Ich kann nicht behaupten, dass mich jedes Kapitel abgeholt hat. In Summe waren es diejenigen Kapitel, die das Alter(n) betreffen, die mir sehr viel gegeben haben. Frau Schubert legt im Alter eine Haltung an den Tag, die ich mir für mich ebenfalls erhoffe: Gleichmut und Freude gegenüber dem, was noch kommt, ohne die bange Frage zu stellen, wieviel Zeit noch bleibt. Unduldsamkeit gegenüber Menschen und Dingen, die einem nicht guttun. Niederlagen, Verluste und Tiefschläge als Teil seines Lebens zu akzeptieren, und die dazu beigetragen haben, dass man zu dem Menschen geworden ist, der man ist.
Aber ich glaube, dass man selbst etwas älter sein muss, um mit diesen Geschichten über das Alter(n) etwas anfangen zu können.
Die Eindrücke, die ich aus diesen Geschichten mitgenommen habe, überdecken die Ratlosigkeit oder Gleichgültigkeit, die andere Geschichten dieses Buches bei mir hervorgerufen haben.
Ich hatte nicht den Anspruch, die Autorin durch dieses Buch kennenzulernen, schließlich habe ich keine Autobiografie gelesen. Daher interessieren mich die Fakten um Helga Schubert nicht so sehr, so dass ich hier auch nichts vermisse - wie Informationen über ihre Kinder etc.
Schriftstellerisch betrachtet beherrscht Frau Schubert die Schreibkunst ganz hervorragend. Diejenigen Geschichten, die mir gefallen haben, strahlen eine große Ruhe und Poesie aus. Sie ist unglaublich wortgewandt und tiefgründig. Aber diese Tiefgründigkeit findet sich erst, wenn man Frau Schuberts Geschichten die volle Aufmerksamkeit schenkt, sich also weder äußerlich noch innerlich von irgendetwas ablenken lässt. Bei Frau Schubert scheint jedes Wort wohl überlegt zu sein. Sie schreibt nicht, um dem Leser zu gefallen, sondern um mit sich selbst im Einklang zu sein. Auch ein Vorzug des Alter(n)s: Das zu machen, was man will und nicht das, was andere von einem erwarten.
Viele werden dieses Buch vermutlich anders wahrgenommen haben als ich. Aber das macht gute Literatur aus: wenn bei jedem Leser eine eigene Wirkung erzielt wird, wird das Gelesene für den Leser sehr persönlich. Und das kriegen nur die wenigsten Autoren hin.