Haben uns Klassiker noch was zu sagen?

Helmut Pöll

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Die Werke von Thomas Mann, Tolstoi, Dostojewski, Goethe, Voltaire, Dickens und Shakespeare gehören zu den Klassikern der Weltliteratur. Aber haben uns diese Werke so viele Jahre nach ihrer Entstehung überhaupt noch irgendetwas zu sagen? Macht es im Jahr 2016 Sinn Tolstoi zu lesen?

Der Publizist und Lehrbeauftragte der Universität Bonn, Michael Schikowski, hat darauf eine wenig schmeichelhafte Antwort.
[zitat]Auf die Frage, was die Klassiker uns heute noch zu sagen haben, gibt es eine ziemlich eindeutige Antwort: Nichts![/zitat] schreibt er in einem Gastbeitrag für Deutschlandradio Kultur.

"Der Klassiker ist uns fremd", behauptet er weiter.

[zitat]Man schaut in diese Romane und Erzählungen wie in eine Abstellkammer längst überwundener menschlicher Probleme und gesellschaftlicher Missstände.[/zitat]

Wie seht ihr das?

Den ganzen Beitrag könnt ihr hier lesen:
www.deutschlandradiokultur.de: Tradition und Bildung - Warum Literatur-Klassiker uns längst fremd sind
 
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Tiram

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4. November 2014
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Also, hätte er nicht Fallada ins Spiel gebracht, hätte ich mich gar nicht drum geschert.

Ich gebe zu, so viele Klassiker habe ich noch nicht gelesen, wenn aber doch schon recht viele Verfilmungen gesehen. Und das in ganz jungen Jahren.

Und wenn ich sehe, was heutzutage alles auf den Markt geworfen wird, denke ich, ab und zu ein Klassiker ist gar nicht so übel. Wobei da ja auch alles drin vorkommt: Liebe, Krimi, Utopie und sicher noch andere Genres.

Ich denke mal, die Meinung von Michael Schikowski ist nicht in Stein gemeißelt :)
 
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Sakuko

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27. Juni 2016
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Ich denke die menschliche Natur ändert sich nicht wirklich.
Wir wissen mehr und die Gesellschaft ändert sich, aber die grundlegenden Emotionen bleiben gleich, und somit auch viele der grundlegenden Konflikte. Liebe und Freundschaft, Macht und Geldgier, Trauer, Intrigen, Verrat, Ausgrenzung gabs vor 200 Jahren schon und gibts immer noch.

Und obwohl sich unsere Gemeinschaft und Gesellschaft verändert verschieben sich Probleme oft nur. Die Geschichte wiederholt sich selbst, heißt es doch, und oft stimmt das. Auch hier können Klassiker relevant und übertragbar bleiben.

Und letztendlich lese ich Bücher nicht weil sie bildend sind, sondern weil sie Spass machen und unterhaltend sind.
Und das hat mit dem Alter des Buches einfach gar nichts zu tun, ob ich mich unterhalten fühle.
 

Frank1

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5. April 2016
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Der Publizist und Lehrbeauftragte der Universität Bonn, Michael Schikowski, hat darauf eine wenig schmeichelhafte Antwort.
[zitat]Auf die Frage, was die Klassiker uns heute noch zu sagen haben, gibt es eine ziemlich eindeutige Antwort: Nichts![/zitat]

Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können.

Obwohl ich schon von klein auf gerne lese, hat es mich schon in meiner Schulzeit nur genervt, irgendwelche Goethe-Texte zu analysieren. Was meine Deutschlehrerin da immer hineininterpretiert hat, konnte ich nie nachvollziehen. Alle 'Klassiker', die mir jemals vors Auge gekommen sind, reden nach meinem Geschmack viel zu sehr um den heißen Brei herum.
 
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Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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@Sakuko
Du sprichst mir aus der Seele, empfinde das ähnlich.
Ich stimme Euch beiden auch absolut zu. Natürlich haben sich die Lebensumstände über die Jahrzehnte geändert. es gibt Flugzeuge, Internet etc. Aber im Wesenskern sind sie gleich geblieben. Sie sind genauso selbstlos, hilfsbereit, intrigant, egoistisch, niederträchtig oder gemein, wie sie das auch vor 300 Jahren waren. Nicht ohne Grund ist ein Werk wie Shakespeares Romeo und Julia immer noch so beliebt. Dieslebe Geschichte könnte auch heute noch passieren. @Sakuko , @Sassenach123
 

Sassenach123

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@Helmut Pöll
Da gebe ich dir Recht. Vieles ist nach wie vor aktuell. Aber auch eine alte Denk und Sichtweise kann manchmal sehr interessant sein.

