FAZIT zu "Es ist ein Mädchen"

Literaturhexle

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Wie hat euch der Roman insgesamt gefallen? Bitte schreibt ein kurzes Fazit in ein paar Sätzen.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Im Großen und Ganzen hat mir dieser Roman sehr gut gefallen. Häufig war ich emotional erschüttert und aufgewühlt. Für mich ist das eigentlich immer ein gutes Zeichen, wenn mich ein Roman so anpackt, denn das schafft nicht jedes beliebige Buch. Neben der literarischen Verdichtung zum Thema Misogynie, die mir immer wieder prägnante Formulierungen und Sprachbilder dargeboten hat, welche ich mir gern markiert habe, war der Sprachstil des Buches für mich besonders herausstechend. So finde ich die passenden Erzählstimmenwechsel in den verschiedenen Abschnitten sehr gekonnt eingesetzt. Tatsächlich war dieses Buch für mich über weite Strecken ein 5-Sterne-Buch. Erst zum Ende hin hat mich die Autorin mit den inhaltlichen Abschweifungen, die für sich genommen nicht minder interessant sind, aber etwas verloren. So werden es wohl 4 Sterne werden.
Zum Schluss spukt mir noch der Gedanke im Kopf herum, dass der Roman so ein bisschen als die französische Variante von "Kim Jiyoung, geboren in 1982" verstanden werden könnte.
 
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Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Sehr gekonnt und gelungen ist für mich der wiederholte Wechsel der Erzählperspektiven. Der letzte Leseabschnitt hat mich sozusagen mit den vorhergegangenen Handlungen versöhnt, auch mit der Hauptperson Laurence. Dennoch ist mir dieses Vereinen von allen nur möglichen Formen und Varianen von Misogynie, sei es im alltäglichen Sprachgebrauch, in den alltäglichen Erfahrungen und den extremen Erlebnissen, in nur einem einzigen Frauenleben too much. Da mag auch daran liegen, dass ich, obwohl einige Jahre vor der Autorin geboren, aufgewachsen als einzige Tochter in Salzburg, viele dieser Erfahrungen nicht gemacht habe. Ich fürchte, dieser Roman zeigt zwar die Missstände auf, aber eher in dem Sinne, dass alle Frauen, die ihn lesen, sofort bestätigend nicken, ja, genau so war es, ist es. Und nun? Klar ist, die Autorin hat mich erreicht und zum Nachdenken angeregt. Nicht immer erreicht hat mich Laurence, die für mich oft zu nachgiebig und angepasst agiert. Sie brauchte ihre großartige, selbstbewusste Tochter, die ihr gezeigt hat, dass auch sie selbst, Laurence, anders kann. Für mich ein wirklich und überraschend positives Ende. Rezension schreibe ich frühestens morgen, ich schwanke noch sehr.
 

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29. März 2022
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So finde ich die passenden Erzählstimmenwechsel in den verschiedenen Abschnitten sehr gekonnt eingesetzt. Tatsächlich war dieses Buch für mich über weite Strecken ein 5-Sterne-Buch. Erst zum Ende hin hat mich die Autorin mit den inhaltlichen Abschweifungen, die für sich genommen nicht minder interessant sind, aber etwas verloren. So werden es wohl 4 Sterne werden.
Meine Leseerfahrung war ähnlich: am Anfang war ich noch sehr angetan, gegen Ende wurde es mir jedoch wirklich zu viel. Letztlich ist mir das Buch viel zu überfrachtet, was auch dazu führt, dass das ernste Thema des Missbrauchs hier zum Teil einen Glaubwürdigkeitsverlust hat. Das kann ich nicht akzeptieren. Vielleicht werden es deswegen am Ende sogar nur 3 Sterne. Ich muss noch mal in mich gehen und darüber nachdenken.
 

