Fazit

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.241
49.146
49
Ein sehr lesenswerter Roman von Julian Barnes, der ein Talent für unglücklich verlaufende Liebesgeschichten zu haben scheint.
Im zweiten und letzten Leseabschnitt habe ich Längen empfunden, weil viel philosophiert wurde, ohne die eigentliche Handlung voranzutreiben.

Ansonsten hat mir der Roman sehr gut gefallen. Barnes kann erzählen und hat wunderbare Sätze im Repertoire.
Würde ich rezensieren bekäme das Buch 4/5 ☆☆☆☆ von mir ;)

Nun freue ich mich auf eure Beiträge zwecks Diskussion :)
 
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Reaktionen: Leseglück

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
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50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Ich stimme dir zu, bis auf die empfundenen Längen, vielleicht ganz zum Ende hin. Aber mir hat gut gefallen, dass viele Gedanken aus dem ersten Teil aufgegriffen und neu bewertet wurden. Aus der Sicht des erwachsenen Paul...
Besonders interessant fand ich die Perspektivwechsel und ihre Wirkung beim Lesen. Sein Versuch, sich zunehmend von Susan und seiner Liebe zu ihr zu distanzieren - und doch kann er das Unglück nicht abwenden. Jede Liebe, in die man sich voll und ganz stürzt, führt zur Katastrophe, so drückt er es aus. Kann man dem zustimmen? Es führt zum Verlust des Selbst, oder?
Ein intelligenter Roman, der mich wirklich begeistert hat. Und der mich davon überzeugt hat, weitere von Barnes lesen zu wollen.
Von mir bekäme er 5 Sterne ;), müsste ich ihn rezensieren.
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.241
18.649
49
48
Kann mich dem Gesamturteil von euch, liebe @Literaturhexle und liebe @Querleserin vollumfänglich anschließen.
Julian Barnes hat mit "Die einzige Geschichte" einen großartigen Blick auf eine unkonventionelle, tragisch gescheiterte Liebe geworfen, der zwar auf den ersten Blick leicht lesbar, dennoch so tiefgreifend ist, dass man als Leser "gezwungen" ist, "Wach" zu sein, damit einem nichts entgeht - auch wenn es selbst dafür keine Garantie gibt.
Volle 5* von mir - warum: das erfahrt ihr in meiner Rezension :D.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Auch ich kann hier nur sagen volle 5 ***** von mir für dieses sprachlich so herausragende Buch. Die Geschichte an sich finde ich nicht so spektakulär, eine Liebesgeschichte halt, die nicht gut ausgeht, an einer Erkrankung scheitert, deren Ursachen auch für meinen Geschmack etwas Zuviel im Dunkeln liegen. Aber die sprachliche Gestaltung, diese Sätze, die mich immer wieder umhauen und der philosophische Grundton heben es für mich hoch auf die 5 ***** Stufe. Und ebenso diese etwas gnadenlose Ehrlichkeit dem Menschen gegenüber, auch die sollte meiner Meinung nach hier nochmal erwähnt werden..
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Jede Liebe, in die man sich voll und ganz stürzt, führt zur Katastrophe, so drückt er es aus. Kann man dem zustimmen? Es führt zum Verlust des Selbst, oder?
In meinen Augen führt nicht unbedingt jede Liebe in die man sich voll und ganz stürzt zur Katastrophe. Vielleicht kommt es eher zur Katastrophe, wenn man aufhört sich selbst zu schützen. Und irgendwann verliert man sich dann auch, klar.
 

Leseglück

Aktives Mitglied
7. Juni 2017
543
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67
Ich habe wohl eine zu lange Pause eingelegt (andere Leserunde) so dass ich nicht mitdiskutieren konnte. Gerade habe ich das Buch zu Ende gelesen und eure Diskussionen verfolgt. Ich kann mich nur jeder begeisterten Stimme anschließen. Dies ist nun mein fünftes Buch das ich von Julian Barnes gelesen habe und ich war jedes Mal beeindruckt und begeistert. Was mir an Julian Barnes Stil gefällt hat @Helmut Pöll auf den Punkt gebracht: die unbarmherzigen Sätze, die sich jedem Versuch der Verschleierung entziehen.
Julian Barnes geht so tief in Trauer und Verzweiflung hinein und verzichtet dann (wie es oft vorkommt) auf einfachen oder billigen Trost. Er lässt den Schmerz und die Unvollkommenheit zu und heißt sie als Teil des Lebens willkommen.

