FAZIT zu "Liebe ist gewaltig"

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.032
49
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Was war besonders gut oder besonders kritikwürdig? Bitte schreibt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.326
5.540
49
53
„Liebe ist gewaltig“ ist ein erschütternder, sehr starker Roman, der mich inhaltlich und sprachlich absolut überzeugt hat.
Sehr gut gefällt mir, wie komplex häusliche Gewalt und deren Folgen thematisiert werden. Die Figuren sind durchweg glaubhaft und lebendig dargestellt. Krankhafte emotionale Abhängigkeiten, eingespielte Handlungsmuster innerhalb einer dysfunktionalen Familie werden nachdrücklich gezeigt. Der Fokus auf einer gebildeten, erfolgreichen, scheinbar heilen Familie, die durch ihren Status und ihren Einfluss bestens vertuschen kann, was hinter verschlossenen Türen geschieht, ist klug gewählt. Räumt das Setting doch mit einer häufigen Annahme auf, Gewalt in der Familie sei ein Problem sozial benachteiligter Familien. Die Scham der Opfer, die um ihr Ansehen fürchten, wenn die familiäre Situation öffentlich werden würde, ist ein zentraler Faktor, der das System von Gewalt stützt, verharmlost und aus dem nur schwer zu entkommen ist. Erschwerend kommt ein außerfamiliäres Umfeld hinzu, das für Anzeichen von Gewalt blind ist, wenn es um gut situierte Familien geht.
Schumacher findet starke Bilder für die emotionale Verfassung ihrer Protagonistin, aber auch für zwischenmenschliche Situationen. Die Sprache ist immer authentisch, passt sich dem Alter und der Verfassung der Protagonistin an.
Trotz der Schwere des Themas habe ich jede Seite mit großer Spannung gelesen. Der Roman hat mich intellektuell und emotional erreicht. Das sind ganz klar 5 Sterne.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.473
50.032
49
Dieser Roman ist in jeder Beziehung besonders. Er behandelt ein wichtiges Thema, beleuchtet familiäre Gewalt aus verschiedenen Aspekten. Vier Kinder sind betroffen, alle gehen anders damit um. Die Vergangenheit leuchtet immer wieder in die verschiedenen Gegenwartsebenen hinein, sie lässt sich auch mit Anstrengung nicht ausblenden. Opfer familiärer Gewalt leiden ihr ganzes Leben. Ohne fremde/therapeutische Hilfe können sie ihr Trauma nicht überwinden - auch wenn sie überdurchschnittlich intelligent sind nicht.
Gewalt macht vor Status und Reichtum nicht halt.

Ich bestaune die eindrücklichen Bilder, die die Autorin zu beschreiben vermag. Sie hat immer die richtige Balance, sie gleitet bei aller gezeigten Gewalt und Ungerechtigkeit nie in Gefühligkeit oder Sentimentalität ab. Sie zeigt uns mit Bruno und Juli zwei Personen, die nicht völlig gebrochen sind, die ihre Misere ziemlich klar analysieren können. Nur die Umsetzung gelingt ihnen lange Zeit nicht.
Auch die stetigen Perspektivenwechsel sind gut gelungen. Man bekommt Verständnis, hat Nähe zu den Protagonisten.

Ein wirklich eindrucksvoller Roman mit großem Diskussionspotential, den man einem breiten Publikum empfehlen kann. Er sensibilisiert für ein oft totgeschwiegenes Thema. Allerdings kann er auch triggern: Manche Szenen gehen schon sehr unter die Haut.

Ich werde das Buch mit 5 Sternen bewerten. Es hat mich sprachlich und inhaltlich sehr überzeugt.
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.888
6.564
49
71
‚Verstörend‘ und ‚faszinierend‘ fällt mir zu diesem Roman ein!

‚Verstörend‘, weil ich noch nie so viel Gewalt (psychische und physische) in einem Buch gelesen habe! Und auch, weil das Umfeld blind ist dafür - es geht ja schließlich um eine hoch angesehene Familie in dieser Kleinstadt, die Eltern beide Anwälte! Erschütternd fand ich auch, wie Julis Kindheitserfahrungen ihr ganzes weiteres Leben begleiten.