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Über weite Strecken hat mich das Buch begeistert. Die Schilderungen des Mädchen-Seins, die Darstellungen des Missbrauchs, und natürlich auch die Erzähltechnik selbst mit ihren Perspektivwechseln.
Letztendlich ist es in erster Linie ein feministischer Roman, der breit ausleuchtet, was es heißt Mädchen zu sein. Dies wird gegen Ende immer deutlicher. Mich hat das Buch da irgendwo verloren, da alles viel zu überfrachtet ist und zudem viel mit Klischees gearbeitet wird. Dieses Siegeszug der lesbischen Liebe einerseits interessant, aber für mich eben einfach too much.
Ich lasse, meine Eindrücke jetzt erst makl sacken, bevor es an die Rezi geht...
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Letztlich ist mir das Buch viel zu überfrachtet, was auch dazu führt, dass das ernste Thema des Missbrauchs hier zum Teil einen Glaubwürdigkeitsverlust hat.
Ich empfinde es ähnlich. Und ich kämpfe damit. Weil es ja oft genau das ist was passiert. Dem Missbrauchsopfer wird nicht geglaubt.
 

Wandablue

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Ich empfinde es ähnlich. Und ich kämpfe damit. Weil es ja oft genau das ist was passiert. Dem Missbrauchsopfer wird nicht geglaubt.
Hier ist es halt mal anders, man glaubt Laurence, aber man hält den Übergriff für nicht so wichtig, erstens, weil es nicht zum Äussersten kam und zweitens, weil Männer halt nun mal so sind - so wird argumentiert. Das gefällt mir sehr gut, diese Darstellungsweise.

Mir hat das Buch unter der Prämisse, dass die Autorin die Überfrachtung bewusst als Stilmittel einsetzt, sehr gut gefallen. Der Schlussgäg ist dem Titel geschuldet und ein bisschen verschmitzt. Eigentlich hätten wir Alice nicht als Lesbe gebraucht - aber seis drum, ein bisschen Effekthascherei kann ich verzeihen.
Wird das Buch männliche Leser finden - das ist die Frage.
Ich hätte gerne ein Nachwort gehabt, das deutlich macht, dass diese Überfrachtung gewollt ist. Und dann hätte ich auch gerne gewusst, wie das Buch in Frankreich angekommen ist.
 

GAIA

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Ich fürchte, dieser Roman zeigt zwar die Missstände auf, aber eher in dem Sinne, dass alle Frauen, die ihn lesen, sofort bestätigend nicken, ja, genau so war es, ist es. Und nun?
Bei mir hat dieses Aufzeigen der Missstände vor allem Entsetzen und Wut ausgelöst. Wut ist, richtig kanalisiert, ein großer menschlicher Motivator, in Aktion zu treten, etwas zu ändern, es zumindest bei den eigenen Kinder nie so falsch zu machen, etc. Wenn das Buch allein das erreichen kann oder Frauen, die Opfer eines Missbrauchs oder anderen misogynen Erfahrungen sind, die es lesen, vielleicht bewusst machen kann, in welchen eigenen, alt-angelernten Strukturen sie unter Umständen völlig unbewusst festhängen, ist doch schon viel gewonnen. Mal gesetzt den Fall, das das Buch vielleicht eher von Frauen gelesen wird. Und wenn es doch mal ein Mann zwischen die Finger bekommt, wird ihm dadurch vielleicht zumindest klar, warum es Frauen unangenehm ist, wenn er in der Straßenbahn, wenn auch nicht beabsichtigt, zu nahe an sie heranrückt... ;)
dass das ernste Thema des Missbrauchs hier zum Teil einen Glaubwürdigkeitsverlust hat
Schade. Bei mir gab es tatsächlich unter der Prämisse „Laurence als prototypisches weibliches Wesen“ diesen angesprochenen Glaubwürdigkeitsverlust beim Lesen gar nicht. Besonders bezogen auf den sexuellen Missbrauch nicht. Gerade da empfand ich selbst die sexuellen Phantasien im jungen Alter als - zwar nicht bei jedem Opfer so zwangsweise auftretende - aber doch mögliche Folge nachvollziehbar.
 

