FAZIT zu "Goyas Ungeheuer"

Literaturhexle

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Wie hat euch der Kriminalroman als Ganzes gefallen? Wo seht ihr seine Stärken oder Schwächen? Bitte gebt ein kurzes spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Da ich ab morgen ein paar Tage seltener online sein werde, trage ich mal rasch zusammen, was mir an dem Buch sehr gefallen hat.

Einmal das Lokalkolorit. Die Autorin führt uns Madrid in gewisser Weise als zum Romanpersonal gehörig vor und liefert ein gutes Bild von der Stadt, ohne andererseits so zu schreiben, dass man den Stadtplan zücken müsste, um alles zu verstehen. Das bürgerliche Madrid wird ebenso abgebildet wie das eher kleinbürgerliche, wo die Hausfrau mit Morgenrock und Pantoffeln auf die Straße geht, die Subkultur am Beispiel des besetzten Hauses und die Sub-Subkultur in den unterirdischen Schächten.

Dann vor allem die Hauptperson Maria. Mit dem Satz "Maria nahm gleich zwei Stufen auf einmal", einem Hinweis auf ihre unerschöpfliche Energie, wird sie perfekt eingeführt. Sie ist eine widerborstige Person, was wir schon darauf erkennen können, dass sie suspendiert wurde (ich fand das Leitmotiv mit der leeren Schublade, in der sie immer wieder ihre Pistole sucht, genial), sie ist hartnäckig und zeigt viel Empathie, vor allem gegenüber dem jungen Eloy. Ihre Liebesgeschichten kann man leider aus dem Buch heraus nicht so ganz verstehen; da ist wohl vieles vorausgelaufen, was uns unbekannt bleibt. Aber jedenfalls ist sie auch in der Liebe eine unkonventionelle Person. Ihr Kollegen bleiben etwas blass; das liegt wohl an der Konstellation (da sie zwangsläufig auf sich allein gestellt ermitteln muss), aber Eloy in seiner Ernsthaftigkeit und Verlorenheit ist eine sehr anrührende Figur.

Gut gefällt mir auch der Kunstbezug (ich bin sowieso Goya-Fan, aber ich mag generell "Kunstkrimis". Die Abbildungen im Buch genügen wohl nicht, um alle Anspielungen auf die Bilder zu verstehen, aber da hätte wohl auch eine etwas größere oder farbige Darstellung keinen Unterschied gemacht, jedenfalls bei den meisten Bildern (die Wallfahrten, die Schlachtszene und die Erschießung, das Irrenhaus), das muss man sich ohnehin großformatiger ansehen. Zum Glück sind alle Bilder leicht zu finden.

Wie im Thread zum letzten LA erwähnt mag ich die ruhige Erzählweise und dass die Autorin der Versuchung widerstanden hat, am Ende noch ein Riesendrama mit mehreren Seiten Geiselnahme oder Verfolgungsjagd einzuführen. Die einzigen "Verfolgungsjagden" spielen sich per Fahrrad ab, Gute Idee!

Das Buch ist Teil einer Serie, die noch nicht in Deutsch erschienen ist; daher die vielen Anspielungen auf zum Teil recht komplizierte Vorgänge in der Vergangenheit - es wäre schön, wenn man das vielleicht irgendwann "nacharbeiten" könnte. Das vom Leben gebeutelte "Team", das im letzten Absatz nochmal resümierend vorgeführt wird, hat mich jedenfalls gewonnen. Ein Krimi nach meinem Herzen. Es gab ein paar Stilschlampereien bzw. Übersetzungsfehler, aber ein Krimi ist ja keine höhere Literatur, da liegt die Latte der stilistischen Bewertung nicht so hoch. Ich bin noch nicht sicher, aber es könnte Höchstwertung geben - weil ich das Buch im Krimigenre wirklich herausragend finde.

Das Buch ist 2019 erschienen, habe ich gerade festgestellt. Wenn es in diesem Jahr herausgekommen wäre (ich meine im Original), hätte ich angenommen, dass die Autorin uns Deutsche mit dem hässlichen Dreadlock-Kellner auf die Schippe nehmen will. Ein Deutscher mit Dreadlocks, ich sach jetzt mal nix ... :rolleyes:
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
www.circlestonesbooks.blog
Eine spannende, durch das Thema Goya sehr interessante Geschichte, ein sehr gelungener Streifzug durch Madrid. Es ist wesentlich mehr als "nur" ein Kriminalroman, denn neben dem Leben und Werk von Francesco de Goya nimmt die Autorin auch immer wieder Bezug auf das reale Leben in Spanien, die sozial-politische Situation und auch das Bild der Kriminalpolizei von Madrid ist sehr im Graubereich mit dem Verfahren gegen die Comisaria, ohne anzuerkennen, dass sie eine brillante Ermittlerin ist. Nebenbei macht diese Geschichte auch Lust, wieder mal nach Madrid zu reisen. Sehr gut gefällt mir dieses aus so unterschiedlichen Charakteren zusammengesetzte Team rund um die Comisaria, die an sich schon eine sehr vielschichtige Figur ist, kompetent, aktiv und taff im Beruf, aber durch ihre berufliche und persönliche Situation und Bindungen einige Konflikte und ungelöste Probleme in sich trägt. Luna, der ältere Journalist, der noch klassisch recherchiert, Zusammenhänge sucht und im Gegensatz zu ihm die junge Journalistin Nora, welche die modernen Medien nutzt. Ich hoffe sehr, dass noch weitere (in dem Fall gerne auch vorhergehende) Bände übersetzt werden. Ich habe gerade intensiv nach Büchern in englischer oder italienischer Übersetzung gesucht, aber erfolglos. Also hoffe ich auf eine ähnlich begeisterte Leserinnen und Leser wie mich und vor allem Käuferinnen und Käufer, damit der Verlag dieser Serie fortsetzt. Ich wusste nicht, was mich mit diesem Kriminalroman erwartet, aber mich hat er ohne Längen gepackt und überzeugt. Lesevergnügen! Ohne LR hätte ich keine Lesepausen gemacht ;)
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ein Krimi, der mehr Wert auf (psychologische) Tiefe denn auf überbordende Brutalität legt, hat bei mir per sé ein Stein im Brett :cool:. Wenn ich dann auch noch eine Quasi-Stadtführung durch Madrid, seine unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die fein säuberlich skizziert wurden, verbunden mit Kunstgeschichte (speziell hier natürlich die Geschichte Goyas) bekomme - tja, dann bleibt mir hier nur die Höchstnote und die dringende Bitte an meinen Heimatverlag, auch die restlichen Bände von und mit Comisaria Ruiz ins Programm aufzunehmen :cool:.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Es ist vielleicht alles gesagt, aber noch nicht von jeder;)

Ich kann mich eurem Lobpreisen nur anschließen. Für mich hat hier alles gestimmt. Ich wusste bisher nichts über Goya und sein Werk, trotzdem war der Roman für mich sehr gut nachvollziehbar. Den Werken kann man ansehen, dass der Künstler mit seinen eigenen Ungeheuern zu kämpfen hatte. Der Bezug von Goya zu seinem "Follower" ist exzellent gelungen.

Sämtliche Figuren sind fein skizziert und beschrieben. Man kann sie sich alle gut vorstellen. Als Team passen die Ermittelnden prima zusammen. Man hofft, dass sie bald einen neuen Fall angehen dürfen und Maria ihre Waffe zurückbekommt.

Auch Madrid wird zum Leben erweckt. Ich war noch nie dort, kenne allerdings andere mediterrane Großstädte - manches ähnelt sich wahrscheinlich. Die Beschreibungen hatten für mich genau die richtige Breite. Der Fokus liegt mehr auf dem rasanten Geschehen und den Figuren. Alles passt zusammen. Das Finale hat den Puls nochmal in die Höhe getrieben, wie es sich für einen guten Kriminalroman gehört, Überraschung inklusive.

Von mir wird es die Höchstwertung geben!
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Mir hat der Krimi gut gefallen, gerade mit dem Bezug zu Goya und auch die Stadt Madrid, die ich noch nicht besucht hat, wurde lebendig.
Das Interview mit der Autorin hat mich sehr interessiert und zur Klärung von ein paar Fragen beigetragen.
Wegen der vielen Hinweise auf die Vergangenheit, wäre es schon schön, wenn auch weitere Fälle übersetzt würden. Manchmal hätte ich gerne etwas mehr als bloße Andeutungen gehabt, was Riuz und ihrem Team widerfahren ist.
 

Renie

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19. Mai 2014
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renies-lesetagebuch.blogspot.de
So, mein Fazit: Ein Krimi der besonderen Art, der mich durch seine Kunstausrichtung gekriegt hat. Mit Goyas Kunst werde ich mich zwar nicht anfreunden können, doch die Idee, Gemälde des Spaniers als fantasievolle Vorlage für außergewöhnliche Meucheleien zu nehmen, hat schon etwas. Der Schauplatz Madrid hat mein Weltenbummler-Herz erfreut, so etwas mag ich.
Der Roman hat mich gut unterhalten, aber nicht so gut, dass ich von jetzt an zu jedem Comisaria Ruiz-Roman greifen würde, was ganz einfach an meiner Abneigung zu Regionalkrimi-Serien liegt, die mich irgendwann anfangen zu langweilen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Auch mir hat dieser Krimi sehr gut gefallen. Er war erfrischend anders, als die Krimis die ich sonst gewöhnt bin. Spanien ist mir wenig vertraut, aber die Autorin macht es auch Lesern aus anderen Ländern leicht sich zurechtzufinden.
Die Tatsache, dass wir nicht mit dem ersten Band beginnen konnten, war nicht weiter tragisch, machte eher sogar Lust die Vorgänger ebenfalls zu lesen, sollten sie ins Deutsche übersetzt werden.
Goya und seine Bilder war ein sehr interessanter Hintergrund zu den Morden.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe mich die letzten Tage nicht so viel beteiligen können, weil ich verreist war. Aber meine Rezension steht nichtsdestotrotz und ich kann nichts anderes als die Höchstwertung geben. Gerade im Urlaub hatte ich wieder mal einen Krimi eines deutschen Autors, der keineswegs schlecht war, aber kein Vergleich mit dem vielschichtigen, phantasievollen Roman dieser spanischen Autorin. Wenn noch mehr von ihr auf Deutsch erscheint, galoppiere ich in den Buchladen, aber instantáneamente.

https://whatchareadin.de/community/...s-ungeheuer-von-berna-gonzalez-harbour.31718/
 
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Amena25

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23. Oktober 2016
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Ich schließe mich euch an: Goyas Kunstwerke bieten einen interessanten und phantasievollen Hintergrund für das Geschehen.
Aber auch mir wäre es lieber gewesen, mit Band 1 einzusteigen.
 
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