FAZIT zu "Stories" von Joy Williams

Literaturhexle

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2. April 2017
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Wie haben euch die Stories gefallen? Bitte gebt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Joy Williams hat mir mit diesen Stories Ausschnitte aus dem amerikanischen Leben präsentiert, die irgendwie alle recht unvermittelt irgendwann einsetzen und fast genauso unvermittelt dann irgendwann die beobachteten Personen wieder verlassen, nachdem wir viele, oft nicht ganz zusammengehörige Details über sie erfahren haben.
Irgendwie ging mir bei der Lektüre immer das Bild eines Kuchenteigs durch den Kopf. Dieser liegt ausgebreitet vor mir als Abbild der USA und mit einem Plätzchenausstecher werden aus diesem ausgerollten Teig Stücke aus diesem Ganzen herausgestochen und mir als Stories präsentiert, die mir dann eben ein wirklichkeitsgetreues, aber vielfach vielleicht nicht repräsentatives Stückchen Leben aus dem Ganzen der USA näher bringen.
Was mache ich jetzt mit diesem "Plätzchenteller"? Ich weiß es noch nicht. Mir haben einige der Stories und insgesamt der Rhythmus des Erzählens hier sehr gut gefallen, aber was fange ich damit an und was kann ich für mich davon mitnehmen? Die Freude an der Lektüre auf jeden Fall und das ist ja auch nicht wenig. Muss ich vielleicht gar nicht weiter auf die Suche gehen? Lasst mich darüber noch ein wenig nachdenken!
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Die Freude an der Lektüre auf jeden Fall und das ist ja auch nicht wenig.
Das ist mehr als ich darin gefunden habe. Die Lektüre löst bei mir sehr gemischte Gefühle aus. Mal freue ich mich über inhaltsschwere Sätze und wenn ich glaube, etwas verstanden zu haben.
Aber meist machen mich die Geschichten depressiv ( wegen ihres Inhalts) und aggressiv ( weil ich ihren Sinn nicht verstehe und dann denke, was für schöne Bücher ich in der Zeit lesen könnte).
 

Federfee

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13. Januar 2023
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Joy Williams hat mir mit diesen Stories Ausschnitte aus dem amerikanischen Leben präsentiert, die irgendwie alle recht unvermittelt irgendwann einsetzen und fast genauso unvermittelt dann irgendwann die beobachteten Personen wieder verlassen, nachdem wir viele, oft nicht ganz zusammengehörige Details über sie erfahren haben.
Unvermittelter Beginn und abruptes Ende ist ein typisches Merkmal für das Genre 'Kurzgeschichte'.
Irgendwie ging mir bei der Lektüre immer das Bild eines Kuchenteigs durch den Kopf. Dieser liegt ausgebreitet vor mir als Abbild der USA und mit einem Plätzchenausstecher werden aus diesem ausgerollten Teig Stücke aus diesem Ganzen herausgestochen und mir als Stories präsentiert, die mir dann eben ein wirklichkeitsgetreues, aber vielfach vielleicht nicht repräsentatives Stückchen Leben aus dem Ganzen der USA näher bringen.
Wollen wir mal hoffen, dass das nicht repräsentativ ist, denn das wäre ein zutiefst hoffnungsloses Bild der menschlichen Gesellschaft bzw. der amerikanischen. Das ist vielleicht auch das, was mir nicht gefällt, dieser abgrundtiefe Pessismismus. Fast kommt es mir vor, als sei ein Hauch Verachtung mit dabei.
Mir haben einige der Stories und insgesamt der Rhythmus des Erzählens hier sehr gut gefallen, aber was fange ich damit an und was kann ich für mich davon mitnehmen? Die Freude an der Lektüre auf jeden Fall und das ist ja auch nicht wenig.
Da beneide ich dich ein wenig, denn ich hatte keinerlei Lesefreude - bis auf die erste Geschichte, die ich gelungen finde. Aber ein bisschen gelernt habe ich dadurch schon, Kurzgeschichten betreffend. Inhaltlich, 'für's Leben', kann ich nichts mitnehmen.
 

