FAZIT zu "In die Arme der Flut"

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.196
49
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Bitte schreibt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.556
12.500
49
47
Ich bin insgesamt enttäuscht und auch ein bisschen wütend - weil ich eben merkte, dass es ein richtig gutes Buch hätte werden können.

Das Setting, die Figuren, die sprachlichen Fähigkeiten des Autors - das alles schreit nach einem großartigen Roman. Doch herausgekommen ist für mich ein Mäandern zwischen Drama und Mediensatire, das für mich nicht zusammenpasste. Zudem nervte mich der geschwungene Holzhammer einerseits, während andererseits die Figuren unscharf blieben. Richtig schlimm fand ich den Zynismus gegenüber den Figuren.

Tja, und was gebe ich nun? Über meinem Kopf schweben ja immer noch die drei äußerst wohlwollenden Sterne für good old Bernie Schlink und seine Nazi-Enkelin. Da dieses Buch hier sprachlich natürlich zehnmal besser ist, kann ich wohl auch nicht weniger geben. Dennoch bin ich irgendwie wütender.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.196
49
Ich musste meinen Eindruck erst einmal überschlafen und überdenken. So ein komisches Buch las ich selten. Ich habe fast den Eindruck, drei bis vier Bücher in einem gelesen zu haben.

Der erste Teil beleuchtet den Protagonisten, beschreibt seine Einsamkeit und Todessehnsucht in poetischen Worten - tolle Schreibkunst. Die ausgedehnte Szene auf der Brücke war nachvollziehbar und fesselnd. Mit der Rettung des Jungen zeigt Luke große Hilfsbereitschaft und Spontanität. Bis dahin Note 1.

Dann das Hickhack der sozialen und amerikanischen Medien sowie einzelner Politiker. Satirisch und überzogen, aber nachvollziehbar. Auch in der Donald-Twitterei habe ich eine Message gesehen, die mich nicht gestört hat. Hier würde ich den Teil mit einer 2 benoten.

Alles wendet sich zum Guten, Luke verliebt sich. Mit Elena und dem Umzug zeichnet sich Frieden und Hoffnung für unseren Protagonisten ab. So hätte man es auslaufen lassen können. Trotz des ein oder anderen Kitschalarms hätte ich am Ende wohl 4 Sterne vergeben.

Aber der Autor ist (leider) noch nicht fertig. Jetzt kommt endlich das Unfallopfer Paul ins Spiel in Form seines völlig durchgeknallten Vaters. Der Luke von der Brücke schießt aus lauter Dankbarkeit. Nee jetzt, oder?!? Wie lange muss er auf der Lauer gelegen haben, um diesen Moment (zuerst vorherzusehen und dann) zu erwischen?
Völlig sinnlos, wenn auch die Überraschung geglückt ist. Wer rechnet denn mit sowas?!?
Was danach kommt, ist aus meiner Sicht hanebüchen. Diese dritte (oder vierte) Geschichte entbehrt in meinen Augen jeglicher Realität und lässt mich ratlos zurück. Note 5.

Das alles muss ich jetzt mal sortieren, aber mehr als drei Sterne sind in Summe nicht drin, weil gerade das wirre Ende den Gesamteindruck schmälert. Was hat sich (der große) Gerard Donovan dabei nur gedacht???
 

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.229
10.411
49
Thüringen
Ich bin gerade eben erst fertig mit dem Buch und habe das Gefühl es sei besser, lieber gleich alles runterschreiben und von der Seele kriegen, als es noch lange mit sich rumschleppen. Ein Buch, was ich in seiner Gesamtheit nicht "lange nachhallen" lassen will in mir.

Nach einem grandiosem Start, in welchen ich mich sofort verliebt habe, hat mich der Autor zunehmend enttäuscht. Man könnte nun sagen: Zumindest hat er Gefühle beim Lesen erwecken können. Ja, das schon. Aber diese Gefühle waren hauptsächlich mit durch zunehmenden Ärger und ein Unverständnis und Fassungslosigkeit ob des unbeschreiblichen Blödsinns geprägt.

