FAZIT zu "Töchter Haitis"

Literaturhexle

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2. April 2017
19.442
49.882
49
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Welchen Nutzen haben Nachwort und editorische Notiz für euch?
Bitte schreibt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

otegami

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17. Dezember 2021
1.881
6.523
49
71
Im Vordergrund bei diesem Roman standen für mich die interessanten Informationen über Haiti! Ob es die politische Entwicklung, die Fauna oder die Ernährung war, das war alles neu für mich und ich saugte es auf wie ein Schwamm! (Sehr hilfreich empfand ich da im Anhang die ausführlichen Anmerkungen des Verlags!)

Bei der Schilderung der Protagonistin wurde ein Bild einer jungen Frau entworfen, das wahrscheinlich zu jener Zeit - die Vierziger Jahre - häufiger anzutreffen war, für unsere heutigen Einstellungen sehr anstrengend! Aber auch die Männer kommen in diesem Roman nicht gut weg bei mir: viel zu machohaft!

Meine Highlights bei den Personen waren Maria, das erste Hausmädchen, Charles, der Schuster, der viel Lebensweisheiten und Bibelsprüche parat hatte und der Arzt Dr. Garin, der Lotus‘ Mutter geliebt hatte und auch Lotus unterstützte.

Fünf Sterne werden es bei mir definitiv nicht! Mal schauen, was rauskommt, wenn ich das Buch habe sacken lassen und mindestens eine Nacht drüber geschlafen habe!
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.620
16.626
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Rhönrand bei Fulda
Ich finde es immens schwierig, dieses Buch zu rezensieren. Ganz klar bietet es mit den sorgfältigen Anmerkungen viel Info über Haiti. Aber das Personal und die ganze Erzählweise erscheinen seltsam vorgestrig. Die Frau, die sich unter der leitenden Hand eines Mannes vom passiven, genusssüchtigen Dummchen zur Kämpferin für die Entrechteten wandelt ... hm.

Natürlich müssen wir die Zeit und das Umfeld berücksichtigen. Lotus ist keine emanzipierte Frau, wie es sie in Europa und den USA zu dieser Zeit in großer Zahl gab. Ihre Wandlung, die sich auch in der Erzählweise niederschlägt, ist nichtsdestotrotz interessant und wird in glaubwürdiger und differenzierter Weise geschildert. Dazu das Lokalkolorit, es ist auf alle Fälle ein lesenswertes Buch, aber ein Fünfer wird es wohl auch von mir nicht.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
2.264
10.641
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Thüringen
Nach einem Roman, der von stilistischer Seite des Theatralischen plus der emotional instabilen, naiven Protagonistin nicht so richtig Meins war, fand ich das Nachwort unglaublich wichtig zum Verständnis der Relevanz des Romans im historischen Kontext. Ich bin begeistert davon und was ich noch über den Romantext an sich und die Anmerkungen hinaus gelernt habe! Auch die editorische Notiz fand ich richtig und wichtig an dieser Stelle für das Sprachverständnis des Originals und der Umsetzung.
Eine Übersetzung von einem Text der nicht dem reinen Frankreich-Französisch entsprach, sondern auch noch (in verschiedenen Schreibvarianten!) eingestreutes Kreolisch eingemischt hatte, muss meines Erachtens gesondert gewürdigt werden. Das war sicherlich keine einfache Fingerübung für Nathalie Lemmens.

Insgesamt habe ich den Roman zwar nicht ungern gelesen, habe mich aber dennoch mitunter sehr an der Theatralik der Formulierungen und vor allem der Hauptprotagonistin in ihrer ganzen Art gerieben. Das ist sicherlich Geschmackssache. Für mich war die Lektüre allerdings ungemein lehrreich und damit mehr als lohnenswert bezüglich des Wissenszuwachses. Da hat der Verlag mit seiner Aufarbeitung durch Anmerkungen, Nachwort und editorische Notiz wirklich eine klasse Arbeit geleistet und mich wieder nach der meines Erachtens ernüchternden Bearbeitung von Clarice Lispectors "Ich und Jimmy" wieder für sich gewonnen.

