FAZIT zu "Doppelleben"

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.442
49.880
49
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Bitte gebt uns ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.526
24.548
49
66
Ich wussie, das Sulzer gut schreiben kann, deshalb hatte ich schon einige Erwartungen an den Roman. Das Leben der Goncourts hat mich im Vorfeld dagegen weniger interessiert, mehr das historische Umfeld und die Geschichte von Rose.
Doch der Roman hat meine Erwartungen mehr als erfüllt. Wie der Autor das Schicksal des Dienstmädchens darstellt und dem Leser die beiden Brüder nahebringt, ist ganz große Kunst.
 
  • Like
Reaktionen: Lesehorizont

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.602
21.865
49
Brandenburg
Sulzers Stil hat mich sofort für das Buch eingenommen!
Ruhig, aber fließend. Harmonisch. Das mag ich.
Thematisch, der Hammer!
Ich mag historische kluge Romane.
Ich mag, wie das Zeitgeschehen eingeflochten wurde, nicht allzuviel, aber auch nicht zu wenig, so dass ich ein klares Hintergrundbild hatte.
Etwas kritisch sehe ich, dass Sulzer nicht hinreichend kenntlich macht, dass er einige Passagen aus den Büchern der Brüder quasi übernommen hat; fast eins zu eins. Er schreibt zwar, es sei fast nichts erfunden, aber dabei nimmt man an, er hätte eben die historischen Quellen gemeint, man erkennt aber nicht, dass er gleich die ganzen Beschreibungen aus anderen Romanen übernommen hat. Das ist nicht tragisch, hätte aber gesagt werden müssen. Eine Fußnote da und dort, wäre angebracht gewesen. Ich denke deshalb über einen minimalen Abzug nach.
 
Zuletzt bearbeitet:

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.036
9.661
49
Hab erstmal sacken lassen müssen. Die ganze Argumentation mit Germinie etc. hat mich doch ziemlich irritiert und meine Wahrnehmung des Buches gestört, das musste ich erstmal sortieren.

Mein Fazit: 5/5 Punkten. Ganz starkes Stück historische Literatur; ermöglicht echte Einblicke und Einfühlung in eine andere Zeit und Welt, ohne zu schönen oder zu romantisieren. Dabei sprachlich exzellent.
 

Yolande

Bekanntes Mitglied
13. Februar 2020
1.797
6.590
49
Ich bin noch etwas hin- und hergerissen. Die Sprache und der Erzählstil von Sulzer ist top. Der Titel "Doppelleben" ist wirklich doppelt gemeint, einmal die beiden Brüder die ein gemeinsames Leben führen und alles zusammen (also gedoppelt) erleben, dann Rose mit ihrem zweiten geheimen Privatleben. Was mich störte, ist die Überzeichnung der Figur von Rose, da sehe ich doch auch eher die literarische Vorlage der Brüder als ein "echtes" Leben.
Insgesamt war es ein interessanter Ausflug in die Welt verschiedener Gesellschaftsschichten des 19. Jahrhunderts.
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.570
9.714
49
53
Mainz
Ich habe zuvor noch nishts von Sulzer geleen und hatte auch keine bestimmte Erwartungshaltung. So konnte ich mich einfach in die Geschichte hinein fallen lassen. Ich lese nicht viel Historisches, aber hier ist es ja "wohl dosiert". Die Geschichte hat mich sehr gepackt und der Sprachstil Sulzers gefällt mir.
Mal sehen, ob und was ich noch von ihm lesen könnte (allerdings mit zeitlichem Abstand).
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.620
16.624
49
Rhönrand bei Fulda
Ich bin noch etwas hin- und hergerissen. Die Sprache und der Erzählstil von Sulzer ist top. Der Titel "Doppelleben" ist wirklich doppelt gemeint, einmal die beiden Brüder die ein gemeinsames Leben führen und alles zusammen (also gedoppelt) erleben, dann Rose mit ihrem zweiten geheimen Privatleben. Was mich störte, ist die Überzeichnung der Figur von Rose, da sehe ich doch auch eher die literarische Vorlage der Brüder als ein "echtes" Leben.
Insgesamt war es ein interessanter Ausflug in die Welt verschiedener Gesellschaftsschichten des 19. Jahrhunderts.
Ich sehe das auch etwas problematisch. Sulzer hat diese "Fakten" natürlich aus dem Roman entnommen; wir wissen aber, dass sie zum Teil Fiktion sind (weil, darüber sind wir uns ja einig, Dinge geschildert werden, die die Goncourts nicht gewusst haben können). Ist das überhaupt legitim in einem "historischen Roman"? Hätte er nicht eher erzählen müssen, was gesichert ist - bzw. (was ich überhaupt vermisse) den Schaffensprozess etwas näher erläutern und dafür Roses Geschichte auf die Tatsachen beschränken?

