FAZIT zu "Kathedralen"

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.187
49
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Bitte schreibt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.229
10.410
49
Thüringen
Wenn ich den Roman als "religionskritischen Spannungsroman" (nicht klauen, das wird wahrscheinlich meine Rezi-Überschrift ;) ) einordne, gefällt er mir sehr gut. Er hat ein gewisses Niveau und vermittelt ein bzw. mehrere Anliegen der Autorin u.a. zum Thema Religion bzw. religiösen Fanatismus (im Speziellen des Katholizismus) und auch Abtreibungen. Hat damit mehr Aussage als ein reiner Krimi oder Thriller. Aber natürlich ist er wie ein Genreroman gehalten in seiner Sprache und was er seinen Leser:innen an Denkarbeit zumuten will: nämlich wenig. Mir hat es als Abwechslung wirklich sehr gefallen, einfach mal ein Buch schön süffig weglesen zu können, ohne noch zwei bis drei weitere Bedeutungsebenen eines Satzes herausdestillieren zu müssen. Aber gerade der abschließende Abschnitt mit dem erklärenden Brief von Alfredo, war mir dann doch etwas zu viel. Die Vielschichtigkeit der Stimmen hat mir hingegen sehr gut gefallen. Man hat die Unterschiedlichkeit in ihren Gedanken gemerkt. Die Darstellung der anterograden Amnesie Marcelas war präzise und sehr interessant gemacht.

Ich finde es sehr gut, dass der Roman drastisch die oben genannten Anliegen vermittelt. Vielleicht auch Leser:innen, die sonst nicht zu literarischen Werken greifen würden. Ich wurde gut unterhalten, auch wenn ich sonst i.d.R. literarisch anspruchsvollere Sachen lese. Somit komme ich unter der Prämisse "Spannungsroman" auf 4 Sterne.
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.284
5.357
49
53
Insgesamt bin ich enttäuscht. Am meisten stört mich, dass hier Themen behandelt werden, die sich für interessante Diskussionen eignen würden. Aber mir fällt trotzdem nach der Lektüre kaum etwas ein, was ich dazu sagen könnte.
Insgesamt haben mich nur Marcelas Teil und überwiegend auch Carmens Abschnitt überzeugt. Glücklicherweise war es aber keine Qual das Buch zu lesen auch wenn bei mir wohl nicht viel hängen bleiben wird. Wie meine Bewertung aussehen wird, werde ich wohl erst beim Schreiben der Rezension merken. Mehr als drei Sterne werden es aber auf keinen Fall.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.675
9.513
49
Rückblickend kann ich nur sagen, ich wäre gern in Lias Buchhandlung geblieben (wo wir Bücherwürmer nun mal hingehören). Der Schritt 30 Jahre zurück nach Argentinien öffnet Abgründe. Ich wäre gern mehr auf der psycholgischen Seite geblieben, in den Köpfen der Protagonisten und nicht auf der regendurchnässten Müllhalde im Dunkeln. Das hat mir den Roman ein wenig versaut. So etwas erwarte ich in einem skandinavischen Psychothrilller,aber nicht hier.
Auch dass es letztendlich ein Geheimnis bliebt, wer die Leiche so zugerichtet hat und die Familie sich "neu formatiert" ist unbefriedigend.

Allerdings entwickelte der Roman eine Sogwirkung, die interessante Aspekte hervorhob. So gefiel mir Marcelas Figur und ihr Hirntrauma eigentlich am besten.
 