Das Buch wird von mir mit Blick auf die gesamte Ausgabe vom Manesse-Verlag 4 Sterne erhalten. Der Romantext allein, ohne jede Erläuterung, hätte mich nicht überzeugt und wahrscheinlich nur eine 2,5 bis 3 erhalten. Aber das Rundherum ist so gut, dass sich der Schnitt definitiv stark nach oben bewegt. Ich muss auch erst einmal alles sacken lassen.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.620
16.626
49
Rhönrand bei Fulda
Das geht mir ganz genauso. Ich sehe vieles an dem Buch recht kritisch, vor allem die literarischen Topoi, die für mich eher ins neunzehnte Jahrhundert gehören - die "ehrbare" Prostituierte; die junge Frau, die sich aus Liebe der Revolution verschreibt, sogar der gebildete arme Schuster scheint einer viel früheren Literaturepoche anzugehören. Die europäische Literatur dieser Zeit ist weit moderner, und ich fragte mich immer wieder, inwieweit die Autorin hier repräsentativ ist. Ein Roman aus Haiti ist etwas für mich völlig Neues, was ich nicht recht einordnen kann. Aber die Leseerfahrung hat sich auf jeden Fall gelohnt, man hat durch das Nachwort und die Anmerkungen viel über das Land erfahren, und was man dem Buch auf alle Fälle zugute halten kann - es hat Atmosphäre, ich konnte mich sehr gut in Lotus' Heim und Garten einfühlen.
 

petraellen

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11. Oktober 2020
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44
Ich habe lange überlegt, wie schreibe ich die Rezension.
Mir hat der Roman gefallen. Aber er ist nicht leicht zu lesen.
Ich empfehle für ein besseres Verständnis des Romans „Haitis Töchter“ zunächst das Nachwort auf (S. 266 f. ) und die Editorische Notiz auf (S. 281 f.) zu lesen.
Meine Rezension ist nun auch fertig. Ich musste lange überlegen, was soll ich schreiben.
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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4.525
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Wienerin auf Rügen
www.circlestonesbooks.blog
Die überschwändliche Sprache, besonders wenn es um das Gefühlsleben und die Gedanken von Lotus geht, war mir teilweise too much. Lotus als Figur nervte teilweise ziemlich, oft habe ich den Kopf geschüttelt, unbedarft, überheblich, ich habe mal nachgerechnet, in den Gesprächen mit Doktor Garin,, ihre Mutter ist vor zwölf Jahren gestorben, beim Tod ihrer Mutter war Lotus 14 Jahre alt, also ist sie zum Zeitpunkt der aktuellen Ereignisse sechsundzwanzig, also erwachsen. Aber die Autorin wollte sicher bewusst diese Haltung der helleren Oberschicht (vor dem Umsturz ins andere Extrem) aufzeigen, die wohl aus der Erziehung entstanden ist. Für mich war Haiti eine unbekannte Welt, so gesehen war dieser gesellschaftskritische und sozialkritische Roman mit realem geschichtlichen Hintergrund, dieser Umsturz, der, wie es meistens mit Umatürzen passiert, von einem Extrem in das andere Extrem führt und nicht zu einem gesellwchaftlichen Neubeginn und Frieden (erst im Epilog), sehr packend und interessant. Die Hauptfigur blieb für mich auf neugierig-interessierter Distanz, zu sehr hat sie mich genervt. Irgendwie eine Mischung aus Coming-of-Age, Gesellschafts- und Abenteuerroman. Meine Rezension folgt vermutlich morgen, ich muss erst noch nachdenken, spontan ein 4 Sterne-Buch - wobei ich generell diese Sterne-Vergabe zwar notwendig finde, aber nicht besonders schätze, Rezensionen sagen doch ohnedies aus, worum es geht und was man selbst dabei gedacht hat.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.620
16.626
49
Rhönrand bei Fulda
Ich habe die Rezi eben beendet, nachdem ich das Nachwort noch einmal gelesen habe. Der Titel "Töchter Haitis" bestätigt mich in der Meinung, dass es in dem Roman auch ganz allgemein um die Rolle der Frauen in den Bemühungen um Veränderung geht. Das Nachwort gibt dazu ja auch einige Denkanstöße, wie die junge Frau hier von den Aktivisten beider Seiten vereinnahmt bzw. "erobert" wird. Es ist eine Tragödie, und vielleicht gehört der Wankelmut, den wir viel bemängelt haben, zu dieser Entwicklung.

Auf jeden Fall fand ich den Roman sehr lesenswert und empfehle ihn gern.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ja, ich habe mich auch ein wenig an Lotus´ anfänglicher Selbstverliebtheit und Naivität gerieben. Man muss sich immer wieder klar machen, dass die Geschichte in den 1940er Jahren angesiedelt ist und darf nicht das heutige Frauenbild zugrunde legen.

