"Im Buchmarkt sind nur Autoren und Leser zwingend erforderlich"

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Als im Jahr 2011 die durch Amazons Selfpublishing- und Kindle-Programm verursachte E-Book-Welle über die Buchbranche schwappte, sagten viele eine schnelle Umwälzung des Buchmarktes voraus. Hightech-Jünger und Fachjournalisten überboten sich mit Prognosen, bis wann das E-Book das gedruckte Buch überflügelt oder ganz verdrängt haben würde.

Heute wissen wir, dass sie sich geirrt haben, zumindest was die schnelle Umwälzung anging. Schon vor eineinhalb Jahren rief der Frankfurter Tagesspiegel passend zur Buchmesse das Ende des E-Book Booms aus (Der E-Book-Boom ist vorbei )

Im Jahre sechs nach Kindle hat sich der E-Book-Markt in Deutschland auf niedrigem Niveau stabilisiert. Der Börsenverein des Buchhandels sieht den Marktanteil der E-Books aktuell bei etwa 5 Prozent. Manche Studien melden gar einen rückläufigen Trend.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Mitnichten, sagt Dr. Karl-Ludwig von Wendt. Der Unternehmer beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung. Sein Startup Papego wurde auf der Frankfurter Buchmesse als Content-Start-up des Jahres 2016 ausgezeichnet. Aber Wendt kennt die Branche nicht nur aus Unternehmer-, sondern auch aus Autorensicht. Als Karl Olsberg veröffentlichte er bei Aufbau. Das System kam in die Spiegel-Bestsellerliste. 20 Romane bei Verlagen und im Selfpublishing sind bislang publiziert.

Für Wendt ist die "disruptive Technologie", die den Buchmarkt umwälzen könnte, nicht das E-Book, sondern das Selfpublishing. Als disruptive Technologie (englisch to disrupt „unterbrechen“) wird eine Innovation bezeichnet, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt, in ihrer Anfangsphase etablierten Produkten aber unterlegen ist. Genau das trifft auf das Selfpublishing zu, so Wendt.

[zitat]Ich möchte lediglich dafür sensibilisieren, dass diese Technologie den Buchmarkt in den nächsten Jahren viel tiefgreifender verändern könnte als das E-Book. [/zitat]
schreibt er in einem Beitrag für das Börsenblatt. Diese Mischung aus günstigeren Preisen, mehr Flexibilität und höheren Margen für Autoren könnte unter Umständen die entscheidende Kombination sein.

Er selbst habe beispielsweise mit seinen Selfpublishing-Titeln unter dem Pseudonym Karl Olsberg in den letzten zwei Jahren deutlich mehr verdient als mit seinen Verlagstiteln, bei ähnlich großem Zeitaufwand.

Deutlicher brachte es Amazons Kindle Manager Russ Grandinetti einmal auf den Punkt: [zitat]Im Buchmarkt sind nur Autoren und Leser zwingend erforderlich. Jeder dazwischen hat sowohl Chancen als auch Risiken.[/zitat]


Mehr Infos:
www.boersenblatt.net: Selfpublishing / Die wahre Disruption der Buchbranche beginnt erst
Disruptive Technologie – Wikipedia
 

Helmut Pöll

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Wenn man die ganzen extrem günstigen eBooks (0,99 € und sogar 0,00 €) betrachtet, könnten 5 % Umsatzanteil durchaus beinahe 33 % Stückzahlanteil entsprechen.
Ja, das stimmt natürlich @Frank1 . Ich glaube aber gar nicht, dass der Börsenverein die E-Books der Selfpublisher überhaupt mitrechnet. Der veröffentlicht immer nur Zahlen des Buchhandels. Und dass bei einem Hardcoverpreis von 20 Euro und einem E-Book-Preis von 17 Euro kaum jemand das E-Book kauft, ist nicht so verwunderlich.
 

InFo

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Allein bei der Betrachtung der Zahlen sieht man bereits, wie ungern man die Selfpublisherbranche betrachtet. Sie drehen sich alle mit Ekel weg und doch ist sie da, wachst und gedeiht und produziert mehr Bücher, als die Verlage.
Allein diese Aussage: [zitat]Im Buchmarkt sind nur Autoren und Leser zwingend erforderlich. Jeder dazwischen hat sowohl Chancen als auch Risiken.[/zitat] Großartig! Für mich ein absoluter Augenöffner, auch wenn ich selbst wieder einen Verlag anstrebe.
Allein der Gedanke, es gäbe keine Verlage, sondern nur Selfpublisher. Wie würden dann die Bestsellerlisten aussehen?
 

Helmut Pöll

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Großartig! Für mich ein absoluter Augenöffner, auch wenn ich selbst wieder einen Verlag anstrebe.
So geht es vielen. Das Selfpublishing hat zwar viele Vorteile, ist aber eben auch mit erheblichen Mühen und Zeitaufwand verbunden. Kann auch sein, dass es für einige Nischen besser funktioniert, als für andere.
[zitat]Auch den Autoren, die von Verlagen meist gar nicht als »Kunden« wahrgenommen werden, bietet Selfpublishing viele Vorteile[/zitat]
Diesen Satz von ihm fand ich besonders interessant. Er ist ja selber Bestsellerautor bei einem Verlag und SPler und schreibt, dass er da mit seinen Büchern mehr verdient, als über Ich Verlagsschiene.
Vielleicht wird die Rolle der Verlage in Zukunft mehr dahin gehen, dass sie Dienstleister für Autoren sind und Autoren dafür, bei mehr unternehmerischem Risiko, sich aus dem Angebot massgeschneiderte Pakete schnüren können, @InFo
 

InFo

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Er hat allerdings auch den Vorteil, sich über den Verlag bereits einen Namen gemacht zu haben. Das ist ja das Haupthindernis der SPLer. Sobald der "Zwischenverdiener" wegfällt, bleibt automatisch mehr hängen. Ist irgendwie eine Milchmädchenrechnung.
 

Helmut Pöll

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Er hat allerdings auch den Vorteil, sich über den Verlag bereits einen Namen gemacht zu haben. Das ist ja das Haupthindernis der SPLer. Sobald der "Zwischenverdiener" wegfällt, bleibt automatisch mehr hängen. Ist irgendwie eine Milchmädchenrechnung.
Ich habe mal mit einem schon etwas bekannteren Verlagsautor über Selfpublishing und die Erlösmodelle gesprochen. Der meinte dann: "5% von vielen Verkäufen ist mehr als 70% von nichts."

Das ist natürlich sehr plakativ, hat aber auch einen wahren Kern. Den wenigsten Autoren gelingt es ohne Verlagsmaschinerie eine große Zahl Leser zu erreichen. das wird in Zukunft auch eher noch schwerer, weil die Verlage in ihrer Internetkompetenz in den letzten beiden Jahren massiv aufgerüstet haben. @InFo . Ich halte sein Hybridmodell auch für das erfolgversprechendste.
 

Klara Bellis

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23. März 2014
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Wenn ich mir – als Leserin – die Selfpublishing-Megaseller so anschaue, oder das, was pausenlos bei Facebook als Werbung über mich hereinschwappt, fände ich es schade, wenn es irgendwann mal keine gut gemachten Verlagsbücher mehr geben sollte. Mich hatte neulich ein Blogbeitrag auf dem Blog von M. Matting nachdenklich gemacht. Da ging es darum, wo Verlage von Selfpublishern lernen könnten. Gleich der erste Punkt war, aller 3 bis vier Monate zu veröffentlichen. Wenn das zur Regel würde, wären das vermutlich fast alles Romane, die ich nicht lesen wollen würde. Wobei es da sicher nie ein "ganz oder gar nicht" geben wird, selbst wenn auch Verlagsautoren dazu übergehen sollten.
Wenn ich – als SP-Autorin – sehe, was es für Arbeit macht, ein Buch fertig zu bekommen (im Moment warte ich seit fast einem halben Jahr auf die Zuarbeiten von Lektorat und Korrektorat, das bei mir Freunde und Bekannte machen), wäre so ein Verlag im Rücken vielleicht auch nicht schlecht, dem man den ganzen Wust auf den Tisch packen könnte. Auch der Buchvertrieb ist so eine Sache für sich. Das mit dem E-Book ist recht schnell gemacht. Doch sobald es um Taschenbücher geht, sieht es schon wieder anders aus. Es frisst viel Kraft und Zeit, die man als Autor lieber ins Schreiben stecken sollte.
 
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Helmut Pöll

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Gleich der erste Punkt war, aller 3 bis vier Monate zu veröffentlichen. Wenn das zur Regel würde, wären das vermutlich fast alles Romane, die ich nicht lesen wollen würde.
Ich denke das wird auch nicht stattfinden, @Klara Bellis . Diese hohe Taktung gibt es in erster Linie bei Romance und Krimis, und auch nur wenn es dünnere Werke sind und als Fortsetzung angelegt. Wenn man mal schaut welche Bücher sich in den Bestsellerlisten halten oder in mehreren LÄndern verkauft werden, dann sind das in der Regel keine Werke, die in wenigen Wochen heruntergetippt worden sind.
Wenn ich – als SP-Autorin – sehe, was es für Arbeit macht, ein Buch fertig zu bekommen (im Moment warte ich seit fast einem halben Jahr auf die Zuarbeiten von Lektorat und Korrektorat, das bei mir Freunde und Bekannte machen), wäre so ein Verlag im Rücken vielleicht auch nicht schlecht,
Der Umbruch, den wir momentan erleben, ist eher eine Neusortierung. Verlage werden ganz sicher nicht verschwinden, aber ihr Verhältnis zu den Autoren wird sich vermutlich ändern, mehr hin zu einem Dienstleistungsunternehmen.
 

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