Eulenhaus

Aktives Mitglied
13. Juni 2022
321
1.502
44
Piñeiro schreibt spannende Unterhaltung für ein größeres Publikum. Ihre Wut über die Macht der Kirche und Gewalt gegen Frauen bringt sie zum Ausdruck. Sie bleibt der Spannung und dem Lesefluss zuliebe teilweise oberflächlich, einige Abschnitte wirken konstruiert.
Es war mein erstes Buch von ihr und meine Einschätzung durch gelesene Klappentexte in ihren Büchern hat sich bestätigt, 3 Sterne
 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
19.250
49.187
49
Mir hat es als Abwechslung wirklich sehr gefallen, einfach mal ein Buch schön süffig weglesen zu können, ohne noch zwei bis drei weitere Bedeutungsebenen eines Satzes herausdestillieren zu müssen
Das hast du sehr gut auf den Punkt gebracht! Mir tat dieser Roman zwischendurch mal richtig gut!
Die Darstellung der anterograden Amnesie Marcelas war präzise und sehr interessant gemacht.
Auch wenn ich keine Fachfrau bin, kam das Dilemma dieser Hirnverletzung sehr glaubwürdig rüber. Gute Recherche!
und nicht auf der regendurchnässten Müllhalde im Dunkeln.
Ja. Das war harter Tobak, hatte Thrillerelemente - ganz klar.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.187
49
Dieser Roman hat mich im ersten Abschnitt begeistert, dann ließ die Spannung etwas nach, wurde aber wieder aufgenommen.

Die verschiedenen Stimmen haben mir gut gefallen. Ein richtiger Krimi ist das ja nicht gewesen. Relativ schnell weiß man, was passiert ist, nur die Details fehlen. Es tun sich immer mehr menschliche Untiefen auf. Es wird geschildert, wozu radikal gelebter Katholizismus in letzter Konsequenz führen kann. Erschreckend das daraus resultierende Frauenbild, dem eine Jugendliche zum Opfer fällt.

Zugegeben fehlen vielmals die Graubereiche bei der Figurengestaltung. Das empfinde ich auch so. Die Bösen sind schon sehr böse, Alfredo sehr geläutert. Gestört hat es mich in diesem Buch nicht. Das Thema hat gerade in Argentinien Gewicht. Ein aggressives, ein vielleicht sogar mutiges Buch.

Vier Sterne sind dem Buch sicher. Vom Unterhaltungswert her könnte ich auch etwas aufstocken. Aber mit Linden Hills, Opus 77 oder Hätte ich dein Gesicht (um mal nur bei UnionsBüchern zu bleiben), kommt es nicht mit.
Ich lasse mal setzen und warte die weitere Diskussion ab.
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
2.972
9.423
49

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
1.803
5.061
49
Ich muss den Roman noch etwas sacken lassen, bevor ich mir eine Rezension zutraue. Ich finde, die Geschichte hat ihre Stärken und Schwächen.

Positiv: Sprachlich und stilistisch ist der Roman gelungen. Die unterschiedlichen Perspektiven sind variantenreich herausgearbeitet. Marcelas Abschnitt ist sehr überzeugend. Die Metapher der Kathedralen wird vielleicht etwas überstrapaziert, aber ist durchaus ein passendes Bild.
Außerdem greift die Autorin ein wichtiges und interessantes Thema auf. Die Spannungselemente animieren in der ersten Hälfte zum Weiterlesen. Die Autorin schafft es, die Leser bei der Stange zu halten.

Negativ: Die Kritik am Katholizismus ist mir zu undifferenziert und platt. Da ist die Autorin übers Ziel hinausgeschossen. Alle gläubigen Figuren sind böse und eindimensional. Die Geschichte wird gnadenlos überzeichnet. Zudem ist die Auflösung um Anas Tod recht früh offensichtlich und die Chance, die Leser zu überraschen, bleibt ungenutzt. Da es sich nicht um einen Thriller handelt, wiegt dieser Punkt aber nicht schwer.

Ich denke, es wäre mehr aus dem Thema herauszuholen gewesen. Vielleicht stand die Autorin unter Zeitdruck, weil sie schnell einen Beitrag zur aktuellen Debatte abliefern wollte. Vielleicht hat sie die Wut im Bauch auch dazu getrieben, so zu übertreiben, oder sie war der der Ansicht, sie müsse so dick auftragen, um verstanden zu werden. Mich hätte der Roman besser erreicht, wenn er differenzierter ausgefallen wäre.