Die einzige Hürde die ich bei einigen Klassikern oft erst überwinden muss, ist der Schreibstil, die Ausdrucksweise. Um beim Beispiel Shakespeare zu bleiben, da tue ich mich etwas schwer, wenn man sich reingelesen hat klappt es aber ganz gut. Aber da ist Shakespeare auch mit eines der krassesten Beispiele.
 

Renie

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Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können.

Obwohl ich schon von klein auf gerne lese, hat es mich schon in meiner Schulzeit nur genervt, irgendwelche Goethe-Texte zu analysieren. Was meine Deutschlehrerin da immer hineininterpretiert hat, konnte ich nie nachvollziehen. Alle 'Klassiker', die mir jemals vors Auge gekommen sind, reden nach meinem Geschmack viel zu sehr um den heißen Brei herum.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Aversion gegen Klassiker doch in großem Maße den Schulen anzulasten ist. (Sorry, @Querleserin ;)) Lesen in der Schule ist immer mit Zwang verbunden. Und wer liest schon gern unter Zwang ... und wenn schon, dann bitte ein Buch, das ich mir selbst ausgesucht habe und nicht eines, das der Lehrplan vorschreibt. Mal davon abgesehen, dass Schüler mit Sicherheit andere Bücher auswählen würden.
Nach meiner Schulzeit hätte man mich mit Klassikern jagen können. Heutzutage habe ich wieder einen ganz anderen Zugang zu den alten Schätzchen gefunden. Ich lasse mich gern von Zeit zu Zeit auf die "alte" Sprache ein und stelle oft fest, wie aktuell Bücher sein können, die schon zig Jahre auf dem Buckel haben.

Und was die "Abstellkammer der menschlichen Abgründe" (oder so ähnlich) angeht. Die interessiert mich nicht. In erster Linie lese ich zur Unterhaltung, und mache mir keine Gedanken darüber, ob das Gefühlsleben des jeweiligen Protagonisten zeitgemäß ist.
 

Querleserin

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Danke @Renie, dass du mich in die interessante Diskussion hineingezogen hast. Ich stimme zu, dass sich die menschlichen Gefühle und Verhaltensweisen nur wenig geändert haben, die gesellschaftlichen und politischen schon. Wenn ich an den Untertan von H.Mann denke, ist der wunderbar ironisch und nimmt die Verhaltensweise des nach oben buckeln und nach unten treten herrlich aufs Korn. Gleichzeitig erfahre ich was übers Kaiserreich...klar ist das auch lehrreich, aber ist das zu verurteilen. Ich lese gerne Literatur aus anderen Kulturen, um etwas über diese zu erfahren. Warum nicht Klassiker lesen mit dem Hintergrund etwas über die gesellschaftlichen Umstände der Zeit zu erfahren. Dabei wird uns doch bewusst, was sich alles verändert hat oder eben auch nicht. Was würde die Marquise von O. heute tun. Twittern ;)
@Renie: klar gibt die Schule vor, aber wir eröffnen auch die Chance sich darauf einzulassen. Andernfalls wäre die Germanistik schon ausgestorben ;) etwas überspitzt formuliert.
 
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Noch eine Ergänzung : Klar kann man auch historische Romane lesen, aber gerade interessant ist es doch, was die Zeitgenossen gedacht haben. Das sagen mir die Klassiker. Die Sprache ist ein Hemmnis, aber manchmal sollte man sich Herausforderungen stellen ;)
Ab Montag wieder der Antigone ;)
 
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Die einzige Hürde die ich bei einigen Klassikern oft erst überwinden muss, ist der Schreibstil, die Ausdrucksweise. Um beim Beispiel Shakespeare zu bleiben, da tue ich mich etwas schwer, wenn man sich reingelesen hat klappt es aber ganz gut. Aber da ist Shakespeare auch mit eines der krassesten Beispiele.

Ich finde Shakespeare relativ gut verständlich, wenn man es im Original liest. Shakespeares Komödien waren die ersten englischen Bücher die ich mit 12/13 gelesen habe.
Shakespeare ist nicht umsonst Mitbegründer des modernen Englisch, ich finde ihn dementsprechend gut verständlich.
Leider sind die deutschen Übersetzungen eine Qual, da die Sprache altmodischer ist als sein Englisch und man das auch noch wieder in das Versmaß quetschen musste.

