Kapitel 5-8

Anjuta

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8. Januar 2016
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Und doch muss ich nochmal auf eine skeptische Frage zur Perspektive auch in den Kapiteln 5 - 8 zurückkommen. Die einschränkende Perspektive des Fötus hindert den Autoren nicht daran, uns, den Lesern, immer wieder eine klare Weltsicht und -einstellung durch die Worte des Fötus zu vermitteln. Er hat eine Meinung zu den Vorzügen Europas (schon in Kapitel 1, S. 12), zum Leben in der Unterschicht (Kapitel 5, S. 67) und zu vielem mehr und ist zudem ein erstklassiger Weinkenner. Das mag interessant und amüsant für den Leser sein (insbesondere wohl für den, der die vermittelte Weltsicht teilt), aber muss der Autor wirklich so weit gehen oder missachtet er nicht vielmehr immer wieder seine selbstgewählte Entscheidung für die Reduktion?!?
Ich weiß immer noch nicht, wie ich mit dieser ungelösten Frage bis zum Ende umgehen werde. Werde ich mich "verarscht" (sorry) fühlen oder uneingeschränkt einfach Gefallen an den guten sprachlichen Seiten des Romans und an einer gefälligen Story finden?
Anjuta
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Der Ehemann ist doch nicht so ein Weichei. Trudy und Claude schmieden ihre Pläne, die dem noch ungeborenen Kind nicht gefallen. Es stellt sich vor, was es tun könnte, um Schlimmeres zu verhindern. Und immer liebt es seine Mutter. Die Hinweise darauf stellen, sehr klar heraus, dass das Kind eben seine Mutter liebt, auch wenn es an ihr leidet. Schließlich soll das Kind irgendwo untergebracht werden. Trudy und Claude sind doch ein geldgieriges Pack. Ich habe echt in mich hinein gegrinst als John seine neue Freundin präsentiert und Trudy mehr oder weniger aus dem Haus schmeißt. Geschieht ihr recht. Ich frage mich, wie sie nun noch den Mordanschlag durchführen wollen.
Außerdem finde ich die Vorstellung, dass das Kind alles mitbekommt und reflektieren kann zwar sehr interessant, aber tatsächlich ist es ja nicht so. Insoweit ist die Perspektive zwar witzig und interessant aber auch aus der Luft gegriffen.
 
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Anjuta

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8. Januar 2016
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Ich fühle mich auch inzwischen immer besser unterhalten von dem Roman. Die Spannungsbögen und Überraschungen führen dazu. und ist Euch aufgefallen: Fast jedes Kapitel beginnt mit einem Spannungsöffner, der den Leser hinüberzieht zum nächsten Kapitel.
Beispiele:
Von dem Ende von Kapitel 4 war schon die Rede: "Gift."
Kapitel6. "Dann geh hoch und lass sie rein."
Kapitel 7: "Ich will, dass er stirbt. Und zwar morgen."
Kapitel 10 (sorry, wenn ich hier etwas vorgreife): "Hoffentlich springt der verdammte Motor an."
Kapitel 11: Der nächste Schritt liegt nahe, doch geht sie ihn noch nicht.

So einfach geht es, den Leser gefangen zu halten. Und McEwan gelingt das mit Bravour.
Gutes Weiterlesen
Anjuta
 

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Von dem Ende von Kapitel 4 war schon die Rede: "Gift."
Kapitel6. "Dann geh hoch und lass sie rein."
Kapitel 7: "Ich will, dass er stirbt. Und zwar morgen."
Stimmt, das ist mir noch gar nicht aufgefallen, @Anjuta . Manchmal fühle ich mich sogar an ein Theaterstück erinnert: "Pst! Die Verschwörer reden!" Das könnte auch bei Shakespeare stehen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Im Großen und Ganzen sehe ich das meiste so wie ihr. War überrascht von der Wendung die das Buch nahm. John ist nicht der lammfromme Blödmann für den ich ihn zu Beginn gehalten habe.
Die Tatsache, dass der Fötus vieles weiß, was er gar nicht wissen kann, stört mich aber zum Beispiel überhaupt nicht. Ich konnte mich ganz zu Anfang schon damit anfreunden. Es ist eine Perspektive die McEwan sich ausgedacht hat um dem Leser eine tolle Geschichte zu erzählen. Und das hat er für mich bisher gut erfüllt. Kann aber verstehen, dass es auch befremdlich wirken kann. Mittlerweile frage ich mich während des Lesens auch gar nicht mehr, wie und warum er das wohl weiß. Es ist halt einfach so;)
Was mir momentan ständig durch den Kopf geistert ist, ob Claude wirklich das ist, was er vorzugeben scheint. Ich glaube Trudy hat da keinen guten Fang gemacht, es geht ihm vielleicht auch nur ums Geld.
 