Momentan schwanke ich zwischen drei und vier Sternen.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.408
23.976
49
66
Da kann ich Dir voll und ganz zustimmen, sowohl was die positiven Punkte betrifft, aber auch was die Schwächen des Romans angeht.
Da ich andere Romane von Pineiro kenne, weiß ich, dass sie es besser kann. Ich denke, dass ihr die Botschaft so wichtig war und sie deshalb zu dick aufgetragen hat. Hier zeigt sie zu wenig Vertrauen in ihre Leser.
Auch ich werde erst nach Schreiben der Rezension wissen, ob ich schwache vier oder starke drei Punkte gebe.
 

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.771
14.409
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ich bin nicht enttäuscht wie einige hier. Ich habe den Roman gern gelesen - als zugegeben etwas überspitzten Beitrag zur Abtreibungsdebatte, aus dem die Wut einer engagierten Autorin. Dass sie an der ein oder anderen Stelle übers Ziel hinausschießt - geschenkt. Mich hat die Lektüre jedenfalls bereichert und mir wird sie im Gedächtnis bleiben, auch wenn ich hoffe, dass ich die Details der Szene auf der Müllhalde vergessen kann.

Großartig finde ich die unterschiedlichen Stimmen der Personen. Selten habe ich das so ausgeprägt gefunden. Der Jammerlappen Julián, die radikal-rücksichtslose Carmen, der fanatische Ermittler Elmer, der angesichts des Todes sentimentale Alfredo, Marcela mit dem fehlenden Kurzzeitgedächtnis, die wütende Lía, die Charaktere kommen wunderbar in der Sprechweise zur Geltung.

Ich habe mich bei der Lektüre keine Sekunde gelangweilt, obwohl sich die Auflösung so früh abzeichnete. Überrascht hat mich dann doch Juliáns Schilderung der Abläufe und Carmens Skrupellosigkeit. Der Brief von Alfredo hat mich gerührt, am Rande zum Kitsch, aber eben nicht drüber. Seinen Wunsch, wenigstens Mateo und Lía zusammenzuführen, habe ich verstanden.

Die Autorin wollte extreme Charaktere zeigen, das ist ihr zweifellos gelungen. Nicht jeder Mensch hat Graubereiche, leider. Vobei: Selbst Carmen wurde von vielen sehr geschätzt, sie war eine zuverlässige Mitarbeiterinnen in der Kirche, sprang bei der Freizeit ein, war bei den Mädchen beliebt. Also doch ein wenig grau.

Da es mein erster Roman der Autorin war, kann ich keine Vergleiche anstellen. Vier Sterne werden es in jedem Fall und ich werde bestimmt noch einen der Romane lesen, die ihr hier empfohlen habt.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.557
16.329
49
Rhönrand bei Fulda
Der Roman ist sehr spannend und bietet von Anfang an ein Rätsel, dessen Kernlösung zwar schon recht früh zu ahnen ist, aber es bleiben noch genug Fragen offen, um bis kurz vor Ende zu spekulieren. Die verschiedenen Stimmen sind sehr authentisch, auch sprachlich sehr differenziert. Das zeigt sich natürlich am deutlichsten in den Kapiteln aus der Sicht von Personen, die nicht zur Familie gehören: Marcela und Elmer.
Insgesamt ist, von meinem persönlichen Liebling Marcela abgesehen, Lía die differenzierteste Erzählstimme. Sie hat das erste Kapitel und legt damit so etwas wie einen Grundstein, sie teilt die Eckdaten mit, worum es geht. In ihrem Bericht über den seltsamen Briefwechsel mit ihrem Vater und dem Umgang mit dem Thema Religion (sie hat abgeschworen, sich aber nichtsdestotrotz in einem Ort niedergelassen, der für seine spirituelle Bedeutung berühmt ist) spüren wir eine verletzte, von widersprüchlichen Gefühlen beherrschte Seele. Der Symbolgehalt der mit übereinander gelegten Händen gezeichnten Kathedralen wird ein bisschen dick aufgetragen, vor allem deshalb, weil das Thema den Kern des Plots nur wenig berührt, es ist eher ein ziemlich marginales, von Vater und Tochter geschaffenes Bild. Aber durchaus ausdrucksvoll.
Ich schrieb schon, dass Marcela für mich die Heldin des Buches ist. Ihr Kapitel wird keinen Leser kalt lassen. In der Astrologie gibt es das Sinnbild des verletzten Heilers - daran musste ich bei ihrem Bericht ein paarmal denken .
Die beiden Personen, die den eigentlichen Plot bewegt haben, nämlich Julian und Carmen, sind am wenigsten interessant. Es sind Leute, die ganz und gar aus einem Guss sind, ohne die Zweifel und Ängste, die einen Menschen im Grunde ausmachen. Von beiden Seiten bekommen wir nur Rechtfertigungsgerede zu hören.
Einen versöhnlichen Zug bekommt die Geschichte am Ende durch die Geste ALfredos, seine Tochter und Mateo zusammenzubringen, und seine späte Liebe zu Marcela. Alfredo erinnert mich ein wenig an den überforderten Papa in Jane Austens "Stolz und Vorurteil". Er durchschaut die Mechanismen und die viel zu engen Handlungsräume seiner Töchter recht gut, ist aber einfach zu bequem einzugreifen. Lieber bleibt er hinter seiner Zeitung und gibt ab und zu weise Oneliner von sich. Bisschen allzu bequem sowas.