‚Faszinierend‘ deshalb, weil ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Die Autorin beschreibt die Szenen so bildhaft, so überzeugend, dass ich ihr jedes Wort abnahm! Meinen großen Respekt dafür und ich hoffe, von dieser Autorin noch viel lesen zu können.

Ich kann nicht anders als 5 Sterne für dieses hervorragende Werk zu geben! Außerdem wünsche ich massenweise Leser dafür, damit dieses Thema auch mehr ins Lampenlicht rückt, dass auch in gut situierten Familien Gewalt herrschen kann, das Grauen regiert!
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
848
3.402
44
Schön, dass euch der Roman so gut gefallen hat und euch so überzeugt hat!

Mich hat der erste Teil richtig mitgenommen und umgehauen, aber dann wurde es leider immer weniger interessant und vor allem sehr vorhersehbar.

Für mich wurde hier recht konventionell der Weg durch ein Trauma und die schließlich beginnende Ablösung davon beschrieben, es gab in der Handlungsstruktur keine Überraschungen oder Momente, die nicht in irgendeiner Form so erwartbar gewesen wären, daher bin ich leider nicht so fasziniert von dem Roman. Es ist sicherlich ein authentisch gestalteter fiktionaler Bericht einer jungen Frau, die Gewalt in der Familie erfahren hat, aber mir fehlt ein innovativer Moment, ein Twist, irgendetwas, das den Roman aus dem psychologisch nachgezeichneten Leidensweg heraushebt.
 

Naibenak

Bekanntes Mitglied
2. August 2021
1.219
5.393
49
Schön, dass euch der Roman so gut gefallen hat und euch so überzeugt hat!

Mich hat der erste Teil richtig mitgenommen und umgehauen, aber dann wurde es leider immer weniger interessant und vor allem sehr vorhersehbar.

Für mich wurde hier recht konventionell der Weg durch ein Trauma und die schließlich beginnende Ablösung davon beschrieben, es gab in der Handlungsstruktur keine Überraschungen oder Momente, die nicht in irgendeiner Form so erwartbar gewesen wären, daher bin ich leider nicht so fasziniert von dem Roman. Es ist sicherlich ein authentisch gestalteter fiktionaler Bericht einer jungen Frau, die Gewalt in der Familie erfahren hat, aber mir fehlt ein innovativer Moment, ein Twist, irgendetwas, das den Roman aus dem psychologisch nachgezeichneten Leidensweg heraushebt.
Du hat sehr gut beschrieben, was dir an diesem Roman fehlt. Kann ich nachvollziehen. Ich gebe zu, der super kraftvolle erste Teil hat auch bei mir dazu geführt, dass es im Mittelteil etwas langsamer voran ging, da sich das Geschehen insgesamt deutlich beruhigt hatte. Es war aber nur eine Weile so, bis ich mich auf das neue Tempo eingestellt hatte. Auf seine ruhigere Art und Weise war es dann für mich nicht weniger intensiv, weil ja doch sehr eindringlich geschildert. Ich persönlich bin da wahrscheinlich mit anderen Erwartungshaltungen an den Roman herangegangen. Mir hat dieser "einfache", für manch einen möglicherweise vorhersehbare Plot gereicht, weil er wirklich sehr intensiv ist. Ich denke aber, dass nicht jeder dies alles kennt und direkt weiß, wie es endet. Diese Thematik wird einfach noch zu sehr tabuisiert. Von daher finde ich persönlich, dass der Roman auch ohne einen innovativen Moment, den du dir gewünscht hättest, absolut richtig und wichtig und vorallem auch ehrlich ist.
 

