Ich bin jetzt bei der Hälfte des ersten Teils: Mathias geht nach Kempten. Bevor er dort ankommt, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mein Feedback zu seiner Kindheit in seinem Heimatdorf zu geben.
Die Beschreibung des Dorflebens ist anfangs sehr idyllisch. Zunächst wirkt es, als ob Mathias eine unbeschwerte Kindheit genießt. Doch je tiefer man in die Geschichte eintaucht umso schneller stellt man fest, dass die Kindheit in der damaligen Zeit alles andere als "Bulllerbü" war. Die Momente, um wirklich Kind sein zu können, musste sich Mathias hart erarbeiten. In erster Linie standen seine Pflichten im Familienalltag im Vordergrund. Solange diese nicht erfüllt waren, war an "Kindsein" mit allem Spaß, der dazu gehört nicht zu denken. Nun könnte man sich fragen, wo der Unterschied zur heutigen Zeit liegt? Mein Sohn darf z. B. auch erst zum Spielen, wenn er seine Aufgaben erfüllt hat. Nur seine Aufgaben bestehen aus Hausaufgaben, Müll rausbringen, Hasen füttern…. alles Aufgaben, die sorgsam ausgewählt sind, damit mein Kind ausreichend Zeit zum Spielen, Toben … also "Kindsein" hat.
In Mathias' Familienalltag existierte der Begriff "Kindsein" wahrscheinlich nicht.
Interessant finde ich auch, die Beziehung zwischen Mathias und seiner Mutter. Im Zusammenhang mit seiner Mutter verwendet Mathias oft Begriffe wie "Erfolgsstreben", "Akkuratesse", "Sparsamkeit", "übertriebenes Pflichtbewusstsein". Das Verhältnis zwischen den beiden ist von Härte und Kälte geprägt. Das macht mich betroffen, da ich ein ganz anderes Verständnis von einer Mutter-Kind-Beziehung habe, eher Richtung "Wärme, Güte, Verständnis".
Scheinbar ist die Art, wie sich die Mutter im Familienalltag präsentiert, stellvertretend für viele Frauen aus dem Dorf (Mariebäs ist für mich die wohltuende Ausnahme). Sie sind sehr dominant, vom Ehrgeiz zerfressen. Ihre Angehörigen haben nichts zu lachen. Sie bestimmen die Regeln im Alltag. Diese Frauen haben innerhalb der Familie das Sagen, und die Männer ordnen sich unter (wahrscheinlich um des lieben Frieden's Willen). Nach Außen hin wird jedoch der Schein gewahrt. Innerhalb der Gesellschaft wird die Frau als minderwertig angesehen, der Mann ist das Maß aller Dinge. Diese Art der Scheinwelt ist doch sehr amüsant. Ich denke da z. B. an den unterschiedlichen Einsatz der Kirchenglocken beim Ableben eines Dorfbewohners.
Ich habe abschließend noch Fragen zu Begriffen, die ich nicht verstehe.
Was ist ein Schweizer? (Kapitel: Maribäs)
Wie muss ich mir den "Schlenkerstag" vorstellen? Ist ein Dienstbotenwechsel ausschließlich an diesem Tag möglich? (Kapitel: Lehrjahre - Der Hof)