Fazit

Emswashed

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9. Mai 2020
2.674
9.513
49
Das Buch ist kurz, aber sehr eindringlich. Der Dorftrottel und Erzähler Antoine macht es dem Leser nicht leicht, zu verstehen, was eigentlich passiert ist. Für ihn sind zwar alle Ereignisse noch präsent, stehen aber kaum in irgendeinem Zusammenhang und werden auch dementsprechend erzählt, er springt in Raum und Zeit. Aber nach anfänglicher Verwirrung, hatte ich mich festgebissen und wollte aus diesen Bruchstücken doch ein Bild zusammensetzen.
Das Ende war, trotz Vorwegnahme, dann doch noch eine Überraschung für mich.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
6.405
23.954
49
66
Ich habe mich durch das Buch gequält. Die Sprache mag angemessen gewesen sein, mich hat sie abgestoßen.
„ ...ein Roman voll bitterer Schönheit und ergreifender Menschlichkeit.“ So hat Le Monde über den Roman geurteilt. Ich konnte keine Schönheit finden und noch weniger Menschlichkeit.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.555
16.316
49
Rhönrand bei Fulda
Tja. Das äußere Geschehen - die "Muräne" behandelt das Mädchen immer schlechter, ihr Mann zieht sich völlig zurück und am Ende sieht das Mädchen keinen anderen Ausweg als Suizid - ist ziemlich knallig und, wie ich finde, auch nicht so recht motiviert, vor allem auch die Einzelheit mit dem rasierten Kopf nicht.

Wie es in der Diskussion zum letzten Leseabschnitt schon hieß, man kann nicht mal von einer wirklich ungerechten Verurteilung sprechen, denn Antoine hat die Tat mehr oder weniger ausdrücklich zugegeben. Dass er bereits vorher herumlief und aller Welt erzählte, er sähe Florence schon tot im Wald liegen, tat ein übriges.

Was ich wirklich beeindruckend fand, waren die letzten paar Seiten. Wie Antoine seinen Tod erlebt und wie sich dieser seinem Bruder Pierre darstellt. Das ist eine erschütternde Gegenüberstellung und zeigt für mich auf, was dem Buch die ganze Zeit gefehlt hat: eine neutrale zweite Erzählstimme. Ich fand die Beschränkung auf Antoine als Sprecher ermüdend und zeitweise ziemlich abstoßend.

Auch für mich hat das Buch die Erwartung nicht recht eingelöst. Wieder mal würde ich gern dreieinhalb Punkte geben und schwanke noch, ob ich auf- oder abrunde.

ps. Ich habe mal in einem "alternativen Reiseführer" über Korsika gelesen, wer sich ein schnelles Bild von den Leuten auf Korsika machen wolle, solle "Asterix auf Korsika" lesen. Das mag stimmen. Dieses Buch sollte er jedenfalls meiden, wenn er danach immer noch hin will.
 
Zuletzt bearbeitet:

RuLeka

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30. Januar 2018
6.405
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zeigt für mich auf, was dem Buch die ganze Zeit gefehlt hat: eine neutrale zweite Erzählstimme. Ich fand die Beschränkung auf Antoine als Sprecher ermüdend und zeitweise ziemlich abstoßend.
Ein neutraler Erzähler, der das Geschehen besser einordnet und v.a. eine Sprache, die das Lesen erträglich macht, wäre für mich notwendig gewesen.
Ich brauche keine Heile- Welt- Geschichten, auch mit der wirren Erzählweise bin ich klar gekommen und ich verstehe die „ Botschaft“ des Buches. Doch Antoine als Erzähler hat mich nicht erreicht. Ich werde dieses Mal nicht großzügig sein können bei der Punkte- Vergabe. Mich hat die Geschichte und die Sprache abgestoßen.
Bei „ Schwarzrock“ ( manche erinnern sich vielleicht) war die Sprache der Eingeborenen und deren Sitten auch sehr derb und nicht leicht erträglich. Dort gab es aber einen Erzähler, der erzählen konnte und die Geschichte an sich war faszinierend.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Das ist eine erschütternde Gegenüberstellung und zeigt für mich auf, was dem Buch die ganze Zeit gefehlt hat: eine neutrale zweite Erzählstimme.

Gerade dieses Fehlen der neutralen Erzählstimme ist der Kern des Buches und wird mit seinem Titel auch deutlich. Mich hat Antoines Stimme nicht mehr losgelassen.
Über Kadoke, zum Beispiel wurde erzählt und die Erzählstimme hätte einiges besser wissen müssen und dem Leser gegenüber diplomatischer sein sollen.
In diesem Buch bin ich Kadoke ganz und gar in den Kopf gestiegen. Das hat Frau Estève sehr gut hinbekommen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
19.244
49.156
49
vor allem auch die Einzelheit mit dem rasierten Kopf nicht.
Noelle war ja ziemlich besessen von dem Kind. Schließlich wurde sie neidisch auf die schönen vollen Haare und die fraulich-junge Figur der werdenden Mutter. Als sie F. unter Kontrolle hatte, hat sie sich irgendwie an dem Mädchen abgearbeitet. Sie wollte sie demütigen und die Haare nicht mehr sehen. Noelle ist psychisch krank geworden. Nachvollziehbar ist das.
und ich verstehe die „ Botschaft“ des Buches.
Hat es eine Botschaft? Klär mich doch bitte auf, da stehe ich auf dem Schlauch...
Mich hat Antoines Stimme nicht mehr losgelassen.
Mich irgendwie auch nicht. Er ist eine tragische Figur für mich. Auch seine obszöne Sprache und seine Fäkalien haben mir nichts ausgemacht. Meistens Tat er mir leid.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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„ Botschaft“ im weitesten Sinn: Aufzuzeigen, was es bedeutet, wenn ein Mensch von Anfang an zum Außenseiter gestempelt wird, aufzuzeigen, wie eine Gesellschaft aussieht, die keine Empathie aufbringt, die roh, brutal und engstirnig ist.
Danke dir! Dann habe ich alles mitbekommen;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Mir hat das Buch im Großen und Ganzen gut gefallen. Antoine wirkt zurückgeblieben, seine Sprache ist sehr einfach, wirkt aber stimmig und passend. Er rollt die Ereignisse von vor über 30 Jahren noch einmal auf. Er selbst saß 15 Jahre wegen Mordes im Gefängnis.

Die Grundstimmung ist sehr trostlos. Dennoch hat mich die Handlung gefesselt, wollte Ich doch wissen, wer für den Tod der jungen Frau verantwortlich ist. A. präsentiert im Verlauf der Erzählung mehrere Verdächtige.

Das Ende war mir persönlich etwas unspektakulär, der Suizid nicht ganz stimmig. Dass Antoine jedoch Spuren vernichtet, als er Florence findet, ist denkbar (man denke an "Green Mile").
Allerdings haben mich die weissagenden Träume des Erzählers auch nicht überzeugt. Alles ziemlich konstruiert, aber nicht schlecht.
Ich denke, es läuft bei mir auf 4 Sterne hinaus. Einer besser als das Schilf im Wind, das mich mehr gelangweilt hat.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
3.050
7.678
49
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Wie soll ich bloß dieses Buch bewerten. So eine traurige, trostlose Geschichte. Ich habe dieses Buch wirklich nicht gerne gelesen. Ich muss hier versuchen zu differenzieren zwischen der Sprache, die für mein Lesegefühl unmöglich war (und mit Sicherheit mit der Übersetzung zu tun hat) und dem Inhalt. Was hier auf so wenigen Seiten erzählt wird: die mangelnde Inklusion, Alkoholismus, physische und sexuelle Gewalt. Dieses Buch ist quälend, abstoßend, ein einziger Schwall an Ungerechtigkeit und Trostlosigkeit. Ein Dorf der Chancenlosen, so rohe Menschen, dass es in der Geballtheit kaum auszuhalten geht. Ein Buch bei dem ich froh bin, dass ich es zuklappen konnte.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Vom Gefühl hat mich Ich, Antoine an dieses Buch erinnnert:
Die Grundstimmung ist die gleiche. Auch hier habe ich mich gefragt, wie man unter solchen Umständen heranwachsen kann. Mit dem Unterschied, dass Antoine einfach von Anfang an keine Chance hat, dem Umfeld, zu entkommen.
 

