FAZIT zu "Verräterkind"

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.896
14.921
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ich hoffe, ihr steinigt mich jetzt nicht, aber bei mir hat es nicht zu fünf Sternen gereicht. Für mich hat die Parallelität der Handlungsstränge immer weniger funktioniert. Die großartige Schilderung des Barbie-Prozesses und der im Prinzip so völlig unbedeutende Vater - das hat am Ende nicht mehr wirklich gepasst. Für mich hat fast zweiteres dem ersteren Bedeutung "gestohlen".
Trotzdem ist und bleibt Chalandon ein großartiger Autor. Nächstens muss ich unbedingt "Rückkehr nach Killybegs" lesen.

Hier meine Rezension:
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.034
49
Über die erste Hälfte war ich auch sehr begeistert. Insbesondere die gekonnte Verzahnung der zwei "Prozesse" hat mir gut gefallen. Der Erzähler hat einen beruflichen Prozess und einen privaten.

Wo mich der Roman verloren hat, ist in der akribischen Auflistung der Stationen des Vaters während des Krieges. Das mag für ein Familienmitglied relevant und wichtig sein, für mich hätte es kürzer ausfallen dürfen.

Dass der Sohn unter dem mangelnden Vertrauen des Vaters gelitten hat: keine Frage. Aber dass er ihn immer wieder mit seinem Wissen konfrontieren und ein Einlenken erzwingen will - erscheint mir sinnlos und in der Wiederholung lästig. Insofern hat mir das offene Ende wieder gefallen. Ein Geständnis des Vaters hätte nicht zur Figur gepasst.

Die Barbie- Teile waren bewegend und fesselnd. Die Totenglocke fast schaurig.

Ich tendiere zu 4 Sternen.
 

pengulina

Bekanntes Mitglied
22. November 2022
1.335
4.441
49
68
Ich kann mir nicht helfen - ich kann das aus der Sicht Chalandons verstehen. Er thematisiert dieses Vater-Sohn-Problem wohl in einigen früheren Romanen, die ich allerdings noch nicht gelesen habe. Das hat sein ganzes Leben, sein ganzes Denken beeinflusst. Und als er dann die Vernehmungsprotokolle und die Gerichtsakte seines Vaters einsehen konnte, hat er daraus eben das "Verräterkind" gemacht. Für mich klar fünf Sterne.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.545
24.645
49
66
So, meine letzte Rezension ist endlich auch geschafft, das neue Jahr kann kommen.
Obwohl mich die Konstruktion, also die Verdichtung, nicht völlig überzeugt hat, ist „ Verräterkind“ für mich ein wichtiges, äußerst lesenswertes Buch. Chalandon kann schreiben, seine Sprache ist großartig.
Die Hintergründe zum Barbieprozess, die Schilderungen der Überlebenden und v.a. das Schicksal der Kinder von Izieu hat mich ganz stark berührt. Obwohl ich schon so viele Bücher zum Thema Nationalsozialismus gelesen habe, erschüttert mich das Ganze jedes Mal so sehr.
Ich kann zwar verstehen, dass Chalandon sich an seinem Vater abarbeiten muss, dass ihn seine Lügengeschichten und sein Verhalten zutiefst enttäuscht haben, doch die Parallelität der beiden Prozesse, des privaten und des öffentlichen, hat für mich ein Ungleichgewicht. Auch die Besessenheit, mit der der Autor immer wieder versucht, von seinem Vater verlässliche Aussagen zu bekommen, konnte ich irgendwann nicht mehr verstehen. Für mich war bald ersichtlich, dass dieser selbst nicht mehr unterscheiden kann, was Wahrheit und Erfindung war. Und sein Verhalten während des Prozesses war für mich unerträglich.
Trotz dieser Kritikpunkte empfehle ich das Buch sehr gerne weiter.

 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
848
3.402
44
Ich bin von dem Roman leider nicht restlos begeistert. Den Anfang fand ich großartig, begeisternd und unheimlich stark und auch die Anlage des Romans mit seinem Vater-Sohn-Geflecht und dem Gerichtsprozess hat mir zunächst sehr gut gefallen. Bei der detaillierten Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Vater-Historie hat der Roman mich irgendwann begonnen zu langweilen. Jeder noch so kleine Aspekt wurde gefühlt mehrfach besprochen und am Ende war es doch ein bisschen sehr viel um nicht allzu viel. Der Prozess hingegen hat mich beeindruckt, da packt der Autor einen auf einer sehr tiefen emotionalen Ebene und schafft Momente, die sich einbrennen.
Letztlich geht es dem Roman wohl auch um die Diskussion von Fakt und Fiktion, um Erinnern und Vergessen und in der Hinsicht finde ich ihn gelungen.