FAZIT zu 'Eingeäschert' von Doug Johnstone

Literaturhexle

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Wie hat euch der Roman gefallen? Gibt es etwas zum Nachwort zu sagen (S. 419 ff)?
Bitte gebt uns ein erstes spontanes Fazit.
 

Die Häsin

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Da ich schon in der nächsten Runde stehe, hier auf jeden Fall jetzt mein Fazit, sonst gerät mir zu viel in Vergessenheit.

Mir hat das Buch große Freude bereitet, wachsende Freude sogar. Wachsende deshalb, weil ich mir zunächst nicht darüber klarwerden konnte, mit welchen Erwartungen ich es lesen soll. Ich hatte relativ früh das Gefühl, dass das kein richtiger Krimi wird, sondern der Schwerpunkt eindeutig auf der familiären Verflechtung liegt. Das Buch erinnerte mich sogar sehr stark an gewisse skandinavische Autorinnen, die zum Teil gar nicht unter Krimiflagge segeln, u.a. meine persönliche Lieblingsautorin Inger Frimansson. Deren Romane sind psychologische oder Familiendramen, in denen auch eine oder mehrere Krimihandlungen vorkommen, aber die Schwerpunkte liegen nicht auf der Aufklärung eines Krimirätsels, sondern auf der Problematik von Schuldgefühlen, Rache oder zerstörerischer Eifersucht.

Es gibt zwei explizite Krimi-Motive in "Eingeäschert": Lawrence' Verschwinden und Mels Verschwinden. Dass diese beiden Motive nicht zusammenwachsen, sondern bis zum Ende unverbunden parallel nebeneinander laufen, ist für mich ein weiteres Ausschlusskriterium, dass man hier von einem Krimi sprechen könnte. Es geht einfach um drei Frauen, die jede für sich Rätsel lösen wollen und einander dabei unterstützen. Die Art und Weise, wie das geschieht, hat mir sehr gefallen, ich habe es mit großem Vergnügen gelesen - auch da, wo die Frauen außer Rand und Band geraten, sich unlogisch oder unangemessen verhalten, habe ich so etwas gespürt wie wachsende Wut und eine gewisse Überforderung, die zu diesen Handlungen treibt. Es sind ja Frauen in Männerjobs, die wir hier sehen. Jede übernimmt eine Aufgabe, die eigentlich einem Mann zugedacht war, der sie aber nicht erledigen kann oder will.

Im Nachwort wird betont, dass der Autor seinen Roman einem Genre namens "tartan noir" zuordnet und sich auf die Tradition der gothic novel und des schottischen Schauerromans beruft. Nun ist die gothic novel zwar in England entstanden, hat aber ihren Schauplatz ursprünglich nicht in England, sondern bezeichnenderweise in Italien oder Deutschland, z.T. auch in der Schweiz. Ich kenne mich da ein bisschen aus und bin immer wieder erstaunt und amüsiert, wie viele echte gothic novels aus britischer Feder es gibt, die in Deutschland spielen - dem Land der alten Gemäuer und finsteren Verliese.* Als schottische Spezialität kann ich dieses Genre nicht recht ansehen.

Ich vermute, dass sich der Autor, wenn er von dieser Tradition spricht, eher die klassische schottische Literatur im Auge hat wie die von Stevenson (Jekyll und Hyde wird ja ausdrücklich erwähnt) und Walter Scott. Aber was genau macht eigentlich sein Buch zu einem solchen Schauerstück? Die Grillszene am Anfang ist eigentlich völlig beziehungslos und wird bis zum Ende nicht erklärt. Wenn man will, kann man den Wunsch, im Garten verbrannt zu werden, so ausdeuten, dass er einem schlechten Gewissen wegen der "Beerdigung" Lawrence' entspringt. Aber so richtig schlüssig ist es nicht, und es wird (nach meiner Erinnerung) auch nicht so begründet. Gruselig sind natürlich die Exhumierungsszenen. Aber davon abgesehen ist das ganze Setting ausgesprochen "diesseitig", ja sogar ganz modern life mit den Szenen im Pub, an der Uni und der deutlich zur Schau gestellten Urbanität. Was natürlich andererseits gerade die wenigen gruseligen Szenen in desto schauerlicheres Licht taucht. Ich hatte meine Freude daran, ich finde es überhaupt ein äußerst gelungenes Buch. Punktabzug gibt es bei mir nur wegen dieser Einordnungen, die ich nicht nachvollziehen kann und die falsche Erwartungen wecken. Ich werde vier Punkte geben.



