Rezension Hörst du das Plätschern? - von Tom Hesse

Habt ihr schonmal von dem Buch gehört oder es gar gelesen?

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  • Nein

    Stimmen: 2 66,7%

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Tikay

Neues Mitglied
27. März 2021
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Hörst du das Plätschern? Das ist die Frage, die wir uns alle früher oder später stellen müssen. Eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist, aber dennoch gestellt werden muss. In Tom Hesses kürzlich erschienenem Erstlingswerk ‚Hörst du das Plätschern?‘ ist das die zentrale Frage. Die eine Frage und die eine Antwort. Doch welche? Obgleich ich in diesem Text diese Frage nicht zu beantworten vermag, möchte ich dennoch meine Meinung zu diesem Buch kundtun.

Beginnen möchte ich mit folgenden Zeilen aus dem Buch:

„Er hielt inne. Es traf ihn wie ein Blitz. Die anfängliche Nervosität, weggespült.
Die Zweifel, die Sorgen, die Ängste. Alles leere Worte. Bedeutungslos, belanglos.
Was blieb, war das pure Verlangen nach dem Leben. Dem Begehren. Er hatte
gefunden, nach was er trachtete. Wie ein Jäger sein Wild. Wie ein Angler seinen
Fisch. Wie ein Ertrinkender seinen Rettungsring. Er hatte es gefunden. Das ewig
Gute. Das ewig Bestehende. Das ewige Glück. Dem Herzen so nah gekommen,
erfreute sich der Verzweifelte an der Wärme dieses Glücks. Ich höre das Plätschern,
Tadzio! Komm zu mir! Halte mich. Küsse mich. Liebe mich. Lass mich nie mehr
allein. Mein größter Schatz von allem. Mein großes Glück.“

Da ist es, das Plätschern. Für Alexander, dem Protagonisten dieses Buches, bedeutet es in diesem Moment alles. Er will zu ihm, zu Tadzio, seinem Gift, seinem Leiden der vergangenen Wochen. Tadzio ist Alexanders Arbeitskollege und die beiden kennen sich bis dato erst wenige Monate und doch ist da zwischen den beiden schon nach kurzer Zeit etwas, das Beachtung wünscht. Das nicht kleingeredet und schon gar nicht unterdrückt werden kann. Zwei vertraute Seelen haben sich nicht gesucht und dennoch gefunden und möchten sich von nun an ihr Glück teilen. Dumm nur, dass Alexander verheiratet ist und eine vierjährige Tochter hat. Moralisch fragwürdig handelt Alexander in diesem Moment, als er vor Tadzios Wohnung steht und das Plätschern des Baches wahrnimmt, nur auf den ersten Blick. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass ich es keineswegs begrüße, wenn Menschen anderen Menschen gegenüber unaufrichtig sind. Gleichwohl insistiere ich aber, dass es stets der Betrachtung des Einzelfalles bedarf, um ein hinreichend akzeptables Urteil fällen zu können.

Betrachten wir daher den Fall Alexander genauer:
Alexander, 33-jährig, hat nach Ende seiner Ausbildung vor 13 Jahren aus beruflicher Sicht keine nennenswerten Erfolge zu verbuchen. Dies frustet ihn, hat er doch stets ein wenn auch nur latentes Verlangen nach beruflichem Aufstieg. Zuhause warten seine Frau Julia und die gemeinsame Tochter Mia. Julia, Architektin, ist eine echte Powerfrau. Zu keiner Zeit lässt sie sich von Alexander den Frohsinn nehmen, wenn dieser mal wieder von der Last des Existierens erdrückt wird. Auch Mia will sich nicht der Schönheit des Lebens berauben, wenn ihr Vater ihr nicht die verlangte Aufmerksamkeit zukommen lässt. Durch Alexanders passives Verhalten, welches er sich im Laufe der Jahre zu Eigen gemacht hat, entfremdet er sich mehr und mehr von seiner Frau und zu seiner Tochter konnte er bislang noch gar keine anständige Bindung aufbauen. Es zeigt sich das Bild einer aus dem Lot geratenen Familie oder um es zu präzisieren eines aus dem Lot geratenem Ehemanns und Vaters. Grund für Alexanders Frust und seiner Distanziertheit gegenüber Frau und Kind ist nicht primär der berufliche Stillstand, vielmehr ist es der Verschleiß seines emotionalen Lebens im Allgemeinen und die daraus resultierende Abstumpfung jeglichen Gefühls aufgrund einer Alltagsroutine, die sich im Laufe der Zeit in sein Leben eingeschlichen hatte. Eine Routine, der er scheinbar nicht entkommen kann. Die ihn packt, festhält und nicht mehr loslässt. Die ihm keinen Platz zum Wachsen und keine Luft zum Atmen gewährt. Er ist Gefangener seines eigenen Lebens. Unglücklich betrachtet er die Glücklichen, nicht wissend, wie er es ihnen gleichtun könnte. Er sieht den Regenbogen, bemüht sich aber nicht, das Ende zu erreichen und sich den Goldtopf zu schnappen. Alexander an dieser Stelle zu bedauern ist legitim, aber ich maße mir an, zu behaupten, dass ein Gutteil der Menschen Alexanders Empfinden nachvollziehen können und ich bin mir sicher, dass viele es verstehen werden, wenn ein Mensch alles in seiner Macht stehende tut, um sich sein Stück vom Glück zu sichern.

Wir wissen nun, wie es um Alexanders Gefühlsleben bestellt ist. Er wartet auf sein Glück, auf seine Rettung, auf seinen Deus ex Machina, der ihn vor dieser Unwelt von Existenz erlöst. Und dann ist er plötzlich da! Tadzio. Tadzio der Göttliche! Alexanders Retter und sein Glück! Kann man es ihm daher verübeln, dass er schwach wird? Der Mensch ist Getriebener seiner Leidenschaft. Ein Funke genügt und das Herz steht in Flammen. Und dieses Feuer wütet. Es wütet, ohne dass der Getriebene etwas dagegen tun kann. Tadzio lässt Alexanders Herz Feuer fangen und Alexander genießt es in vollen Zügen. Und ich freue mich für ihn. Endlich lebt er wieder!

Kommen wir zurück auf das Plätschern. Im Buch ist das Plätschern des Baches, welcher neben Tadzios Wohnung entlang fließt, für die beiden eine Art Code für Beischlaf. Hören beide das Plätschern bedeutet dies, dass beide zum gemeinsamen Akt bereit sind. Im Allgemeinen lässt sich hieraus jedoch eine Analogie ableiten, die es ermöglichen soll, jedem zu jeder Zeit seiner Leidenschaft nachzugehen. „Hörst du das Plätschern?“, bedeutet so viel wie, „Lebst du deine Leidenschaft?“ Und was kann es Besseres geben, als seine Leidenschaft zu leben?


Fazit:
Dieses Buch zu empfehlen fällt mir nicht schwer, hat es mich doch, dank seiner besonderen Erzählweise, einem Wechselspiel aus lustig-ironischen und traurig-bitteren Momenten, bestens unterhalten.