Ansonsten gefällt mir der Roman. Die retrospektive Erzählhaltung wird durchgängig beibehalten. Am Ende erleben wir eine Lotus, die ihre Mitte und ihren Lebenszweck gefunden hat. Es war ein langer, schmerzhafter und verlustreicher Weg dorthin. Die Liebe ihres Lebens hat sie verloren - ein ungemein realistischer Twist.

Man durfte sehr viel über Haiti und seine gesellschaftlich-politischen Verhältnisse erfahren. Durch die vielen verschiedenen Szenarien kam keine Langeweile auf.

Ich bin Manesse mal wieder dankbar für die sorgfältige Übersetzung, die umfangreichen Hinweise und das erhellende Nachwort. Toll, dass dieser Roman dem Vergessen entrissen wurde! Ich freue mich schon auf weitere Romane dieser Autorin.

Meine Rezension ist schon fertig:
 

petraellen

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11. Oktober 2020
428
1.242
44
Ja, ich habe mich auch ein wenig an Lotus´ anfänglicher Selbstverliebtheit und Naivität gerieben. Man muss sich immer wieder klar machen, dass die Geschichte in den 1940er Jahren angesiedelt ist und darf nicht das heutige Frauenbild zugrunde legen.

Ansonsten gefällt mir der Roman. Die retrospektive Erzählhaltung wird durchgängig beibehalten. Am Ende erleben wir eine Lotus, die ihre Mitte und ihren Lebenszweck gefunden hat. Es war ein langer, schmerzhafter und verlustreicher Weg dorthin. Die Liebe ihres Lebens hat sie verloren - ein ungemein realistischer Twist.

Man durfte sehr viel über Haiti und seine gesellschaftlich-politischen Verhältnisse erfahren. Durch die vielen verschiedenen Szenarien kam keine Langeweile auf.

Ich bin Manesse mal wieder dankkbar für die sorgfältige Übersetzung, die umfangreichen Hinweise und das erhellende Nachwort. Toll, dass dieser Roman dem Vergessen entrissen wurde! Ich freue mich schon auf weitere Romane dieser Autorin.

Meine Rezension ist schon fertig:
Ja, ganz genauso ist es. :)
 
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Reaktionen: Literaturhexle

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.620
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Rhönrand bei Fulda
Ich möchte unbedingt mehr Literatur aus bzw. über Haiti lesen. In unserer Onleihe gibt es ein Buch von der im Nachwort erwähnten Yanick Lahens namens "Morgenröte", das so beschrieben wird:

Als Angélique eines frühen Morgens ruhelos aufwacht, hat sich ihre Welt mit einem Schlag verändert: Das Bett ihres Bruders ist leer. Wo hat Fignolé die vergangene Nacht verbracht? Keine harmlose Frage in einem Land wie Haiti, das dem Teufel anheimgefallen ist, wie Angélique es ausdrückt. Seit Jahrhunderten ist es im Würgegriff diktatorischer Herrscher, von Gewalt geprägt, die sich auch in den letzten Winkeln der Gesellschaft eingenistet hat. (...)

Ich habe mir das auf die Merkliste gesetzt, im Moment geht es leider nicht, weil ich mit der nächsten Leserunde schon nachhänge, aber ich möchte das gerne lesen. Auch ein anderes Buch von Yanick Lahens, "Sanfte Debakel", ist mir empfohlen worden. Dank an den Manesse Verlag, dass er den Blick auf diese bei uns so wenig bekannte Weltgegend lenkt. Ich wusste von Haiti bisher nur, dass es mehr oder weniger als "failed state" gilt ...
 

petraellen

Aktives Mitglied
11. Oktober 2020
428
1.242
44
Mich lässt die Geschichte nicht los; zu tief sind die hinterlassenen Eindrücke und Einblicke in Haitis Geschichte etc.. Darum habe ich meinen spontanen 4 Sternen in der Rezension einen 5. hinzugefügt. Großartiges Buch! :cool:
sehr schön, ich finde auch, dass das Buch es verdient hat. Ich werde jedenfalls unserem Lesekreis das Buch vorschlagen und vielleicht auch ein anderes.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Obwohl mir der Charakter von Lotus zu denken gegeben hat, würde ich sie nicht vollkommen negativ bewerten. Ebenso wenig wie dieses ganze Buch. Es hat mir durchaus gefallen. Und wenn ich das Nachwort bedenke, so haben viele von meinen Gedanken einen Hintergrund.

4 Sterne ist mir dieses Buch durchaus wert.
 

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
3.050
7.678
49
Wien
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