Rein literarisch emfand ich durchaus die beiden Passagen um Paul mit seinem Vater und Paul im Boot schon noch einmal gelungen. Aber eingebettet in Offensichtlichkeiten, Grausaumkeiten und Kitsch.

Wenn der starke Anfang nicht wär, würde für mich das Buch maximal eine (!) 2 Sterne Bewertung "verdienen". Darüber muss ich jetzt aber wirklich noch einmal eine Nacht schlafen. Denn insgesamt sind es wahrscheinlich schon eher 3 Sterne. Das klingt jetzt hart, aber selten hatte ich den Wunsch einen Autor für seinen Umgang mit seinen Leser:innen willentlich abzustrafen, hier kommt dieser Wunsch erstmals so richtig auf. Ich schlafe noch mal drüber und hoffe nicht von dem armen Mädchen zu träumen...

Nachtrag: Ich habe mich doch schon (und nicht erst nach einer Nacht Schlaf) entschieden, die 2 Sterne bei einem Kippelbetrag von 2,5 zu geben. Warum? Für mich bedeuten Bewertungen in meinem eigenen inneren System: 5 bis 3 Sterne = Ich würde das Buch einer anderen Person empfehlen. 2 bis 1 Sterne = Ich würde das Buch ungern bzw. gar nicht einer anderen Person empfehlen.
Hier ist es so, dass ich am liebsten empfehlen würde: "Lest die ersten 110 Seiten und werft danach das Buch weg. Lest einfach nicht weiter." Und das reicht für mein eigenes Moralsystem einfach, ich könnte dem Buch keine 3 Sterne ohne eine innere kognitive Dissonanz geben. Also muss ich es für mich passend gestalten. Es werden die 2 Sterne werden.
 
Zuletzt bearbeitet:

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
@Christian1977 und @Literaturhexle sprechen mir aus dem Herzen. Der Roman fing so gut an. Die ersten 70 Seiten, das zeitdehnende Erzählen während des Selbstmordversuchs, der Sprung, das Festhalten am Geländer und dann die Rettung Pauls. Wunderbar erzählt, bilderreich, surreal. Die Kritik an den Medien im Anschluss, schlüssig, nachvollziehbar. Die Liebesgeschichte ist schon schwächer, nah am Kitsch, so hätte man den Roman nicht enden lassen können. Mit der Ermordung Lukes wäre es ein geniales Ende gewesen. Ein Mord aus religiösen Motiven, alles noch verständlich, auch noch der Vater-Sohn- Konflikt, was auch immer, aber der Schluss geht gar nicht. Mir fehlt hier eine klare Botschaft. Was soll ich als Leserin mitnehmen? Kritik an der Medienberichterstattung? An der medialen Inszenierung des Selbstmord? Ich weiß es nicht. Der Autor hat definitiv Potential, vor allem sprachlich, was die ersten Seiten beweisen. Aber die Konstruktion der Geschichte ist fragwürdig. Viele Zufälle, die wenig glaubwürdig sind. Wie groß ist die Chance, dass ein potentieller Selbstmörder einen anderen potentiellen Selbstmörder rettet? Wollen sich alle umbringen? Dieser Roman hat höchstens 3 Sterne verdient.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.556
12.500
49
47
Der Roman fing so gut an. Die ersten 70 Seiten, das zeitdehnende Erzählen während des Selbstmordversuchs, der Sprung, das Festhalten am Geländer und dann die Rettung Pauls. Wunderbar erzählt, bilderreich, surreal. Die Kritik an den Medien im Anschluss, schlüssig, nachvollziehbar.
Nun, bei mir war das ja ein bisschen anders als beim Hexle. Ich fand den Roman eigentlich von Beginn an nicht besonders stark, habe dann aber in jedem Abschnitt immer wieder kleine Perlen entdeckt. Meine Lieblingsszene ist insgesamt die Autoszene mit Bryce und Paul, auch wenn (oder weil?) sie wie aus einem anderen Roman scheint.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.676
9.514
49
Ich sehe schon, ich bin nicht die einzige, die irritiert (oder wütend) ist. Ich habe das Gefühl, ein schnell zusammengeschustertes Arbeitsskript gelesen zu haben, aus dem zwei oder drei großartige Romane hätten werden können. Denn schreiben kann Donovan augenscheinlich, spannend sein, kann er auch und gesellschaftkritisch obendrein.
Vielleicht hätte ich auch kurze Episoden rund um Ross Point auch noch akzeptiert, ruhig mit ein paar Namensgleichheiten, sodass der Leser selbst entscheidet, wo Verbindungen bestehen, oder nicht. So aber wars doch recht hahnebüchen und ich weiß nicht, welcher Lektor sowas durchwinkt.
Ich habe mir extra Zeit gelassen, um zu horchen, was meine innere Stimme noch Sinnvolles beizutragen hat, aber sie schweigt beharrlich.