ulrikerabe

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Noelle war ja ziemlich besessen von dem Kind. Schließlich wurde sie neidisch auf die schönen vollen Haare und die fraulich-junge Figur der werdenden Mutter. Als sie F. unter Kontrolle hatte, hat sie sich irgendwie an dem Mädchen abgearbeitet. Sie wollte sie demütigen und die Haare nicht mehr sehen. Noelle ist psychisch krank geworden. Nachvollziehbar ist das.
Wenn Frauen der Kopf geschoren wird ist das doch auch um sie zur Hure abzustempeln. Florence die Hure, Noelle die Mutter. Von daher finde ich das schon stimmig.
 

MRO1975

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11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Wieder kein Buch, dass ich weiter empfehlen würde. Einzig die Sichtweise As fand ich interessant, aber seinen Slang zu übertrieben, die Ungerechtigkeiten zu krass und insgesamt alles zu trostlos. Mir den Dreck der Gesellschaft zu zeigen, ist für mich keine literarische Botschaft. Wenn ich das möchte, brauche ich mir nur die Nachrichten anzusehen. Deshalb verstehe ich nicht, was die Autorin damit bezweckt. Mehr als 3 Sterne werden es auch hier wieder nicht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Wenn Frauen der Kopf geschoren wird ist das doch auch um sie zur Hure abzustempeln. Florence die Hure, Noelle die Mutter. Von daher finde ich das schon stimmig.

Ahso, stimmt, daran hatte ich gar nicht gedacht.
Ich hatte ständig die Geschichte mit dem See im Kopf - diese Gruselgeschichte, die Antoine den Kindern erzählt hat. Da ging es ja auch um Haare, das hat mich irgendwie verwirrt.
 
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Reaktionen: Emswashed

Renie

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19. Mai 2014
5.858
12.454
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich habe dieses Buch an einem Tag gelesen. Es ist kein Wohlfühlbuch, an diesem Buch ist fast alles trostlos, hässlich und abstoßend. Aber gerade das hat für mich den Reiz an diesem Roman ausgemacht, weil er ganz anders ist, als die Romane, die man sonst momentan in den Verlagsprogrammen findet. Bücher mit geistig behinderten Ich-Erzählern suggerieren immer ein liebenswertes Bild desjenigen ... zumindest war es bisher so bei den Büchern, die ich gelesen habe. (Und jetzt komme mir bitte keiner mit dem Gedanken, dass die Autorin etwas gegen Behinderte hat, weil sie ihren Antoine als abstoßend darstellt.;))
Ich schätze es, wenn ein Autor eine gute Geschichte erzählt, mehr Intention eines Autors brauche ich nicht. Und das ist Julie Estève gelungen.: ein schräger Protagonist - ein fieser Schauplatz - Sympathieträger muss ich nicht haben - eine Leiche - dramatische Verwicklungen - ein Geheimnis, das nach und nach gelöst wird, aber immer noch Raum für Spekulationen lässt.
MIr hat der Roman sehr gut gefallen!
 

Literaturhexle

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Ich schätze es, wenn ein Autor eine gute Geschichte erzählt, mehr Intention eines Autors brauche ich nicht. Und das ist Julie Estève gelungen.: ein schräger Protagonist - ein fieser Schauplatz - Sympathieträger muss ich nicht haben
So geht es mir in diesem Fall auch. Die Geschichte ist absolut authentisch erzählt. Das muss man erstmal schaffen, sich so konsequent in eine schwierige, minderbemittelte Figur hineinzudenken und deren Sichtweise wiederzugeben.