Also, zunächst einmal ist mir meine Kinnlade heruntergeklappt und mein imaginierter zauseliger Vollbart landete im milchgetränkten Müsli. Kurz ausgewaschen und weiter gehts.
In meinen Augen ist Clemens J. Setz der beste und kreativste Kopf der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Er schwankt ein wenig zwischen Genie und Wahnsinn und lässt vieles davon in seine Figuren einfließen. Die Protagonist:innen kommen in den meisten Fällen in der Gesellschaft nie so richtig an. Sie sind einsam, verletzlich, manchmal wütend und oft ein wenig verrückt. Die Handlungen seiner Romane und Erzählungen bewegen sich häufig im Bereich des Absurden und Grotesken. Auch sprachlich überrascht Setz immer wieder, vor allem auch in den Dialogen, die ja so vielen Autor:innen zu schaffen machen. Ich selbst bin kein Freund von dialoglastigen Romanen, aber bei Setz sind die Gespräche eine wahre Freude.
Eine große Rolle in Setz' Werken spielen Tiere. Setz selbst sagte mal in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, er empfinde besonders starkes Mitgefühl mit ihnen. In vielen seiner Werke spiegelt sich dieses Empfinden wider. Ein weiteres zentrales Motiv ist die Synästhesie, das auch auf den Autor selbst zurückführt, denn Setz ist Synästhet.
Als Einstieg eignet sich vielleicht tatsächlich der hier schon erwähnte Erzählband "Der Trost runder Dinge" ganz gut, da seine Romane häufig recht lang sind und man ja erst herausfinden muss, ob einem der Stil zusagt.
Meine Lieblingsgeschichte in diesem Buch ist "Zauberer". Sie ist zugänglich und zeigt in ihrer Mischung aus Verletzlichkeit, Melancholie und Boshaftigkeit in meinen Augen sehr gut, was das Besondere an Setz' Schreibweise ist.
Meine Lieblingsromane (und Lieblingsbücher überhaupt) sind "Indigo" und "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre":
"Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" ist dabei wohl zugänglicher, aber auch länger. Stellenweise mutet der Roman wie ein Thriller an, ist dabei aber gleichermaßen philosophisch und berührend.
"Indigo" war der erste Roman, den ich von Setz las, und er trieb mich selbst ein wenig an die Grenzen zum Wahnsinn. Der Protagonist ist der Mathelehrer Clemens Setz, der nachforscht, was es mit den Indigo-Kindern auf sich hat. Jeder, der diesen Kindern zu nahe kommt, leidet plötzlich an furchtbaren Kopfschmerzen. Schlimm wird es, als einige dieser Kinder verschwinden... Setz mischt hier fiktive Zeitungsausschnitte und vermeintlich alte Legenden in die Handlung und spielt ständig mit der Frage, was Wahrheit ist und was Fiktion. Bei der damaligen Lektüre träumte ich regelmäßig von diesem Buch und sah mich ständig im Internet nach möglichen Fakten suchen. Ich weiß, total verrückt. In der zweiten Hälfte wird der Roman vollends schräg, dafür muss man schon ein Faible haben
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Weitere geniale Werke sind "Bot", in dem Setz die Antworten auf ein Interview einfach mal der Künstlichen Intelligenz überlässt und sein neuestes Buch "Die Bienen und das Unsichtbare". Hier erfährt man nicht nur über Setz selbst unheimlich viel, sondern kommt auch auf seine Kosten, wenn man sich für Sprachen aller Art und insbesondere Plansprachen interessiert. Faszinierend und berührend!
Ich hoffe, jetzt hat mal jemand Lust, sich das ein oder andere Werk näher anzuschauen. Es lohnt sich!