Vielleicht verurteile ich Donovan zu schnell und habe seine Botschaft nicht verstanden, aber Lust auf mehr, macht dieser Roman nicht.
 

buchregal

Aktives Mitglied
8. April 2021
865
957
44
71
Ganze ehrlich, ich weiß noch nicht, wie ich eine Rezension schreiben soll.
Die ruhige Beschreibung der Landschaft und Lukes Überlegungen am Anfang des Buches haben mir ja gut gefallen, doch dann ging es steil bergab.
Hätte ich das Buch für mich alleine gekauft, ich hätte es nicht zu Ende gelesen und so etwas passiert mir selten.
Sprachlich schon überzeugend, aber mir fehlte die Linie. Es kam mir vor, als hätte man mir unterschiedliche Episodenstücke hingeworfen und gesagt: "Mach was draus".
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.408
23.981
49
66
Mein Fazit ist so ähnlich wie eures: sehr guter Start , um am Ende hin zu enttäuschen. Und seltsamerweise gefiel mir der Roman in der Reflexion danach noch weniger als beim ersten Lesen. Deshalb nur drei Sterne.
Also, lest „ Winter in Maine“ ( wer es noch nicht kennt ) und vergesst „In die Arme der Flut“.
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Hier passt nichts richtig. Didaktisch wenig subtile Social-Media-Kritik, die ja in ihrem Erkenntnisumfang nicht neu ist, und sich selbst auch der Sensationslust (Facebook-Selbstmord) bedient; Satire-Momente, die nicht wirklich unterhaltsam sind, gepaart mit morbiden Selbsttötungssehnsüchten, eingepackt in lyrische Sprache und Naturbeschreibungen, die so gar nicht zu der schrillen Welt passen. Außerdem Charaktere, die keine Bindung zum Leser aufbauen können. Es wirkt wie ein Roman, der nicht weiß, was er eigentlich will oder er bedient sich der falschen Mittel, um das herauszuarbeiten, was ihm wichtig ist.
 

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
1.803
5.061
49
Tja, was soll ich schreiben? Ich bin auch mehrere Tage nach der Lektüre unschlüssig. Ich könnte eigentlich den Beitrag von @buchregal kopieren.

Mir haben die ersten beiden Abschnitte gut gefallen. Danach habe ich die Welt bzw. das Buch nicht mehr verstanden. Ich weiß immer noch nicht, was sich der Autor bei der zweiten Hälfte gedacht hat. Vielleicht waren meine Erwartungen auch einfach zu hoch. Ich hatte mir nach dem Lob von @Renie jedenfalls was anderes vorgestellt.

Ich ringe momentan noch mit den Worten und tue mich mit der Rezension etwas schwer. Aber vermutlich wird es bei mir auf drei Sterne hinauslaufen.