*) Es gibt eine wenig bekannte Geschichte ("Die Squaw") von Bram Stoker, dem Schöpfer des Dracula, die im Foltermuseum in Nürnberg spielt - nur ein Beispiel ...
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Aber was genau macht eigentlich sein Buch zu einem solchen Schauerstück? Die Grillszene am Anfang ist eigentlich völlig beziehungslos und wird bis zum Ende nicht erklärt.
Das habe ich mich nach dem Lesen des Nachworts auch gefragt. Außer der Grill- und den Ausgrabungsszenen ist nichts schauerlich und Geister finde ich auch keine...
Insofern hat mir das Nachwort wenig Erkenntnisse gebracht, muss ich sagen. Dass Johnstone wunderbar Schauplätze beschreiben kann, die schottische Seele streichelt und drei Feministinnen für die Hauptrollen erkoren hat, habe ich auch selbst bemerkt;)
 

ulrikerabe

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Das Nachwort hat mir den Autor William McIlvanney vorgestellt. Danke dafür.

Tartan Noir verbinde ich mit abgründigen Plots. Das fehlte mir hier ein bisschen, zumindest über weite Strecken.

Wenn mir das Nachwort allerdings erklärt, dass tartan noir auch für unterschätzte, ausgeschlossene und schikanierte Held*innen steht, kann ich hier doch auch wieder etwas damit anfangen.

Die Frauen der Familie Skelf werden unterschätzt, von ihrem Umwelt und (mich an der Nase nehme) von der Leserin.

Es ist nicht Hauptthema des Buches, aber dennoch ist sie da, die Sozialkritik, vor allem bei der augenscheinlichen prekären Wohnsituation. Bist du den Job los, dann auch ganz schnell die Wohnung. So ging es Jenny, so ging es Amy, der geschassten Postbotin. Hast du kein Netz bist du verloren.

Ich wusste z. B nicht, dass Schottland die zweitgrößte Mordrate in Europa hat. Und Finnland die höchste. Muss ich hier mit einem Klischee aufräumen, was ist mit Süd/osteuropa?

Gibt man auf google "mordrate europa" ein, kommt man auf andere Ergebnisse, z. B., allerdings aus dem Jahr 2018 (Litauen bekommt den wenig ruhmreichen Platz 1, Österreich den letzten, Insel der Seligen, Schweiß von der Stirne wische)

Dougstones (haha, ich lass das jetzt so stehen) weibliche Sicht halte ich nicht wirklich für reell, aber er bemüht sich.

Wie ich das Buch bewerten soll, weiß ich immer noch nicht. :)
 
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Die Häsin

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Dass Finnland die höchste Mordrate haben soll, hat mich auch total überrascht. Ich dachte immer, die Finnen sitzen in der Sauna und tanzen Tango, statt zu morden.