Nehmen wir mal an, ich wäre eine bekannte Schriftstellerin und schreibe einen Roman über einen Flat-Earthler, inspiriert von meinem Nachbarn. Mein Nachbar ist selbstverständlich kein Flat-Earthler, ich übernehme nur einige seiner Charaktereigenschaften und gebe meiner Hauptfigur selbstverständlich auch einen anderen Namen. Ist es legitim, wenn zweihundert Jahre später ein Autor daherkommt, einen historischen Roman über mich schreibt und da hineinschreibt, mein Nachbar, diesmal mit Realnamen, sei Flat-Earthler gewesen? Das ist natürlich ein überspitztes Beispiel, aber es zeigt hoffentlich, worum es mir geht.
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.639
4.794
49
62
Essen
Irgendwie musste ich bei der Lektüre immer wieder an die kurz zuvor laufende Leserunde zu "Treue" denken, ein Buch, in der verschiedene Versionen ein und derselben Lebensgeschichte nebeneinander gestellt werden. Und hier hat sich nun Sulzer gemüßigt gefühlt, die Geschichte der Rose, die die Goncourts schon für ihren Roman "Germinie Lacerteux" genutzt haben, noch einmal zu erzählen. War das notwendig und eine gute Idee? Dazu kann ich mir kein Urteil erlauben, denn ich kenne den Roman der Goncourts nicht. Aber ich wage mal zu bezweifeln, dass Sulzer selber in der Schaffung einer neuen Version genügend Potential für seinen Roman gesehen hat, denn er konzentriert sich nur in Teilen des Romans darauf und "kopiert" in den anderen Teilen wohl irgendwie die Goncourts, indem er deren eigenes Leben zu einer Romanbiographie macht und so den literarischen Kunstgriff verwendet, wie ihn auch die Goncourts verwendet haben. Macht Sulzer das gut? Dazu fehlt mir für ein richtiges Urteil die Grundlage. Dazu müsste der Leser Goncourts-Spezialist sein oder werden. Das trifft auf mich nicht zu und wird auch nicht zutreffen.
Ich kann deshalb den Roman nur auf der Basis beurteilen, ob er mein Interesse und meine Leselust wecken konnte. Antwort: ja und nein. Solange die Biographie den zusätzlichen Touch eines Gesellschaftsromans hatte und die Unterschiede in der Gesellschaft des damaligen Frankreichs darstellte, fand ich den Roman sprachlich und von der Konstruktion her sehr gelungen, die reine biographische Aufarbeitung der beiden Goncourts, die sich in ihrem ererbten Reichtum und mit einer (sorry) überschaubaren, aber selbst sehr hoch gewichteten Talentpalette daran laben, Zugang zu hohen Kreisen zu haben, da hat mich der Roman meist ziemlich schnell verloren.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.442
49.880
49
Danke, Anjuta, für deine gewohnt präzise Stellungnahme! Ich kann es noch nicht in Worte fassen, aber du hilfst mir weiter. Den letzten Teil habe ich als unglaublich zäh empfunden. Ich sehe da Wiederholungen zum ersten Teil. Die Krankengeschichte Jules' vor und zurück. Das hat mich verloren. Und dich offenbar auch.
Dazu diese zwei konträren Seiten von Rose. Sich auf der Straße anbieten? Unerkannt? Ohne dass es Tratsch gab, der den Dienstherren zugetragen worden wäre? Hm. Oder doch Männerfantasien (mein Vorschlag)?

Ich brauche noch etwas Zeit für ein endgültiges Fazit. Aber 5 Sterne werden es nicht.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.620
16.624
49
Rhönrand bei Fulda
Mir hat sehr vieles an dem Roman gefallen - die Darstellung des Zusammenlebens; wo die Brüder harmonierten und wo sie unterschiedlicher Meinung waren. Worüber sie offen sprachen und worüber nicht. Auch die persönliche Krise, die mit der Offenlegung von Roses "Doppelleben" einherging - die Selbstzweifel an der eigenen Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis - fand ich überzeugend dargestellt.
Was mir, wie bekannt, nicht so gut gefallen hat, ist die Erzählform mit dem langen Einschub über Rose. Für Leser, die "Germinie" nicht kennen, mag es hingehen. Aber gerade dadurch, dass Sulzers Darstellung sich den Anschein der Authentizität und Vollständigkeit gibt, entsteht ein, wie ich finde, schiefes Bild. Mich hätte es auch interessiert, mehr darüber zu hören, wie die beiden Brüder den Roman über Germinie gemeinsam geplant und entwickelt haben.

