auch Hackls Intention zu sein..., wie @Anjuta treffend formuliert hat.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.426
49.814
49
Und hier steckt für mich die eigentliche Botschaft des Romans: Es waren ganz normale Menschen, die da handelten.
Da stimme ich voll und ganz zu. Ich bin wieder mal begeistert, wie du die wesentlichen Inhalte zusammenfassen kannst @Anjuta.

Die Person Reinhold ist vielschichtig, wie ihr bereits angemerkt habt. So ganz leicht nachzuvollziehen das nicht: Unter dem Druck der möglichen Entdeckung kümmert er sich fast rührend um Lucia, die nicht einmal sein eigenes Kind ist; er gibt ihr Liebe, Aufmerksamkeit, Beschäftigung. Er bringt Bücher mit, geht trotz Gefahr mit ihr spazieren.

Seine eigene Tochter lernt einen völlig anderen Mann kennen: er ist selten da, kümmert sich wenig - ein Einzelgänger, der sich in den Alpen auf Klettertouren wohlfühlt, vielleicht, weil "es Vertrauen und Verantwortung erforderte", wie auf S. 97 erwähnt wurde. Nur Regina und Lucia durften einen Platz in seinem Leben beanspruchen, die übrigen müssten sich seinen Gewohnheiten anpassen.

Schön, dass der Enkel einen anderen Großvater erlebt, einen, der ihm ein bleibendes Vorbild sein wird.
Reinhold handelte nach seiner eigenen Überzeugung, verlangte keine Gegenleistung. Markant auch, wie unspektakulär sich diese kleine Gruppe nach der Befreiung trennt, wie jeder wieder seiner Wege geht. Emotionen spielten keine große Rolle.

Hochinteressant die Frage nach der Zuverlässigkeit und Wahrheit des Erzählten...
Das hat der Autor äußerst geschickt aufbereitet, dass man sich fragen muss: war es wirklich so oder anders?

Ein großes kleines Buch, das ich mit Sicherheit ohne euch nicht gelesen hätte!
 

Leseglück

Aktives Mitglied
7. Juni 2017
543
1.272
44
67
So jetzt habe ich auch den letzten Abschnitt gelesen. Wieder kann ich alles was ihr schreibt "unterschreiben."

Noch ein paar Gedanken dazu:
Eigentlich ist es für das Buch ganz gut, dass Reinhold kein Engel war. Ansonsten könnte man sich als Leser ja mit dem Gedanken beruhigen, dass nur besonders gute Menschen zu einer solchen Heldentat fähig sind. Das Buch soll ja Mut zu Zivilcourage machen und zeigen, dass Hilfe möglich war und jeder im Prinzip hätte helfen können.
Bleibt immer noch die Frage warum so wenige geholfen haben. Ich denke vielen war das Schicksal von Juden eher gleichgültig.

Interessant war für mich zu lesen, dass es doch auch in diesem Fall einen Denunzianten gab. Ein Glück, dass diese Denunziation an einen Bergkameraden von Reinhold ging.

Interessant auch, dass Reinhold nach dem Krieg seine Hilfe nicht öffentlich machen wollte. Das war für mich ein neuer Aspekt, über den ich noch nicht nachgedacht hatte.Dazu habe ich ein bisschen im Internet gelesen. Es sieht so aus, als ob viele "Judenretter" nach dem Krieg lieber nicht über ihre Hilfe gesprochen haben. Das lässt tief blicken! (es gab ja viele überzeugte Nazis, warum sollten die ihre Meinung so schnell ändern).
 

wal.li

Bekanntes Mitglied
1. Mai 2014
2.728
2.678
49
Wenn man nicht gewusst hätte, dass Lucia Herrn Hackl berichtet hat, wäre man überrascht, wie positiv das Leben von Lucia, Reihold und Regina weitergegangen ist. Wie bei Anne Frank hätte man sonst sehr befürchtet, dass sie irgendwann doch gefunden und umgebracht werden.
Man gönnt den Dreien das gute Leben so sehr und wünscht sich, dass noch mehr normale Menschen es wagen zu handeln.
 

Xanaka

Aktives Mitglied
12. Juli 2015
894
737
44
Berlin
Jetzt zum Ende des Buches bin ich erleichtert, dass alles gut ausgegangen ist. Auch wenn es sich im Nachhinein herausstellte, dass es dennoch eine Denunziation gab. Wer mag das wohl gewesen sein? Denn man konnte ja an einer Hand abzählen, wer wirklich von der Aktion wusste.

Gut gefallen hat mir, dass es nicht einfach nach dem Krieg endete, sondern noch einen Abschnitt später gab. Nur dadurch konnten wir erfahren, dass Reinhold seine ehrenwerte Tat gar nicht als eine solche empfand. Für ihn war es einfach das Normalste der Welt, Menschen die in Not geraten zu helfen.
Interessant fand ich in dem Zusammenhang auch, dass Reinhold der sich ja in der Versteckensphase u.a. so intensiv um Lucia gekümmert hatte, ihr mit viel Geduld handwerkliche Fähigkeiten beibrachte, sich intensiv mit ihr beschäftigte und vor allem viel Geduld aufbrachte. Nach dem Krieg gelang es ihm bei der eigenen Tochter dann leider nicht mehr so. Ich kann mir vorstellen, dass es für seine Tochter auch fast unvorstellbar war, dass ihr Vater mal umso vieles anders war.

Ich hoffe, alle haben ihr Glück gefunden. Mir hat dieses Buch ungemein gut gefallen und ich war froh bei dieser Leserunde dabei zu sein.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.880
12.560
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich bin auch hin und weg von Reinhold Duschka. In dem Buch ist er für mich die Selbstlosigkeit in Person, und das in 2-facher Hinsicht.
Zum Einen: Er stellt seine Person komplett hintenan, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen. Er scheint zum Helfen geboren. Wenn seine Hilfe benötigt wird, bringt er sich 150%ig ein. Menschen, die allein klar kommen, begegnet er mit Distanz.
Zum Anderen: Dadurch, dass er von unterschiedlichen Personen in unterschiedlichen Facetten beschrieben wird, ist sein wirkliches "Selbst" (also sein "Ich") für mich nicht greifbar. Er präsentiert sich jedem gegenüber anders, was ich aber nicht negativ meine. Es ist lediglich eine Feststellung.