Ihr habt viele Sätze zitiert. Ich hatte auch das Bedürfnis, einige Sätze für mich rauszuschreiben (ich besitze das Buch nicht). Julian Barnes Sätze sind etwas besonders. Von mir gäbe es auch glatte 5 Sterne wenn ich eine Rezi schreiben müsste.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.555
16.314
49
Rhönrand bei Fulda
Auf Wunsch vom Hexle hier mein Privatfazit, ich habe das Buch gerade außerhalb der Runde gelesen:

Der Erzähler erwähnt mehrmals, dass er in einem privaten Notizbuch Sentenzen über die Liebe sammelt: was die Liebe ist, was sie nicht ist. Diese streicht er meistens nach einiger Zeit wieder durch. Die Parallele zum Titelbild ist offenkundig, aber ich sehe darin auch etwas anderes. Man kann ja erkennen, dass sie handschriftliche Überschreibung fleckig und verkleckst ist. Ich glaube, es ist damit auch ein Überschreiben der Erfahrung selbst gemeint. Es wird mehrmals erwähnt, wie unterschiedlich Paul seine Erfahrungen bewertet, je nach zeitlichem Abstand. Was er erzählt, ist (im ersten Abschnitt) lange vergangen. In diesem ersten Abschnitt erscheint er forsch, ein rechter Hallodri. Einem alten Herrn, der ihn wegen einer Unachtsamkeit im Straßenverkehr anpampst, antwortet er: "Sie werden vor mir sterben", und seine Geliebte sucht er auf gewagte Weise auf, indem er über das Garagendach in ein offenes Fenster springt, obwohl sie die Hintertür für ihn offen gelassen hat! Ich hatte mehrmals den Eindruck, dass das letztlich anekdotisches Erzählen ist. Er erzählt das, was er noch weiß, und es ist unglaublich viel ausgespart. Man erfährt nur wenig darüber, was ihn eigentlich an Susan fasziniert, überhaupt erfährt man über sie nur wenig: was sie zusammen tun, worüber sie sprechen ... Das, was diese erste Phase ausmacht, ist (nach meinem Gefühl, ich kann nur über meine eigenen Eindrücke sprechen) der Rausch der Eroberung, und zwar konventionell erzählt, wie ein Liebesroman halt.

Im zweiten Teil beginnt die Beziehung zu bröckeln und hier wird der Kern der Geschichte quasi überschrieben, die Geschichte ist hier weniger emblematisch und sinnbildhaft (wie halt ein typischer Liebesroman), sondern wird individuell, einschließlich des Leidens. Deshalb wird der Titel jetzt handschriftlich "korrigiert", einschließlich der Kleckse und Unsauberkeiten, die wir auf dem Umschlag sehen. Hier wird auch nach und nach deutlich, wie der Erzähler versagt Ich will nicht ins einzelne gehen, das habt ihr ja in der Runde gemacht. Ich fand diesen Abschnitt sehr traurig. Paul macht keine gute Figur darin. Er weiß das selbst, da er vom "Ich" zum anklagenden "Du" wechselt.

Im letzten Abschnitt, der mit der "Er"-Perspektive und merklicher Distanz geschildert ist, bekommen wir ein abgeklärtes Resümee. Eine andere Leserin als ich würde vielleicht sagen, dass Paul in gewisser Weise durch seine Jugendliebe vernichtet wurde: er hat nie wieder eine längere und innige Beziehung, und beruflich bleibt er offensichtlich auch unter seinen Möglichkeiten. Ich sehe das Resümee mehr mit den Augen des Alters (ich bin ja selbst nicht so viel jünger als Paul) und sehe ihn als zufriedenen Menschen, in dem Sinn, dass er sich im Leben hat entfalten können - wenn auch wohl nicht in dem Sinn, wie man es in einem Liebesroman erwarten würde.

Mir hat Susan entsetzlich leid getan, aber die Wurzeln ihres Suchtproblems sind Paul nicht zugänglich - verglichen mit ihr ist er ja ein Bubi. Vermutlich fühlt er sich trotzdem schuldig. Mir ist jetzt übrigens gerade die trunksüchtige Tochter in "Stoner" eingefallen - ich glaube, sie hieß Grace? - das ist auch so eine Figur, wo man sich denkt, am Schwächsten der Familie bleiben die Probleme halt hängen und er oder sie zeigt die Symptome, die eigentlich alle haben müssten, in geballter Form.