Federfee

Bekanntes Mitglied
13. Januar 2023
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So..., es hat keinen Zweck, das Fazit aufzuschieben, also:

Ich kann guten Gewissens sagen: ich habe mir viel Mühe mit diesen Geschichten gegeben: manche zweimal gelesen, mich noch einmal über die besonderen Merkmale der Kurzgeschichte informiert, mir Gedanken über die Abgrenzung zu Erzählungen gemacht – aber es ist und bleibt so, dass ich die Lobeshymnen auf dem hinteren Cover und sonstwo nicht nachvollziehen kann. Selbst wenn ich mir die Mühe mache, eine Short Story mehr als einmal zu lesen, selbst wenn ich mir Gedanken über einzelne Sätze und mögliche Symbole mache, finde ich nicht wirklich einen Zugang, möglicherweise auch, weil ich den Weltzugang und das Weltverständnis von Joy Williams nicht nachvollziehen kann.

So ganz unrecht hat sie zwar nicht mit ihrer pessimistischen, kritischen Weltsicht, aber sie macht das auf eine für mich abstoßende Art und Weise. Ich mag melancholische, traurige, kritische Geschichten (der Gentleman, der Inselmann,...), aber Joy Williams Schreibe mag ich nicht, weder stilistisch noch inhaltlich.​
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich war insgesamt hin- und hergerissen beim Lesen der "Stories". Anfangs fand ich keinen echten Zugang und war sogar etwas genervt von ihnen. Doch mit zunehmender Dauer und den Kommentaren in der Leserunde fand ich Stück für Stück besser hinein.

Zentrales Thema aller Geschichten ist für mich die Einsamkeit der Hauptfigur, die mal mehr, mal weniger drastische Züge annimmt. Das kann man als roten Faden sehen, man kann es aber auch eintönig finden.

Fast in jeder Geschichte gibt es skurrile Dialoge oder Ereignisse. Manchmal brachten sie mich trotz des traurigen Grundtons des Buches zum Lachen. Manchmal waren sie für mich zu viel des Guten.

Meine Favoriten sind "Letzte Generation", "Die blauen Männer" und "Besuchsrecht". "Rost" und "Kongress" sind völlig an mir vorbeigegangen, "Der Geliebte" gefiel mir auch nicht.

Insgesamt komme ich wohl auf knappe vier Sterne.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Mir hat diese Geschichtensammlung sehr gut gefallen. Sie erinnern mich an andere klassisch amerikanische Kurzgeschichten. Wir tauchen kurz ein in das alltägliche Leben der Menschen, die alle aus der weißen Mittelschicht zu kommen scheinen. Das Besondere bei diesen Kurzgeschichten: Sie haben alle einen absurden, skurrilen Dreh drin. Was für die Figuren meist vollkommen "normal" zu sein scheint, ist von außen betrachtet mitunter höchst merkwürdig. Hinzu kommen die in jeder Geschichte auftauchenden Tierszenen. Mal ist es nur ein kurz erwähntes Detail (Kakerlaken im Kuchen, Vögel sind eigentlich Reptilien), mal ist es eine ganze Geschichte, die sich plötzlich um ausgestopfte Tiere dreht ("Kongress").

Im Großen und Ganzen gefallen mir dieser Art Geschichten, ich lese sie gern, mag es Kleinigkeiten zu entdecken und mich von den Absurditäten überraschen zu lassen. Wie fast immer bei Kurzgeschichtensammlungen, gefällt nicht jede Geschichte gleich gut. Hier hat mir aber der überwiegende Teil sehr gut gefallen, weshalb ich auf solide 4 Sterne komme.