Literaturhexle

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Dennoch ist mir dieses Vereinen von allen nur möglichen Formen und Varianen von Misogynie, sei es im alltäglichen Sprachgebrauch, in den alltäglichen Erfahrungen und den extremen Erlebnissen, in nur einem einzigen Frauenleben too much.
Genau so empfinde ich das auch. Laurence wird mir allzu sehr als willenloses Opfer stilisiert, die alles erträgt und sich nicht zur Wehr setzt.
dass das ernste Thema des Missbrauchs hier zum Teil einen Glaubwürdigkeitsverlust hat.
Stimmt. Die bösartig zuschauenden Verwandten: das war zuviel für mich!
Mich hat das Buch da irgendwo verloren, da alles viel zu überfrachtet ist und zudem viel mit Klischees gearbeitet wird. Dieses Siegeszug der lesbischen Liebe einerseits interessant, aber für mich eben einfach too much.
Klischees. Genau. Zum Teil bestehen die Vorurteile natürlich wirklich. Aber in Summe hat mich die Geschichte dann doch verloren. Die von GAIA erlebte Emotionalität konnte ich in keiner Weise teilen.
Wird das Buch männliche Leser finden - das ist die Frage.
Wenige. Nicht mal unser aufgeschlossener @Christian1977 hat sich dran getraut;)
 

Literaturhexle

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Es wird für mich ganz schwer werden, dieses Buch objektiv zu bewerten. Den Anfang empfand ich völlig überfrachtet. Im Mittelteil konnte ich an sich gut folgen, allerdings sind die männlichen Figuren schon reichlich chauvinistisch unterwegs. Ein Vater, der den Frauenarzt seiner Tochter aktiv schützt, obwohl jener massiv für die Totgeburt seines Enkels die Verantwortung trägt? Fragwürdig.

Die Protagonistin ist eine schwache Figur. Sie will es allen irgendwie Recht machen, sie hat keine Linie in ihrem Tun. Sie ist eine Tochter ihrer Erziehung und macht doch teilweise dieselben Fehler wie ihre eigenen Eltern.

Der letzte Teil hat sich in meinen Augen ziemlich gezogen. Ich hätte nicht jedes Erlebnis der kleinen Alice gebraucht, die unbedingt Kleidchen tragen soll.

Das Buch greift eine gesellschaftlich wichtige Thematik auf. Ich bin aber nicht überzeugt, dass es die richtige Zielgruppe erreichen wird. Solch ein Buch sollte auch von Männern gelesen werden, zwecks Sensibilisierung.

Zu welcher Sternezahl ich kommen werde, weiß ich echt noch nicht. Dieses Mal habe ich kein Bauchgefühl.
 

Christian1977

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Wenige. Nicht mal unser aufgeschlossener @Christian1977 hat sich dran getraut
Thematisch hätte mich der Roman durchaus interessiert. Ich hatte damals sogar für ihn gestimmt und mich zuerst auch angemeldet. Allerdings hatte ich nach Veröffentlichung der Leseprobe einen Rückzieher gemacht, weil ich das Gefühl hatte, es würde mich sprachlich überhaupt nicht ansprechen...
 

Literaturhexle

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Wäre sehr interessant gewesen, zu erfahren, wie du als Mann die Geschichte aufnimmst, ob du die beschriebenen femininen Ängste nachvollziehen kannst.
Sprachlich wechselt das Buch ab. Das erste Kapitel ist völlig anders als der Rest. Insofern kann dein Eindruck täuschen. Man geht während der Lektüre durch verschiedene Gefühlslagen.
 

Literaturhexle

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alasca

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13. Juni 2022
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Ohne das Buch gelesen zu haben, folgendes zum Thema: Passive Opfer sind die Regel. Eine Hypersexualisierung von Missbrauchsopfern, die sich in sexuell "unangemessenem" Verhalten äußert, auch. Es ist ein Symptom.

Verwandte, die wissend nicht helfen, gibt es. Selbst Mütter verhalten sich so, erschreckend oft sogar.

Das gleiche gilt für Menschen, die dieselben Fehler machen wie ihre Eltern. Reflektion ist selten. Reflektion, die zum Durchbrechen eines toxischen Musters führt, noch seltener.