(Erstaunlich finde ich, dass ich sehr viele Schweden-, Dänen-, einige norwegische und etliche Islandkrimis kenne, mich aber gerade an keinen einzigen finnischen erinnern kann. Lars Keplers Ermittler Joona Linna ist Finne, arbeitet aber in Schweden.
Von Islandkrimis heißt es manchmal, die sind deshalb so verbreitet und beliebt, weil in Wirklichkeit auf Island überhaupt keine Morde geschehen.
Dann ist wohl umgekehrt die hohe Mordrate in Finnland schuld daran, dass es kaum bekannte Finnlandkrimis gibt? )

Edit: Jetzt fällt mir ein, es gibt Leena Lehtolainen. Die hatte ich vergessen, weil ich mit ihren Büchern (bis auf eine einzige Ausnahme) nichts anfangen kann.
Wenn jemand einen guten Finnenkrimi kennt, gerne melden!
 
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ulrikerabe

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mich aber gerade an keinen einzigen finnischen erinnern kann
Arto Paasalinna hat ein paar schräge Geschichten am Laufen, aber nicht ausgesprochene Krimis.
Dann gibt es Lena Letholainen mit einigen Bänden zu einer Reihe

Ganz aktuell habe ich einen finnischen Krimi am reader. das Cover ist blau.....(Klein Sibirien, Antti Tuomaien)
 
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Arto Paasalinna hat ein paar schräge Geschichezn am Laufen, aber nicht ausgesprochene Krimis.
Dann gibt es Lena Letholainen mit einigen Bänden zu einer Reihe

Ganz aktuell habe ich einen finnischen Krimi am reader. das Cover ist blau.....(Klein Sibirien, Antti Tuomanien)
Danke! Lehtolainen ist mir gerade selbst noch eingefallen (siehe oben), aber außer "Ich war nie bei dir" sind ihre Bücher nichts für mich.
Tuomanien, ich werde mal gucken gehen.
 

ulrikerabe

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Renie

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"Eingeäschert" ist für mich ein entspannter (Kriminal-)Roman - natürlich abgesehen vom turbulenten und spannenden Ende. Der Plot ist gut gemacht und schürt Erwartungen an einen etwas anderen Krimi - auf alle Fälle skurril. Doch je mehr man in dem Buch vorankommt, umso mehr verliert sich die positive Einstellung.
Die Handlung plätschert vor sich hin, es gibt wenig Spannung, erst zum Ende steigt der Spannungsbogen drastisch an. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das für einen Krimi ausreichend ist. Wenn der Schauplatz nicht gewesen wäre, hätte ich diesen Roman abgebrochen - unabhängig davon, als welchem Genre zugehörig ich ihn begonnen hätte.
Neben dem Lokalkolorit, den ich sehr genossen habe, waren es die kleineren Fälle eines Detektivbüros, die neben dem Haupt-Handlungsstrang stattfanden, die mich bei der Stange gehalten haben.
Der Versuch des Autors, seinem Roman einen feministischen Anstrich zu verpassen, ist für mich missglückt und hat mir die Geschichte vermiest. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Es wird schwierig, diesen Roman zu bewerten.
 

Wandablue

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Von Islandkrimis heißt es manchmal, die sind deshalb so verbreitet und beliebt, weil in Wirklichkeit auf Island überhaupt keine Morde geschehen.
Na, das ist doch schön!!!
Es mag auch an der Kulisse liegen. Wir sehen gerade "Eingesperrt auf Island" (s.ä.) und es hat eigentlich nichts außer viel Schnee und düsteren Typen. Handlung ist nicht viel.
 

Die Häsin

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Na, das ist doch schön!!!
Es mag auch an der Kulisse liegen. Wir sehen gerade "Eingesperrt auf Island" (s.ä.) und es hat eigentlich nichts außer viel Schnee und düsteren Typen. Handlung ist nicht viel.
Die Leute, die in Island unter ungeklärten Umständen in Gletscherspalten oder im Schneesturm verschwinden, werden vermutlich nicht als gewaltsamer Tod gezählt. Das drückt die Mordrate. In einer Gletscherspalte, da fand ich meine Alte ... :rolleyes:
 