Ich fand den Roman spannend zu lesen und sprachlich in Ordnung. Er ist keine Hochliteratur, stellenweise ein bisschen überengagiert. Das Buch enthält sehr viele Selbstrechtfertigungsversuche, auch bei Lía und Alfredo, sogar bei Marcela. Man hat den Eindruck, nacheinander die Aussagen von lauter Leuten zu hören, die auf der Anklagebank sitzen. Mir war das alles ein bisschen zu viel, vielleicht wäre eine neutrale Erzählstimme besser gewesen, vor allem bei den eigentlichen Tätern. Denn im Grunde, da machen wir uns nix vor, hat die Autorin nicht den Ansatz, dass wir Carmen und Julian nach deren Aussage "besser verstehen" sollen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Ich bin mir noch nicht schlüssig über die Punktzahl, entweder drei (was sehr gute drei wären) oder, wahrscheinlich eher, vier.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.858
12.454
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Mal ehrlich, ohne den Podcast des Deutschlandfunk und dem Hinweis von Ruleka (oder war es Barbara?) hätte ich diesen Roman weder als Manifest gegen das Abtreibungsrecht in Argentinien verstanden noch als Roman, der die Problematik illegaler Abtreibungen thematisiert?
Ich habe diesen Roman hauptsächlich als Spannungsroman gelesen, der gleichzeitig einen wütenden Angriff auf den Katholizismus darstellt. Daher passte der plakative Schreibstil, den ich als eine Reaktion auf diejenigen Glaubensverfechter gelesen habe, die ihren Glauben in die Welt hinausschreien und andere mit ihren Missionierungsversuchen bedrängen. (Ganz zu schweigen von den verschiedensten Dogmen und Kirchentheorie wider den gesunden Menschenverstand. )

Der Aufbau dieses Romans war gut gemacht, durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven wurde erst nach und nach das Rätsel um den vermeintlichen Mordfall gelöst, was für eine durchgängige Spannung gesorgt hat. Mir hat der Roman unglaublich gut gefallen.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.408
23.976
49
66

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
3.050
7.678
49
Wien
www.facebook.com
Gut gefallen hat mir die Mehrstimmigkeit bei diesem Buch. Vor allem Marcelas Abschnitt fand ich besonders gelungen.

Ich verstehe und unterschreibe das Anliegen, Frauen aus der Illegalität zu holen, wenn sie abtreiben.

Ich verstehe die Kritik an dem Festhalten an esoterischen Glaubensregeln gegen jede Vernunft und Wissenschaft.

Ich verstehe die Wut der Autorin, mich hat auch viel wütend gemacht beim Lesen.

Wenn ein Buch Emotionen erzeugt, dann hat die Autorin schon viel richtig gemacht.

Ich denke noch über die Bewertung nach.