FAZIT zu "Die Beichte einer Nacht"

Literaturhexle

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2. April 2017
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Wie hat euch der Roman gefallen? Habt ihr das Nachwort von Judith Belinfante als hilfreich empfunden?
Bitte schreibt hier ein spontanes, erstes Fazit zum Buch.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Mir hat der Roman richtig gut gefallen!

Die Schilderungen der Armut im Elternhaus, der Rolle ihrer Mutter als sich unterordnende Gebärmaschine, der Vater als tyrannischer Despot... Das alles empfand ich als zutiefst deprimierend.

Der weitere Verlauf der Lebensbeichte las sich wesentlich leichter. Über weite Strecken war ich beeindruckt von der Stärke dieser Frau, die sich die Konventionen ein Stückweit zunutze macht, eigene Entscheidungen trifft und sich auf diese Weise auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben bewegt. Ihre Ehe mit Charles hätte sie wohl besser gelassen und sich stattdessen lieber auf ihre eigene Kraft besonnen. Aber vielleicht war das seinerzeit auch nur eingeschränkt möglich. Außerdem darf man dem Reiz des großen Geldes und Status auch mal erliegen...

Es erscheint nachvollziehbar, wie diese einst starke, widerspenstige Frau gebrochen wurde. Die Erziehung und das Elternhaus wirken doch lange nach, man kann das nicht abschütteln.

Der Monolog als Stilmittel hat mich beeindruckt, er war so herrlich konsequent, man kann tief in diese kranke Seele eintauchen. Der Blick wird nicht durch andere Perspektiven verstellt. Ein sehr berührendes (ich hasse diese Vokabel, aber hier passt sie) Ende: Die so distanziert wirkende Schwester weint und betet.

Wie nicht anders zu erwarten, gibt das Nachwort der Enkelin Aufschluss, dass die Autorin vieles aus eigenem Erleben mit in ihren Roman eingeflochten hat. Auch 90 Jahre nach dem Ersterscheinen, empfinde ich den Roman noch als äußerst lesenswert. Ob ich nun 4 oder 5 Sterne gebe - da muss ich noch ein bisschen überlegen. Aber die Lektüre war extrem außergewöhnlich und fesselnd, ich neige zum Aufrunden;)
 

Anjuta

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8. Januar 2016
1.639
4.792
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62
Essen
Mich hat die Beichte von Heleen über das ganze Buch hinweg sehr gefesselt und interessiert. Ein tolles, interessantes Buch, das durch die im Nachwort gegebenen Hintergrundinfos zur Autorin noch einmal mehr an Glanz und Bedeutung für mich zu gewinnen vermag. Es ist ein wieder ausgegrabenes Werk, das eine weibliche Schriftstellerin geschrieben hat, die sich mitten drin befand im Kampf um Frauenrechte und um eine Gleichstellung, die wir zwar auch heute noch immer nicht erreicht haben, aber doch an einem Standpunkt sind, wo uns schon vieles mehr offen steht als unseren Vorgängerinnen.
Eine tolle Wiederentdeckung!
 

RuLeka

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30. Januar 2018
6.518
24.507
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66
Die Ich- Erzählerin ist eine Protagonistin, die man nicht so schnell vergisst. Sie ist keine Frau, die man ins Herz schließt, kein Opfer, das man bedauert. Das will sie auch selbst nicht. Im Gegenteil, sie betont immer wieder, dass niemand Schuld trägt an ihrem Schicksal, dass sie frei ihre Entscheidungen getroffen hat.
Es nötigt einem Respekt ab, wie zielstrebig sie ihren Lebensweg gegangen ist, wie sie sich aus ihrem Milieu hochgeschafft hat. Dabei waren die Möglichkeiten für Frauen zu dieser Zeit sehr viel schwieriger als heute.
Doch ich frage mich, was ist die Ursache für ihr späteres Unglück. Warum kann sie in ihrer Ehe nicht glücklich sein? Woher kommt die krankhafte Eifersucht, die alles zerstört?
Sie sitzt ja am Ende nicht wegen Mord oder besser Totschlag im Gefängnis, sondern in der Psychiatrie.
„ Die Beichte einer Nacht“ ist kein Roman, der Freude macht beim Lesen. Zu beklemmend die Geschichte, zu schrecklich der Ausgang.
Das Buch wirkt sehr modern. Das Psychogramm einer faszinierenden Frau.
Das Nachwort ist hilfreich, weil es einiges Wissenwertes über eine uns heute völlig unbekannte Autorin bietet. Marianne Philips scheint eine aufgeschlossene Frau gewesen zu sein, die sich einerseits politisch engagiert hat, gleichzeitig aber auch sich mit den Abgründen der weiblichen Psyche beschäftigt hat. Interessant ist ebenfalls, dass das Schreiben an diesem Buch Teil ihrer eigenen Therapie war.
Fazit: eine lesenswerte Wiederentdeckung!
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
querleserin.blogspot.com

Barbara62

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19. März 2020
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14.817
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ich stimme euch voll zu. Auch mich hat die Beichte gefesselt und die Erzählform begeistert. Eine wirklich lohnende (Wieder?)Entdeckung einer Autorin, zu der es noch nicht einmal einen deutschen Eintrag bei Wikipedia gibt. Wenn ich es richtig verstehe, wurde der Roman zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt? Eigentlich völlig unverständlich und sehr schade! Ich würde Marianne Philips auf eine Stufe mit Tove Ditlefsen setzen, eine Zeitgenossin aus Dänemark und ebenfalls erst jetzt so richtig in Deutschland entdeckt.

Ich neige zu 5 Sternen, aber ich muss noch drüber schlafen.
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Dies war mal wieder ein Roman ganz nach meinem Geschmack. Ich hätte nicht erwartet, dass dieser Monolog mich über so viele Seiten fesseln kann. Des weiteren fasziniert mich die Tatsache, dass der Roman schon vor langer Zeit geschrieben wurde. Die Psychatrie steckte ja quasi noch in den Kinderschuhen, dennoch bringt die Autorin vieles an am Beispiel der Protagonistin. Klasse gemacht
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ich muss aus der Reihe tanzen, denn ich teile eure Begeisterung leider nicht. Die Thematik finde ich sehr interessant, die Grundidee, der Nachtschwester zu beichten, auch.

Für mich kam bei dieser eitlen, oberflächlichen und manipulativen Protagonistin aber kein Mitgefühl auf. Meine Sympathie war schnell verflogen, mein Verständnis für sie ebenso. So konnte mich das Ende nicht mehr berühren.
Zudem ist die Geschichte für mich zu durchsichtig: Dass sie ihre eigene Schwester aus Eifersucht getötet hat und zwar wegen eines Mannes namens Hannes, das war mir schon nach der ersten Erwähnung der Namen klar. Der Weg dorthin ist auch nicht fesselnd genug erzählt, als dass mich das nicht gestört hätte. Nur der Unfalltod von Hannes hat mich überrascht. Die Séance hat diesen Pluspunkt aber dann wieder zunichte gemacht.
Die Umsetzung, der Monolog, ist Geschmacksache. Sprachlich hat es der Roman aber für mich wegen etlicher Wiederholungen auch nicht herausgerissen.

Man muss natürlich berücksichtigen, dass der Roman schon vor so vielen Jahren, noch dazu von einer Frau verfasst wurde und dass es damals ungewöhnlich war, so offen über solche Dinge zu schreiben. Das rechne ich der Autorin hoch an. Trotzdem bin ich insgesamt eher enttäuscht.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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49
60
Ein wenig bin ich hin- und hergerissen was ich von dem Buch halten soll. Vieles hat mich doch verwirrt, gerade was ihre Vorstellungen von ihren Ehemännern und sich selbst anbetraf. Doch wahrscheinlich ist das ihrer psychischen Krankheit geschuldet, das sie alles so negativ gesehen hat. Dazu kommt noch die nicht gerade einfache Kindheit, bei der sie doch viel zu früh Erwachsen und Verantwortung zeigen musste.
Allerdings geht es mir auch so wie milkysilermoon, das ich wenig Empathie für Heleen hatte. Auch der Mord von Lientje hat mich schlussendlich nicht mehr überrascht, den mir war klar das ihre krankhafte Eifersucht irgendwann zu einem Unglück führen würde. Hannes Unglück dagegen war dann eher nicht vorhersehbar, doch er hätte genauso gut das Opfer von Heleen werden können.

Was ich nun von dem Buch mitnehmen kann, ist mir ehrlich gesagt noch nicht ganz klar. Man merkt der Geschichte schon teilweise an, das sie einige Jahre auf dem Buckel hat, auch wenn manches sicherlich heute noch genauso passieren könnte.

Die Seance hätte ich ehrlich gesagt auch nicht gebraucht, mir wäre es lieber gewesen wenn sie es irgendwie anders herausgefunden hätte. Den ich halte von solchen Geisterbeschwörungen gar nichts und richtig passt es auch nicht zu einer Frau die christlich erzogen wurde.

Die Eltern dagegen, also der Vater als Despot und die Mutter als Gebärmaschine wie Literaturhexle sie nennt konnte ich gut nachvollziehen. Zum einen waren viele Kinder zu der Zeit wirklich noch eine Altersversorgung gewesen. Zudem waren sie Christen und da war Verhütung mehr als verpöhnt und von daher viele Kinder völlig normal sah man sie doch als Geschenk Gottes an.
Für mich plätscherte die Geschichte zu lange so vor sich hin, was sicherlich mit an dem einzigen Dialog lag. Von daher hätte ich es besser gefunden wenn noch jemand anderes und wenn es nur ab und zu gewesen wäre zu Wort gekommen wäre.

Ich muss ehrlich gesagt noch ein bisschen überlegen wie meine Rezension ausfallen wird. Hatte ich doch mal wieder ein wenig andere Vorstellungen von dem Buch. Vielleicht liegt es auch daran weil ich generell solche ältere melancholische Literatur einfach zu selten lese.
 
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