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Renie

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Als John in seiner Rede mit dem Urlaub an der Adria beginnt, war mein erster Eindruck, dass ich es Trudy nicht verdenken kann, ihn verlassen zu haben. Sein Fabulieren ist ja fast nicht zu ertragen. Der zweite Teil seiner Rede hat mich jedoch entschädigt. Wer hätte das gedacht? John scheint ein cleveres Kerlchen zu sein. Dass er sich nicht um die nahe Zukunft seines ungeborenen Sohnes sorgt, gibt natürlich einen Punktabzug.
Sehr schön war für mich auch diese Zweideutigkeit zwischen Trudie und Elodie:
"Die brütende Eule ist sogar giftig!" (Elodie)
"Ja, die brütenden können einen umbringen." (Trudy, die Eule) :D

Dann ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich damit rechne, dass Trudy etwas "passiert". Erst die Szene auf dem baufälligen Balkon, dann das Treppensteigen in betrunkenem Zustand ... bald zerlegt es sie. Aber was geschieht dann mit Baby?
 

Renie

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Und immer liebt es seine Mutter. Die Hinweise darauf stellen, sehr klar heraus, dass das Kind eben seine Mutter liebt, auch wenn es an ihr leidet.
Ich empfinde das gar nicht so. Für mich scheint es eher, als ob Kind versucht auszuloten, wie es am besten aus der Geschichte rauskommt und wie seine Zukunft aussehen könnte. Dabei schwenkt es in seiner Gunst zwischen Vater und Mutter hin und her. Mal spricht es von Trudy und dann wieder von "Mutter" bzw. John und "Vater". Wenn es von Mutter und Vater spricht, spürt man den Versuch, Nähe aufzubauen. Bei "Trudy und John" spürt man Distanz. Richtig sicher ist sich unser Kind noch nicht.
 

Renie

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Das hat mir auch gefallen, @Renie . dass ihr etwas passiert ist fast auszuschließen, dann wäre ja auch der Erzähler tot. ER könnte dann natürlich noch als Engel weiter erzählen.
Ja, das habe ich auch schon überlegt. Und trotzdem ist da dieses Unbehagen, wenn sich Trudy leichtfertig in riskante Situationen bringt. Ich rechne mit allem.;)
 

Bibliomarie

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John ignoriert Claude und dem bleibt nichts anderes übrig, als sein Geldbündel wieder einzupacken. Allerdings lügt Claude anschließend Trudy an. Beide spielen ein gefährliches Spiel und ich glaube, beide benutzen einander.
Bei John könnte ich mir durchaus eine Überraschung vorstellen.
Was mich die ganze Zeit erstaunt, ist das verwahrloste Haus. Trudy und Claude scheint es überhaupt nicht zu stören, durch den Schmutz zu waten.
Mir gefällt die Erzählperspektive weiterhin ausgesprochen gut. Natürlich ist mir auch klar, dass da nicht realistisch ist, aber die Stimme des ungeborenen Kindes ist für mich so eine Art allwissende, über den Dingen stehende Stimme, quasi die Stimme des Schicksals.
 
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Bibliomarie

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Dann ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich damit rechne, dass Trudy etwas "passiert". Erst die Szene auf dem baufälligen Balkon, dann das Treppensteigen in betrunkenem Zustand ... bald zerlegt es sie. Aber was geschieht dann mit Baby?

Den Gedanken hatte ich auch, aber wer könnte dahinterstecken? John oder Claude?
 
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anne_weiss

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Der Ehemann ist doch nicht so ein Weichei. Trudy und Claude schmieden ihre Pläne, die dem noch ungeborenen Kind nicht gefallen.
Das finde ich so gut an dem Roman: Man wird ja ständig überrascht, was die Agenda der Handelnden angeht. Also zuerst erfährt man mal, dass der Liebhaber der Mutter der Bruder des Vaters ist. Dann, dass die Mutter schon auch einen Grund haben muss, ihn zu hassen, obwohl sie ihn eigentlich liebt. Und dass der Vater ein falsches Spiel spielt. Bin gespannt, was da noch kommt...
Hat noch einer von euch schon überlegt, ob das Kind überhaupt von John ist?
 
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anne_weiss

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29. Juni 2016
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die Stimme des ungeborenen Kindes ist für mich so eine Art allwissende, über den Dingen stehende Stimme, quasi die Stimme des Schicksals.
Finde ich eine gute Assoziation. Ich habe auch überlegt, wie man die einordnen würde. Es kann ja auch so sein, dass die Mutter sich bloß vorstellt, wie würde das auf mein Baby wirken, wenn es schon so denken könnte...
 

Renie

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Hm - nun, ich lese diesen Alkoholkonsum eher als etwas, das mich stört - also etwas, das für den Leser gleich auch immer eine Bedrohung darstellt. Zwiespältig eben. Geht das noch jemandem so?
Geht mir ähnlich. Ich zucke jedesmal zusammen, wenn Trudy sich wieder einen genehmigt. Für mich steht dadurch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind im Vordergrund.