Naibenak

Bekanntes Mitglied
2. August 2021
1.219
5.393
49
Noch eine Anmerkung von mir:
für mich waren in diesem Roman insbesondere die psychologischen Aspekte und Hintergründe super interessant. Unabhängig davon, wie sich traumatisierte Menschen in ihren Leben zurechtfinden (da gibt es sicherlich Lektüre zu Hauf) hat mir hier besonders gefallen, wie analytisch die Autorin die Psyche der beteiligten Personen betrachtet und dadurch Vieles anschaulich macht und erklärt. Das ist selten in Romanen derart intensiv zu finden. Man fragt sich doch häufig, warum tut der/die das, warum nicht das? Er/sie müsste doch einfach nur... usw. Man kann nicht immer nachvollziehen, was in den Menschen vor sich geht und sie antreibt. Und hier setzt die Autorin an. Erklärt sehr verständlich immer wieder das "warum?". Das hat mir ganz besonders gut gefallen. Und genau das empfinde ich auch als wichtig, weil es hilft zu verstehen.
 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
19.473
50.032
49
Erkenntnisse aus einer Lesungsveranstaltung mit der Autorin

Es sei vorangestellt, dass Frau Schumacher eine absolut natürliche und sympathische junge Frau ist.

  • Es handelt sich bei dem Roman NICHT um Autofiktion! Es liegt aber jahrelange Recherchearbeit zugrunde. Ein Roman bietet viel mehr Potential, Graubereiche zu benennen als z.B. die Reportage (CS ist Journalistin von Beruf). Sie hat 3 Jahre intensiv und insgesamt 7 Jahre am Roman gearbeitet. Sie freut sich sehr darüber, dass auch unsere Psychologischen Profis den Roman für autofiktional gehalten haben.
  • Das vorangestellte Zitat von Luise Glück weist auf die unzuverlässige Erzählerin hin. Erlittene Traumata gehen mit problematischer Erinnerung einher.
  • Es wimmelt im Roman von lit. Anspielungen. CS ist sehr belesen und hat sich einen Spaß daraus gemacht, etwas einzufügen;)
  • Titel "Liebe ist gewaltig" weist auf verschiedene Formen der Liebe hin. Letztlich kann auch nur Liebe (zu sich selbst) heilsam wirken.
  • Die drei Teile sollte ursprünglich als "Level1 bis3" benannt werden. In jedem Teil arbeitet sich Juli( Jules, Julia) an jemandem ab, landet dann schließlich bei sich selbst.
  • CS wollte eine Heldinnen- und keine Opfergeschichte schreiben und hat sich bewusst für ein Bildungsbürgermilieu entschieden, weil Gewalt statistisch durch ALLE Familien und alle Schichten geht.
Ich habe nett mit der Autorin plaudern können und ihr von unserer begeisterten Runde erzählt. Habe auch etwas Werbung gemacht, so dass der zur Verfügung stehende Bücherstapel am Ende vergriffen war. Ja, verkaufen kann das Hexle gut... Nein, es war Überzeugung, ihr wisst das!
Spontan hat sich jemand angeboten, ein Foto zu machen :rofl
Das stelle ich euch in die Unterhaltung. Eine Widmung habe ich mir auch geben lassen nebst Autogramm. Wenn schon, denn schon!

Wenn ihr Gelegenheit zu einer Lesung habt: Es lohnt sich!
 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
19.473
50.032
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Am Anfang versucht Juli ja, mit magic Margot aus dem Klinikum zu fliehen. Das ist eine Anspielung. Aber worauf
Harold und Maude?
Honig im Kopf?
???
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.326
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Am Anfang versucht Juli ja, mit magic Margot aus dem Klinikum zu fliehen. Das ist eine Anspielung. Aber worauf
Harold und Maude?
Honig im Kopf?
???
Die Verbindung zu Harold and Maude sehe ich nicht. Von Honig im Kopf kenne ich nur den Trailer ... Ich stehe auf dem Schlauch.
Kennst Du eine weitere Anspielung, über die wir rätseln können?
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.632
16.680
49
Rhönrand bei Fulda
Ich kenne das Buch ja nicht, aber bei "Honig im Kopf" ist es nach meiner Erinnerung so, dass die Enkelin mit dem dementen Opa davonläuft, damit sie noch eine gemeinsame Reise machen können, bevor er ins Heim muss.
Ich habe den Film angeguckt, weil Hallervorden für seine Darstellung gelobt wurde, ansonsten meide ich Filme mit Til Schweiger.
Eine literarische Anspielung würde ich das aber nicht nennen, und mit Filmen bin ich nicht besonders bewandert. Harold und Maude habe ich noch nie angeguckt. (Ich nehm's mit immer vor, wenn der Film im Programm ist, und dann mach ich's doch nicht.)