Die Übersetzung von Brigitte Jakobeit und Melanie Walz finde ich gut getroffen. Ein kleiner Hinweis an den Verlag dazu: Auf Seite 303 ist der deutsche Titel der englischsprachigen Geschichte "Rot" mit "Schrott" notiert, im Inhaltsverzeichnis als auch auf Seite 89 heißt sie aber "Rost". "Rost" passt schon besser als "Schrott", wahrscheinlich war dies der Arbeitstitel. Logischerweise kommt egal welche Übersetzung nie an die Vieldeutigkeit des englischen Originals heran, welches natürlich nicht "Rost" heißt, sondern "verrotten".

Die Reihenfolge der Geschichten ist natürlich vom dtv Verlag so zusammengestellt, wie er es am besten empfand. Mir persönlich hätte auch eine chronologische Sortierung, gerade als Überblickssammlung, sehr gut gefallen. Damit hätte auch weiterhin die eingängigste Geschichte "Liebe" (ich finde den englischen Titel - wieder einmal - passender von der Bedeutung her "Taking Care" ;) ) an erster Stelle stehen können. Grundsätzlich ist es schon einmal sehr gut auf Seite 303 die "Nachweise" zu finden. Ich schaue sehr gern auf das Entstehungsjahr und es ist nicht die Regel, dass die Entstehungsjahre in einer Geschichtensammlung zu finden sind!

Verwundert bin ich über das Cover des Buches. Es deutet mehr Ruhe an, als die Geschichten haben. Hier hätte meines Erachtens gern auch ein etwas Skurrileres Cover gefunden werden können. Ich könnte mir vorstellen, dass das Cover in Verbindung mit der ersten Geschichte "Liebe" nicht unbedingt die richtige Leserschaft anlockt.

Ich habe nun auf jeden Fall den Namen Joy Williams auf dem Schirm und werde wohl wieder zu einer Veröffentlichung greifen, wenn es zukünftig eine (oder mehrere) geben wird. Eine schöne Entdeckung.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Nachdem ich mich ein wenig eingelesen hatte, finde ich die Stories spannend. Nicht jede ergibt so richtig Sinn, aber jede hat merkwürdiges Personal, das zumindest teilweise auch in RL verankert sein könnte. Meistens driften die Stories dann irgendwie ab und verflüchtigen sich, werden absurd und irreal. Ich kann sie nicht so tief ernst nehmen und glaube nicht, dass jedem Satz/Szene ein tieferer Sinn innewohnt, den man findet, wenn man lange genug sucht - die Stories erinnern mich an surrealistische Gemälde. Einen gesellschaftskritischen Aspekt haben sie fast alle. Aber ich empfinde sie mehr als spielerisches Ausloten, was noch so geht oder gerade noch so geht. Mal sehen, was das in Punkten ausgedrückt schließlich ergibt. Letztlich habe ich die Stories durchaus mit Gewinn gelesen und mit Spaß.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
@Federfee: man kann nicht alles lesen, payessay. Ich weiß kaum was über sie persönlich. Warum sie so negativ ist, z.B. Scheint ein gutes Leben gehabt zu haben, kein schlechtes.
 
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luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Das ist vielleicht auch das, was mir nicht gefällt, dieser abgrundtiefe Pessismismus. Fast kommt es mir vor, als sei ein Hauch Verachtung mit dabei.
Sensationell zusammengefasst. Es ist alles sehr negativ. "Verachtung" trifft es, "Resignation", "Widerwillen" nehme ich auch wahr - und seltsamerweise einen Hauch von "Überlegenheit" oder "Arroganz". So nach dem Motto: was sind die Menschen doch dumm, dass sie sich in der Welt so schlecht eingerichtet haben und jetzt zu dämlich sind, damit zurecht zu kommen. Überspitzt ausgedrückt.

Mir gefällt der enorme Interpretationsspielraum, den die Geschichten bieten, die Tatsache, dass Joy Williams auf bestimmte Bilder und Motive immer wieder zurückgreift, dass ihre Geschichten quasi "aus einem Guss" sind. Das hat man nicht oft - nach der Lektüre würde ich sagen, ich könnte einen Joy Williams-Text vermutlich auch ohne Autorennamen zuordnen. Ich mag auch den amerikanischen Vibe, den diese Texte bieten und die charakteristische Distanz zu den Figuren. Gleichzeitig ist es aber auch diese Distanz, die eine Empathie komplett verhindern. Selbst "Auswege" habe ich zwar interessiert, aber nicht involviert gelesen.

Der Band erinnert an ein Skurrilitätenkabinett: hier werden Menschen zur Betrachtung angeboten, wie viel man daraus macht, ist dem persönlichen Ermessen überlassen.

Ich habe es nicht ungern gelesen, wohlgefühlt habe ich mich mit dem Band aber nicht. Er ist fordernd, wenn man sich voll darauf einlässt auch gewinnbringend, aber in der Fülle sehr anstrengend, auch auf der Gefühlsebene. Keine Lektüre für zwischendurch und auch keine zum "am Stück lesen".
 

dracoma

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16. September 2022
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Mir haben nicht alle Geschichten gleich gut gefallen, aber insgesamt haben mir diese amerikanischen short stories ganz hervorragend gefallen.
Joy Williams hat einen fast grausam klaren Blick auf den Alltag um sie herum, ihre Charaktere sind deutlich, und sehr häufig geht es um Familienkonstellationen. Oft beginnen die Geschichten harmlos, bis plötzlich ein verstörender Satz fällt, der mir eine andere Wirklichkeit aufgezeigt hat. Joy Williams scheint es ein Anliegen zu sein, Verstörendes aufzuzeigen, manchmal ist das direkt makaber, und ich hätte gerne gelacht, aber das Lachen bleibt im Hals stecken. Zum Beispiel in der Geschichte "Der kleine Winter". Da sagt das Mädchen zur Freundin der Mutter: "Du trinkst zu viel!" und die Freundin antwortet: "Ich hab einen Hirntumor, ich kann tun, was ich will."
Das sind klare Sätze, in denen jedes Wort sitzt. Genau so klar sind die Bilder, die ich als ungemein einprägsam empfunden habe.
 

dracoma

Bekanntes Mitglied
16. September 2022
1.706
6.560
49
die charakteristische Distanz zu den Figuren. Gleichzeitig ist es aber auch diese Distanz, die eine Empathie komplett verhindern.
Das sehe ich auch so, und das ist sicherlich auch so gewollt; da fehlt mir jeder Identifikationswille!
Die Autorin beschaut sich ihre Figuren wie mit der Lupe, finde ich: sehr sachlich, und auch gnadenlos. Aber nicht mitleidlos, aber das kann ich nicht belegen, das ist bei mir nur ein diffuses Gefühl.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.527
24.553
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66
Was ich vergessen habe: das Cover.
Diese Fotografie von Willian Eggleston passt , finde ich, sehr gut zu den Geschichten: sie zeigt wie die Geschichten etwas Alltägliches, und sie ist zugleich sehr desillusionierend.

https://co-berlin.org/de/programm/ausstellungen/william-eggleston
Danke für den Link. Die Photos von William Eggleston sprechen mich auf Anhieb stärker an als die hier versammelten Stories, wobei sie zum Ton von Joy Williams passen.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.527
24.553
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66
Ich habe mich schwer getan, sowohl mit der Lektüre als auch mit der Rezension.
Ich habe manche Geschichten erneut gelesen bzw. quergelesen, habe die Diskussion hier verfolgt, Rezensionen gelesen, mir den Podcast angehört.

Vieles habe ich schon während unserer LR besser verstanden.
Doch ich habe nach wie vor meine Schwierigkeiten mit den Texten und werde wahrscheinlich nichts mehr von der Autorin lesen.
Hier meine Rezension:
 
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