FAZIT zu "Schilf im Wind"

Literaturhexle

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2. April 2017
19.480
50.063
49
Wie hat euch das Buch als Ganzes gefallen?
Waren Anmerkungen, Nachwort und editorische Notiz hilfreich?

Bitte zieht hier ein spontanes Fazit zum Buch.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Was mir gefallen hat:
Das kleine feine Büchlein an sich. Da bin ich ganz bei @Barbara62
Die erste Hälfte des Romans hat mich gepackt. Ein klassisches Setting mit klassischen Figuren: Der treue Diener, die hochnäsigen Adligen, Gut und Böse klar erkennbar und definiert. Spannung durch einen Neuankömmling, den Neffen der Damen Pintor. Zunächst weiß man nicht, was man von ihm halten soll. Gut.
Gefallen haben mir auch die detaillierten, naturalistischen Landschaftsbeschreibungen, die die Kargheit der Insel verdeutlichen und wie sehr die bäuerlich geprägten Dörfer von Wind und Wetter abhängig sind.

Was mir nicht (so gut) gefallen hat:
In der zweiten Hälfte ist die Handlung zerfasert. Zunächst steuert alles auf ein Happy End zu, weil Don Predu (der bis jetzt NICHTS von den Pintors hielt und sich deren Hof so schnell als möglich unter den Nagel reißen wollte!) der launischen Noemi einen Heiratsantrag macht.
Aber nein: Obwohl verarmt und arbeitsscheu, lehnt sie ihn ab.
Schwierigkeiten habe ich bekanntermaßen mit magischem Realismus- er war aber noch auszuhalten und hatte eher etwas Märchenhaftes.

Nun geht Efix, die zentrale Figur auf Wanderschaft, wird zum Bettler, lernt auch dort Egoismus und Habgier kennen, lädt sich immer wieder eine neue Buße auf...
Schließlich kommt er doch heim. Noemi hat den Heiratsantrag nun doch erhört. Desgleichen ist Giacinto doch ins Dorf zurückgekommen, um die sich verzehrende Grixenda zu ehelichen (warum?, was hat ihn zum Sinneswandel veranlasst? Warum will G. diesen Hochstapler überhaupt?)

Efix wird krank, leidet, beichtet und stirbt. Die Sterbeszene ist grandios.

Was will uns die Autorin nun damit sagen?
Sardinien tickt anders als das Festland.
Die Themen Schuld, Sühne, Gottesfurcht/Aberglaube sind sehr präsent.
Motiv der Reise/des Suchenden soll ihr Werk durchziehen, ebenso das Thema Heirat in Schande.

Mit den nicht erklärten Stimmungswechseln habe ich Schwierigkeiten. Das Thema ist simpel und hat etwas von alten klassischen Opern oder Tragödien. Dazu passen auch manche Dialoge.

Ich verbuche das Buch gleichfalls unter "Bildung". Es war keine verschenkte Zeit, aber auch kein Genuss. Irgendwo dazwischen.
Nachwort und Editorische Notizen haben mir soviel nicht gebracht. So sehr bin ich an der Schriftstellerin einfach nicht interessiert und über dieses Werk im engen Sinn stand nicht soviel drin. Die 100 Fußnoten/Anmerkungen haben mich weder gestört noch bereichert.
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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Der Mittelteil, in dem Efix mit den Blinden auf Pilgerschaft geht, hatte für mich Längen, aber mit seiner Rückkehr konnte die Geschichte mich nochmals fesseln. Sehr interessant fand ich die vielen Beschreibungen über das Leben und die Bräuche, die gesellschaftliche Situation und das Frauenbild. Sardinien ist ja doch sehr speziell, immer schon gewesen. Auch die poetischen Schilderungen der Natur und Landschaft machten für mich den Reiz dieses Romans aus. Man darf beim Lesen einfach nicht vergessen, wann er geschrieben wurde, dann ist auch der Kernkonflikt Schuld, Sühne, selbst auferlegte Strafe stimmig. Diese einzigartige Kombination der Denkweise der Menschen zwischen christlicher Religion, Glaube, Wallfahrten, Marienfesten und den traditionallen Mythen von Kobolden und Geistern, verbunden mit Aberglaube ist sehr gut beschrieben. Auch die verschiedenen Charaktere fand ich vielfältig und wohl realistisch. Meine Rezension habe ich bereits gepostet.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Mein Fazit habe ich schon in Abschnitt 4 gegeben. Zwei Dinge möchte ich aber noch anfügen:

Es war sehr viel die Rede von den Landschaftsbeschreibungen. Die gab es zweifellos, aber sind sie nicht meist nur Mittel zum Zweck? Ich meine damit, dass nicht die Landschaft als solche beschrieben wird, was ich mir mehr gewünscht hätte, sondern nur, wenn sie als Metapher gebraucht wird. Bestes Beispiel ist das immer wiederkehrende Schilf. Es wird nicht so sehr als Pflanze betrachtet, sondern vielmehr als Bild für das Verhalten der Menschen. Ich hoffe, es wird klar, was ich meine.

Die zweite Bemerkung gilt dem ausführlichen Anhang, dem Nachwort und der editorischen Notiz. Ich finde, dass daraus klar wird, dass es sich bei diesem Buch eher um eine Lektüre für Spezialistinnen und Spezialisten handelt, Literaturstudierende beispielsweise. Es ist wichtig, dass solche grundlegenden Klassiker in einer guten Übersetzung zugänglich sind, aber den großen Markt wird es nicht erobern.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich finde, dass daraus klar wird, dass es sich bei diesem Buch eher um eine Lektüre für Spezialistinnen und Spezialisten handelt,
Das kann gut sein und würde manches erklären. Im Nachwort ging es wesentlich um die Person der Autorin und ihr Werk im Allgemeinen. Die Bedeutung von Schilf im Wind war untergeordnet.
Zweifellos fehlen dem Plot Bestsellerqualitäten.
sondern nur, wenn sie als Metapher gebraucht wird. Bestes Beispiel ist das immer wiederkehrende Schilf.
Das habe ich auch oft so wahrgenommen. Die Autorin unterstreicht Handeln und Fühlen ihrer Figuren mit einem blutroten Mond, den mächtigen Bergen, der schwarzen Nacht, dem brechenden Schilf. Das hat mir gefallen. Ob es wirklich immer so war? Mir nicht mehr wichtig;)
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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@Barbara62 hat es schön formuliert: Ich verbuche es als Bildung!

Ohne diese Leserunde hätte ich das Buch wahrscheinlich nicht gelesen. Es ist gut, einmal raus aus den Fahrwassern üblicher Lektüre rauszukommen.

Es geht um die ganz klassischen Elemente einer Tragödie: Schuld Buße und Vergebung. Ich gebe zu, dass sich mir nicht alles erschlossen hat, vielleicht habe ich auch gelegentlich zu unaufmerksam gelesen.

Ich habe die Beschreibung der Landschaft auf mich wirken lassen und die Insel vor mir gesehen. Es war also nicht nur ein literarischer Ausflug sondern auch ein bisschen Reisen im Kopf.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Hier nun auch noch mein (Kurz-)Fazit; Rezension folgt:

Tja, ich weiß auch nicht, warum ausgerechnet mir dieses Büchlein so gut gefallen hat. Aber irgendwie hat mich Grazia Deledda mit ihrer Geschichte um Schuld, Sühne und Buße in Kombination mit den teils großartigen Landschaftsbeschreibungen (ich konnte das sich wogende Schilf im Wind sehen, den Mond und die Sonne aufgehen, die sardische Hitze spüren) gepackt. Ich bin (wer mich kennt) mitnichten ein gläubiger Mensch und ja, die Aufzählung der vielen kirchlichen Feste waren mir auch an der ein oder anderen Stelle zu viel. Und trotzdem hatte die Geschichte einen Sog, dem ich mich einfach nicht entziehen konnte.

Ich verbuche das Buch keineswegs nur unter „Bildung“ – für mich hat es eher den Status „Will ich unbedingt noch einmal lesen!“. Mag sein, dass die letzte Zeit tiefere Spuren in mir hinterlassen hat als ich mir eingestehe und mich deswegen „milder“ stimmen in Bezug auf die Benotung, aber von mir bekommt „Schilf im Wind“ auch ohne „Klassikerbonus“ definitiv 5*. :cool: