IV. Teil - Das Baby

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Und endlich ist es da - das sehnlich erwartete Baby. Ein Junge, Martin und Rudolf ist überglücklich.
Allerdings trübt sich dieses, als Dr. Ostmann, Theas Arbeitgeber ihnen einen Wagen schenkt und es anonyme Hinweise darauf gibt, er sei der Vater. Der arme Rudolf.
Der abendliche Spaziergang mit Lotte und Dr.Astel offenbart, dass letzterer als Bräutigam auf Lotte warten soll, die doch offensichtlich ihr Herz an Rudolf verloren hat.
Es geht ihr nicht gut und Rudolf muss mehrfach daran denken, sie könnte sterben. Ein Spiegel seiner eigenen Lage? Oder doch eher ihr Liebeskummer und ihre Sorgen um Rudolf selbst.
Erneut zeigt der Bruder Theas seine Herzlosigkeit und seinen Sadismus, indem er gegenüber Rudolf andeutet, er habe erneut eine Katze erwürgt. Die Anzeichen für ein gewaltsames Ende häufen sich - gleichzeitig seziert er sehr genau die Beziehung zwischen Rudolf und Thea, da er seine Schwester kennt. Er selbst ist der Ehe abgeneigt und schlägt Gordweil sogar vor, gemeinsam eine Reise anzutreten.
Man darf gespannt sein...
 
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Gordweil lehnt die Reise natürlich ab, stattdessen kümmert er sich um das Kind - anstelle der Mutter. Verkehrte Rollen (für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich) auch in dieser Hinsicht. Lotte, aus Tirol zurück, hat sich immer noch nicht erholt.
Ob die Krankheit Franzis und der Selbstmord zu Beginn auf Lotte verweisen?
Während ihres Besuches hat Gordweil plötzlich die Angst, dass das Kind tot ist. Und schließlich muss es ins Krankenhaus.
Auch dieser Teil ist voll düsterer Träume, die vorausahnen lassen, dass das Baby im Krankenhaus nicht überleben wird. Dass es dann tatsächlich stirbt, hat mich sehr getroffen. Trotz aller Vorausdeutungen, wie das mehrfache Erwähnen der Katze und eben die Träume.
Im Traum trägt Gordweil eine zunächst leere Kiste, die dann immer schwerer wird - symbolisch seine Lebenssituation: Unterdrückung durch Thea, Geldnöte, Degradierung als Mann (Schließlich verrichtet er aus damaliger Sicht Frauenarbeit).
Letztlich legt ihm Thea das Baby in die Kiste, das gestorben ist - ein deutlicher Hinweis darauf, dass ihre Vernachlässigung - sie erscheint nicht im Krankenhaus, um das Kind zu stillen - zum Tod des Kindes führt.
Als er es erfährt, erleidet er einen schweren Schock und ausgerechnet die genesene Franzi findet ihn und kümmert sich um ihn.
Eigentlich würde man erwarten, dass er spätestens jetzt aus seiner Erstarrung erwacht - man möchte Gordweil schütteln und ihn regelrecht "anschreien", er solle Thea verlassen, sie für den Tod des Kindes verantwortlich machen. Doch zunächst ist er krank...
Ich hoffe sehnlichst, dass er dies in Teil V endlich wagt.
Er muss ein echter Masochist sein, um diese Teufeleien zu ertragen.
 
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Noch eine Ergänzung, Thea hat die Unverfrorenheit, mit ihrem Geliebten ins Kino zu gehen, während Gordweil das Kind ins Krankenhaus bringt. Als sie sich zufällig begegnen:

"Thea, die ihn von weitem erkannt hatte, bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung zu verschwinden. Aber Gordweil regte sich nicht. Als sie an ihm vorbeikam, passte sie den richtigen Augenblick ab, ihn so kräftig in den Arm zu kneifen, dass er beinahe einen Schmerzensschrei von sich gegeben hätte." (S.377)

Fast will er sie daraufhin anschreien, beherrscht sich aber und will dominiert werden, was folgende Szene noch deutlicher zeigt. Thea erzählt ihm genüsslich nach dem Kinobesuch, wie sie ihn betrogen hat.

"Trotz alledem bereitete ihm die Geschichte, ohne dass es ihm bewusst geworden wäre, auch einen sonderbar stechenden Genuss, jene perverse Lust im Leiden (...)" (S.383)

Ein Masochist, oder?
 

Helmut Pöll

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Noch eine Ergänzung, Thea hat die Unverfrorenheit, mit ihrem Geliebten ins Kino zu gehen, während Gordweil das Kind ins Krankenhaus bringt. Als sie sich zufällig begegnen:
Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Thea hinter ihrer forschen Fassade doch recht unglücklich und verzweifelt ist. So erkläre ich mir ihre beinahe schon verbissenen Versuche, dem Leben etwas Freude abzutrotzen, die aber letztlich doch immer scheitern. @Querleserin
 

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Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Thea hinter ihrer forschen Fassade doch recht unglücklich und verzweifelt ist. So erkläre ich mir ihre beinahe schon verbissenen Versuche, dem Leben etwas Freude abzutrotzen, die aber letztlich doch immer scheitern. @Querleserin

Theas Gefühle geraten angesichts von Gordweils Verzweiflung in den Hintergrund. Ich habe jedoch nicht den Eindruck, dass sie wirklich unglücklich ist. Sie lebt ihr Leben ohne Rücksicht auf das Kind oder Rudolf einfach weiter. Hat Geliebte, geht aus, kann ihren Sadismus ausleben. Das zeigt auch die Szene, in der sie "genüsslich" von ihrer Untreue erzählt.
 

Leseglück

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Dass es dann tatsächlich stirbt, hat mich sehr getroffen. Trotz aller Vorausdeutungen, wie das mehrfache Erwähnen der Katze und eben die Träume.

Das ging mir auch so @Querleserin . Den Teil zu lesen, als das Baby im Krankenhaus lag, das war für mich schon bedrückend. Man kann die Sorgen und Albträume von Rudolf so gut verstehen. Und dann wird der Albtraum auch noch wahr! Ob das Baby überlebt hätte, wenn sich die Mutter besser gekümmert hätte, vielleicht zum Stillen ins Krankenhaus gekommen wäre. Der Roman legt es nahe...
 

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Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Thea hinter ihrer forschen Fassade doch recht unglücklich und verzweifelt ist

Den Eindruck habe ich nicht. Thea scheint glücklich zu sein, es scheint tatsächlich ihrem Wesen zu entsprechen, sich ständig mit anderen Männern zu vergnügen. Sie liebt es auch Rudolf zu demütigen.
 
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Leseglück

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Ein Masochist, oder?
Das war und ist für mich die Hauptfrage: Warum verlässt er Thea nicht, warum sagt er, sie sei der wichtigste Mensch, von ihrer Hand könne er alles hinnehmen usw.
Das ist total masochistisch. Er will gedemütigt werden, er will leiden, er will vielleicht geschlagen und betrogen werden. Er empfindet auch eine gewisse Lust daran. An einer Stelle sagt er glaube ich, dass die Seele Melancholie zum Leben brauche...oder so ähnlich.

So wirkt das auf mich. Rudolf tut mir richtig leid.

Woher kommt dieser Masochismus? Von seiner Kindheit erfahren wir nur wenig. Er war offensichtlich Außenseiter. Als Jude, als introvertierter, schmächtiger Junge. Das allein erklärt das alles sicher nicht.
 

Helmut Pöll

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So wirkt das auf mich. Rudolf tut mir richtig leid.
Ich bin da wirklich hin und her gerissen. Stellenweise tut er mir - wie Dir @Leseglück - leid, weil er ja kein schlechter Mensch ist und niemandem etwas Böses will. Dann aber wieder regt mich seine unglaubliche Lethargie auf. Machmal möcjte man ihm zurufen: jetzt krieg bitte mal die Kurve. Er kriegt sie aber nicht.
Woher kommt dieser Masochismus? Von seiner Kindheit erfahren wir nur wenig. Er war offensichtlich Außenseiter. Als Jude, als introvertierter, schmächtiger Junge. Das allein erklärt das alles sicher nicht.
Dass es das alleine war glaube ich auch nicht, aber förderlich für seine Entwicklung war es sicher nicht. Auf den ersten Blick, wie er so im Umgang mit seinen Freunden beschrieben wird, wirkt er ja sympathisch und kurzweilig. Nur ist er irgendwann aus der Kurve geflogen, ohne dass es jemand bemerkt hätte.
Ich habe mich während der Geschichte oft gefragt, was wohl heute mit ihm geschehen würde. Mein erster Gedanke war, dass er vielleicht Amok laufen würde.
 

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Das mit dem Zurufen kann ich nachvollziehen. Spätestens bei der Vernachlässigung des Babys hört mein Verständnis für Rudolf auf. Er muss wirklich krank sein, anders lässt sich diese Hinnahme von Theas Verhalten nicht erklären.
 

Literaturhexle

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Soeben habe auch ich den Abschnitt beendet. Ich kann eurer Diskussion nichts mehr hinzu fügen, ihr habt die wesentlichen Dinge gut herausgestellt. Im Verlauf des Kapitels hatte ich aber zunehmend den Eindruck, dass G.s Nerven immer stärker verrückt spielten. Auch schon vor Martins Krankheit. Dazu diese wirren Träume und Wahnvorstellungen. Die Situation muss ihm ja zu Viel werden.