Insgesamt ist mein Eindruck aber positiv. Eigentlich geht es in dem Buch ja um Verdrängung - das Leugnen dessen, was ins Auge springen sollte.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.526
24.548
49
66
Meiner Ansicht nach hat Sulzer durch die parallele Handlung etwas Neues geschaffen. Ersten stellt er die Klassengesellschaft dieser Zeit sehr gut dar, zum anderen zeigt er auf, wie wenig wir manchmal über Menschen in unserer nächsten Umgebung wissen. Dabei hat er mit den Brüdern Protagonisten die sich gerade auf ihre Beobachtungsgabe und ihren seziererischen Blick was einbilden.
Außerdem: Wer von uns wüsste viel über die Goncourts und diesen längst vergessenen Roman?
Ich kann eure Vorbehalte nicht nachvollziehen.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.620
16.624
49
Rhönrand bei Fulda
Außerdem: Wer von uns wüsste viel über die Goncourts und diesen längst vergessenen Roman?
Ich kann eure Vorbehalte nicht nachvollziehen.
Naja, über die Goncourts weiß ich nicht eben viel. Aber ich kenne "Germinie" und sehe die Differenzen. Wie zum Beispiel seitenlang dabei verweilt wird, dass Germinie hoffnungslos hässlich ist, aber Wert darauf legt, sich gepflegt zu kleiden - mit einem weißen Kragen, der einen Widerschein auf das Gesicht wirft und "den ganzen Menschen sauber erscheinen lässt" (ich zitiere aus dem Gedächtnis, es ist eine sehr anrührende Passage). Oder auch, wie sie sich in einem verachtungsvollen Ausbruch weigert, für Gautruche "ihr Fräulein" zu verlassen (ihre Dienstgeberin). Und das Ende, als diese Dienstgeberin an Germinies Sterbebett sitzt und alle Gläubiger des Viertels ziehen vorbei, worauf sich die alte Dame überhaupt keinen Reim machen kann ...

Mir fehlt da einfach ein wenig Differenzierung. Es gibt so vieles, was in "Germinie" steht und bei Sulzer eben nicht oder anders steht, und ich hätte mir ein wenig mehr Verweilen bei dem Schaffensprozess gewünscht, wie Rose zu Germinie wurde.

Aber ist schon okay, wir kommen da nicht zusammen - mir ist schon klar, dass Leserinnen, die Germinie nicht kennen, das anders sehen werden; und das sind naturgemäß die Leserinnen, die Sulzer im Blick hatte. Meine Rezension kommt morgen, ich gebe vier Sterne.
 
Zuletzt bearbeitet:

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.526
24.548
49
66
In der Sendung Kulturzeit auf 3sat spricht Ursula März über den Roman:
Es ist der dritte Beitrag.

In der gleichen Sendung geht es um den Roman

Buchinformationen und Rezensionen zu Isidor: Ein jüdisches Leben von Shelly Kupferberg
Kaufen >
Hier ist es der 6. Beitrag.
 

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.874
14.823
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ich hatte sehr hohe Erwartungen an den Roman, die aber nur teilweise erfüllt wurden. Sehr gut gefallen hat mir die Sprache, die der Zeit angenähert ist, und der ruhige Erzählfluss, der zum Charakter der beiden Goncourts passt. Erhofft hatte ich mir mehr über den gemeinsamen Schreibprozess, das Werk der Brüder, ihre literarischen Zirkel, überhaupt die Orte, an denen sie sich die Anregungen für ihre berühmten Tagebücher geholt haben. Mehr als den Salon der Prinzessin lernen wir nicht kennen, das kann es aber sicher nicht gewesen sein. Ich bin nicht enttäuscht, aber auch nicht hellauf begeistert.

Mit dem Wissen, das ich jetzt habe, würde ich vielleicht eher den Originalroman "Germinie L." plus eine Biografie über die Brüder lesen. Ob ich das zusätzlich noch mache, weiß ich nicht.

Ich bin @Die Häsin sehr dankbar, dass sie das Wissen über den Originalroman mit uns geteilt hat, das war sehr interessant!

Hängen bleiben bei mir zwei recht skurrile Schriftsteller-Brüder, berühmt für ihre genaue Beobachtungsgabe und ihren Verstand, die einerseits blind für die Vorgänge im eigenen häuslichen Umfeld, andererseits in Bezug auf Krankheit perfekte Verdränger oder Leugner waren.

Sehr interessant waren für mich die detailliert geschilderten Symptome der Syphilis, auch wenn es mir gegen Ende etwas zu ausführlich wurde.

Trotz dieser Kritik hat sich die Lektüre gelohnt. Meine Rezension folgt in den nächsten Tagen, es werden solide 4 Sterne.
 
Zuletzt bearbeitet: