Hier nun mein Fazit, das alles andere als kurz ausfällt. Denn mich wundert, dass hier ein wichtiger Aspekt dieses Romans - wenn nicht der wichtigste Aspekt - von euch völlig außer Acht gelassen wird: die Macht der Geschichte, Manipulation, den Leser durch eine gute Geschichte etwas glauben lassen.
In diesem Roman wird mehrfach darauf hingewiesen. Die Anmerkungen von Kate Grenville am Ende sind dann noch der Wink mit dem Zaunpfahl für denjenigen, der es partout nicht kapieren wollte.
Kate Grenville macht mit ihrem Roman nichts anderes als John Macarthur. Sie pflückt sich aus der Biografie der Macarthurs ein paar bekannte Informationen und schreibt eine eigene Geschichte drumherum, die so echt wirkt, dass der Leser darin die Biografie einer heroischen Frau sehen will, die sich gegen die "Knechtschaft" durch ihren Mann so gut es ging zur Wehr setzte, ihren eigenen Weg gegangen ist und nett zu Aborigines war. Und völlig egal, wenn die Autorin schreibt, dass die Geschichte und der Charakter der Liz ihrer Fantasie entsprungen ist. Der Leser liest diesen Roman als Biografie, nimmt für bare Münze, was Liz über sich selbst schreibt.
Doch Liz könnte genauso manipulativ wie ihr Mann gewesen sein, und man hätte die Geschichte auch anders erzählen können: zwei chancenlose Menschen, egoistisch veranlagt, vielleicht sogar psychisch nicht ganz auf der Höhe (schwierige Kindheit) bilden eine Zweckgemeinschaft, machen sich auf ins gelobte Land und bauen hier gemeinsam ein Leben in Macht und Wohlstand auf. Einzige Gemeinsamkeit zu der vorliegenden Geschichte: die beiden haben sich nicht geliebt. Aber da beide von diesem Arrangement profitiert haben, kann man über diese unwesentliche Kleinigkeit hinwegsehen. Eine respektvoller Umgang reicht aus, schließlich liebt man sich selbst genug. Und solange man den Schein nach Außen hin wahrt, ist doch alles bestens. Doch das ist etwas, was ein ich-bezogener Mensch, der auf Anerkennung aus ist, niemals in seine Memoiren schreiben würde. So stellt sich Liz für die Nachwelt eher als eine Miss Ellie dar, denn als eine Sue Ellen (die Ewings aus Dallas, für die Spätgeborenen unter uns).
Ich habe mir nochmal den englischen Wikipedia Eintrag über Liz angesehen. Dabei macht mich folgender Hinweis stutzig, weil er das Ehepaar eher als Dreamteam erscheinen lässt
While John expressed his gratitude and admiration for her ability to cope, her irregular and inadequate correspondence were of constant concern.
Als John über mehrere Jahre in England unterwegs war, hat Liz den Laden in Australien geschmissen. Die beiden haben sich geschrieben. John drückt ihr Gegenüber seine Dankbarkeit und Bewunderung für ihre Fähigkeit, mit der Situation allein fertig zu werden, aus (unser John?). Sie schreibt unregelmäßig und in ständiger Sorge. Liz hatte also Stress damit, den Laden zu schmeißen (kein Wunder), hat es aber hingekriegt. Und John wird sich auf sie verlassen haben. Die Beiden haben sich und ihrer Familie in Australien einen Namen gemacht, indem sie einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des Landes geleistet haben. Die Macarthurs waren am Ende eine mächtige und reiche Familie, wozu Liz einen erheblichen Beitrag geleistet hat, was auch später öffentlich anerkannt wurde. Nicht umsonst ist das größte Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung in New South Wales nach ihr benannt, ganz zu schweigen von ihrem Kopf auf einer australischen 5-Dollar-Münze (1995).
Doch Macht und Wohlstand erwirbt man nicht aus reiner Nettigkeit. Zuviele Skrupel sind da eher hinderlich und die Fähigkeit zu manipulieren erforderlich.
Daher kann mir Liz erzählen, was sie will. Ich kaufe ihr nicht alles ab, was sie uns glauben lassen will.
Ich halte mich also an Kate Grenvilles Aussagen zu der "Macht der Geschichte". Bevor ich nur eine Seite dieses Buches gelesen habe, bin ich über folgende Aussage aus der Verlagsbeschreibung gestolpert: "die verführerische Anziehungskraft von falschen Geschichten", die bei mir während der Lektüre dieses Romans immer im Hinterstübchen vorhanden war. Ich glaube daher einfach mal sowohl den Aussagen der Autorin als auch des Verlages. Hier wurde weder ein biografischer Roman versprochen, noch ein Roman, der in epischer Breite die Geschichte des Völkermords an den Aborigines erzählt. Der nicht-australische Leser mag auch enttäuscht sein, dass das Australien-Flair nicht so rüberkam. Aber mal ehrlich, welcher Autor hat den Anspruch, eventuelle Leser am anderen Ende der Welt über die Flora und Fauna sowie die Gebräuche des eigenen Landes aufzuschlauen. Aber im Gegenzug wird es sicherlich australische Leser geben, die sich daran stören, wenn der Roman eines deutschen Autors keine Hinweise darauf gibt, warum in Deutschland Lederhosen getragen werden und jeden Tag Sauerkraut gegessen wird.
Jetzt kommt mein Kurz-Fazit für diejenigen, denen bei meinen Ergüssen die Puste ausgegangen ist:
Ein außergewöhnlicher Roman, der mit dem Leser spielt. Das, was sich Kate Grenville vorgenommen hat, nämlich einen Roman zu schreiben, der die "Macht der Geschichte" demonstriert, hat sie großartig umgesetzt. Ich bin ihr auf den Leim gegangen, habe Liz zunächst gesehen, wie ich sie sehen sollte. Der Ausspruch von Liz Macarthur, der den Roman eröffnet und in der Anmerkung der Autorin beendet
Glaubt nicht zu geschwind
sagt alles aus.