Was Thea betrifft, Stimme ich @Querleserin und @Leseglück zu: sie ist ein herzloses, kaltes Wesen, die Spaß am Quälen hat. Es ist komplett widernatürlich, sich eines kranken Kindes nicht anzunehmen - und das vielleicht nur, um den Vater zu strafen...

Allmählich fügen sich manche Bilder zusammen: der Selbstmord zu Beginn tauchte wieder auf, die Katze, die verlorenen Gliedmaßen....

Tragisch, das Alles!
 

Literaturhexle

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Verkehrte Rollen (für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich) auch in dieser Hinsicht.
Da müsste er ein ganz schön dickes Fell haben: sowohl bei den lästernden Kindermädchen im Park als auch im Krankenhaus, wo die Mutter über allem steht.... Aber das ist Gordweil schon gewöhnt....

Unser G. Ist ja verwunderlicherweise bei seinen Freunden immer wieder gern gesehen, obwohl er sie ständig anschnorrt und keine Gegeneinladung ausspicht. Auch hat er ja keinen eigenen Broterwerb, von der Schriftstellerei könnte er kaum leben, ist da auch von Thea abhängig (ebenso vertauschte Rollen).

Hat er eigentlich einen Studienabschluss? Oder warum nennt man ihn "Doktor "?
 
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Unser G. Ist ja verwunderlicherweise bei seinen Freunden immer wieder gern gesehen, obwohl er sie ständig anschnorrt und keine Gegeneinladung ausspicht. Auch hat er ja keinen eigenen Broterwerb, von der Schriftstellerei könnte er kaum leben, ist da auch von Thea abhängig (ebenso vertauschte Rollen).

Hat er eigentlich einen Studienabschluss? Oder warum nennt man ihn "Doktor "?
Ja, das wundert mich auch, @Literaturhexle . So ein ewiges Schnorrertum würde mir auch auf die Nerven gehen. Grundsätzlich ist mir aufgefallen, dass wir außer bei traumartigen Rückblenden nichts von seiner Familie erfahren. Weder wird irgendwie über sie berichtet, noch taucht bei irgendeiner Gelegenheit jemand real auf. Theas Familie ist präsent, die wird besucht. Rudolfs Familie dagegen scheint wie vom Erdboden verschluckt. Kein gutes Zeichen, wenn ihr mich fragt.
 

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Über seine Familie wird nur gesagt, dass sie gläubige Juden sind. Aus dieser Enge heraus will Rudolf. Aber das lese ichcauch eher aus der Biographie dws Autors heraus. Ob Rudolf studiert hat, erfährt man gar nicht, oder? Müsste er aber :rolleyes:. Schließlich ist er anerkannt und arbeitet in der Buchhandlung, vielleicht Literaturwissenschaft;).
 
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Helmut Pöll

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Mir fiel auch noch eine Szene während eines Ausfluges von Gordweil, Lotte und Dr. Astel auf. Als sie in der Straßenbahn fahren werden sie als "Juden" beschimpft, die doch zurück nach Galizien gesehen sollten. Das zeigt, dass zu jener Zeit der Antisemitismus schon in der Öffentlichkeit präsent war. Und das war ja nun doch einige Jahre vor dem Nationalsozialismus.
 

Literaturhexle

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Mir fiel auch noch eine Szene während eines Ausfluges von Gordweil, Lotte und Dr. Astel auf. Als sie in der Straßenbahn fahren werden sie als "Juden" beschimpft, die doch zurück nach Galizien gesehen sollten. Das zeigt, dass zu jener Zeit der Antisemitismus schon in der Öffentlichkeit präsent war. Und das war ja nun doch einige Jahre vor dem Nationalsozialismus.
Die Stelle hat mich auch erschreckt, kam sie doch recht unvermittelt. Wahrscheinlich muss man sich bewusst machen, dass die Juden über Jahrzehnte (mind.) ein Volk waren, dass mit vielen Vorurteilen und daraus resultierendem Hass zu kämpfen hatte. Mich hat überrascht, dass man es den Dreien so angesehen hat, denn sie kleideten sich doch eher modern.
In seinem Nachwort nimmt Biller auch Bezug auf diese Szene im Zusammenhang mit der Liebe des Autors zur Stadt Wien.
 

Helmut Pöll

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Als der kleine Martin ins Krankenhaus muss und sich in dieser schwierigen Situation Thea immer noch nicht um das Baby kümmern wil, spürt Gordweil erstmals Hass gegen seine Frau. Kein Wunder. Im Krankenhaus erzählt man ihm bei einem seiner Besuche, dass eine Besserung eingetreten sei und das Kind in wenigen Tagen wieder mit nach Hause könne. Aber als er es dann abholen will, kommt alles ganz anders.
 
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