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wal.li

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Besonders der Beginn dieses Krimis hat mir gut gefallen. Da wurden ein paar schräge Gestalten eingeführt, die sich eher nicht an alle Regeln halten. So ein wenig hat sich das im Verlauf verloren. Ich hätte es auch gut gefunden, wenn sich der Autor auf vielleicht zwei "Fälle" konzentriert hätte (Simon und Mel) und die anderen Stränge für den nächsten Fall aufgehoben hätte. Trotzdem hat mir die Entwicklung der Fälle gut gefallen. Auch gut war für mich die Darstellung wie die trauernden Frauen versuchen, ihren Verlust zu verarbeiten. Wie jemand, der Frauen wirklich versteht, kam mir der Autor allerdings nicht vor.
Insgesamt hat mir der Krimi als Reihenbeginn gut gefallen, ist ja noch Luft nach oben.
 

nellsche

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1. September 2018
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Nach anfänglichen Schwierigkeiten und einem Neustart hat mir das Buch immer besser gefallen. Besonders das Ende samt Auflösungen und dem Ausblick auf eine Fortsetzung haben mir super gefallen. Einzig mit den drei Protagonistinnen bin ich immer wieder etwas durcheinander gekommen bzw. musste kurz überlegen, welche Generation sie jetzt ist.

Insgesamt bin ich sehr froh, dass ich dieses Buch lesen durfte!
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Lesefreude fast allein dastehe. Mir hat es unheimlich viel Spaß gemacht, obwohl es definitiv kein extrem spannender Krimi ist. Die Konstellation Bestattung und Detektei ging für mich auf, gepaart mit den Erlebnissen, die sich bei der Arbeit der Skelf Frauen ergab, empfand ich als sehr gelungen.
Zur Zeit tendiere ich definitiv dazu eine Fortsetzung zu lesen. Ich würde gern erfahren, ob Jenny und Liam eine Zukunft haben. Auch Archies Werdegang interessiert mich. Also wenn Schrödinger mit von der Partie ist, bin ich es wohl auch:cool:
 
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Die Häsin

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Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Lesefreude fast allein dastehe. Mir hat es unheimlich viel Spaß gemacht, obwohl es definitiv kein extrem spannender Krimi ist.
Du stehst nicht allein. Ich hätte evtl. sogar Höchstpunktzahl gegeben, wenn nicht die falsche Genrezuordnung gewesen wäre. Ich sehe das Buch wie oben erwähnt im selben Regal wie Inger Frimansson und Anne Ragde, die für mich absolute Spitzenautorinnen sind. Nur - ein Krimi ist es halt nicht wirklich und ein "Schauerstück" auch nur bedingt. Sollte es einen Folgeband geben, wird der sofort gekauft. Meine Rezi ist unterwegs, ich muss ja auch die für Perfect Day noch nachliefern, kommt alles noch diese Woche.
 

Literaturhexle

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Ich bin ja bekanntermaßen nicht so die Krimitante, finde aber an den besonderen Romanen dieses Genres durchaus meine Freude. Auch hier hat mir das Setting sehr gut gefallen: diese drei Frauen, die plötzlich den Vater verlieren und holterdipolter einen Betrieb leiten müssen, Edinburgh und seine verwunschenen Bauten, die verschiedenen Figuren (auch und besonders die aus den Nebenhandlungen) - da hat mir sehr vieles gefallen, auch wenn es lange dauerte, bis so etwas wie Spannung aufkam.

Den omnipräsenten Feminismus, die bösen Kerle; das empfand ich als übertrieben und aufgesetzt. Mich hätte da die Meinung eines Mannes interessiert. Die Frauen wirkten überfordert, teilweise übermotiviert und wenig bedacht. Aber das kann man auf die Sondersituation schieben. Im zweiten Teil erwarte ich eine Entwicklung.

Alles in allem ein netter Kriminalroman, der zum Ende hin fast zuviel Fahrt aufnimmt. An "Rauer Himmel" kommt er nicht ran aus meiner Sicht. Ich gebe 4 Sterne für "Eingeäschert".