Gothe finde ich da eigentlich schlimmer, da kenne ich immer viele der Worte gar nicht. Aber selbst das geht dann aus dem Kontext heraus.

Ich muss auch sagen, dass Schullektüre meist nicht zur Klassikbegeisterung führt, was oft auch damit zusammenhängt, wie es unterrichtet wird, nämlich oft staubtrocken statt lebensnah. Kommt natürlich auf die Lehrer an, aber ich hatte da auch keine guten.
Und es liegt halt das analysieren nicht jedem. Wenn ich ein Buch nicht nur lesen, sondern zerpflücken soll, dann nimmt mir das automatisch die Freude an der Sache, weil ich nicht einfach so runter lesen kann. Oft fand ich die Bücher beim 2ten durchlesen später im Leben besser als in der Schule.
 
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Fridolin

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Ich sehe es differenzierter, denn es gibt sicherlich Klassiker, mit denen man heutzutage weniger anfangen kann, während es sicherlich "Evergreens" gibt. "Der Mann und das Meer" ist irgendwie ebenso zeitlos wie Abenteuergeschichten wie "Die Schatzinsel". Oder "Schöne Neue Welt", "1984", "die Zeitmaschine" - es gibt so viele Bücher, von denen ich nicht behaupten würde, dass sie nichtssagend sind.
 

Frank1

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"Der Mann und das Meer" ist irgendwie ebenso zeitlos wie Abenteuergeschichten wie "Die Schatzinsel". Oder "Schöne Neue Welt", "1984", "die Zeitmaschine" - es gibt so viele Bücher, von denen ich nicht behaupten würde, dass sie nichtssagend sind.

Das würde ich jetzt auch nicht als Klassiker in dem Sinne betrachten. Das Zitat im Startposting dieses Threads dürfe sich wohl eher auf die 'klassischen Klassiker' wie Goethe, Schiller oder Shakespeare beziehen. Zwischen denen und den 'Neo-Klassikern', wie du sie aufzählst, besteht zumindest für mich ein prinzipieller Unterschied.
 
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Neo-klassiker, das finde ich gut! Und trifft es auch meiner Meinung nach ziemlich gut. Denn mir geht's auch wie @Fridolin, "Die Schatzinsel" oder die Romane von Jules Verne oder auch Karl May sehe ich auch als sehr lesenswert an - als moderne Literatur würde ich sie aber nicht sehen.

Goethe, Schiller und Co. hingegen können mir mal im Mondschein begegnen. Die geben mir wirklich gar nichts.
 

Helmut Pöll

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Fridolin

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Das glaube ich auch, @Renie .

Finde ich auch gut. Aber auch bei den "klassischen Klassikern" gibt es viele auch heute noch gut lesbare. Vielleicht sollten wir hier mal eine Buchliste mit "lesbaren Klassikern" anlegen.
Das wäre mal eine Idee, aber woran kann man den "klassischen Klassiker" festmachen? Veröffentlicht vor 1800? Oder bezieht es sich auf die Literaturepoche der "Klassik"?
 

Helmut Pöll

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Das wäre mal eine Idee, aber woran kann man den "klassischen Klassiker" festmachen? Veröffentlicht vor 1800?
Ich war jetzt etwas großzügiger und habe als Grenze 1900 definiert. Hier findet ihr eine Liste "Klassiker, die gut zu lesen sind"
Vielleicht wollt ihr Eure Vorschläge ebenfalls mit einbringen. Dann einfach auf den Link klicken, nach unten scrollen und über die Buchsuche den gewünschten Titel hinzufügen.
@Fridolin
 
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Frank1

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5. April 2016
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Ich finde, irgendeine Jahreszahl wird dem 'Problem' nicht gerecht. Autoren wie Goethe, Schiller, Kleist, Storm sind für mich 'die Klassiker'. Bestimmte Bücher (oder auch Autoren) sind für mich dagegen Klassiker ihres Genres. "Die Schatzinsel" würde ich beispielsweise als Klassiker der Abenteuerliteratur betrachten, "Sherlock Holmes" als Klassiker der Detetktivgeschichten, "1984" als Klassiker der Dystropien. Wenn man da eben beispielsweise "Sherlock Holmes" nimmt, sind die früheren Geschichten auch schon vor 1900 erschienen. Trotzdem ist der Erzählstil modern und unterscheidet sich kaum von modernen Büchern.
 
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