FAZIT zu "Der Zauberer"

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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Danke für das Interview, das ist eine interessante Ergänzung. Der Zauberer - der Zögerer, denn auch das bekannte Zögern Thomas Manns, wenn es um öffentliche Stellungnahmen zu Deutschland ging, dieser Grat zwischen Liebe zu seiner Heimat Deutschland und der Erschütterung darüber, was dort in der Nazizeit passiert, der spätere Besuch in München, Weimar und Lübeck, die Fassungslosigkeit, wie die Menschen einfach so weitermachen konnten, das alles kommt in diesem Roman zur Sprache, aber ohne wertend erhobenen Zeigefinder (die Gedanken von Thomas Mann zum München nach dem 2. Weltkrieg sind schon sehr drastisch, aber wohl aus den vorliegenden Quellen übernommen). Vielmehr überlässt es der Autor uns Lesenden, unsere eigenen Überlegungen anzustellen. Man merkt die genauen Recherchen und die umfassende Quellenlektüre. Ich hatte mich bisher mehr mit Klaus und Erika Mann beschäftigt, aber dieses Buch regt zu weiterer Lektüre an. Eine Rezension werde ich frühestens morgen schreiben, jetzt lasse ich mal wirken.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
1.635
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Essen
Ich habe mich während der intensiven Lektüre oft gefragt, ob ich nicht lieber reine Fiktion gelesen hätte, statt in dem ständigen Spiel gefangen zu sein: War das wirklich so? Hat er das wirklich gesagt bzw. gemacht?
Aber - trotz dieser zweifelnden Frage von Beginn an in der Lektüre positiv gefangen, hat mich das Romankonzept gerade im hinteren Teil durchaus überzeugt: Diese Verflechtung von persönlichem Schicksal und nationalem Schicksal ist an der Figur Thomas Manns hier überzeugend und mit einer tiefen, ruhigen Sprache, die sich Mann sicher zum Vorbild nimmt, gelungen und ich hatte sehr viel Freude an dem bunten Kosmos der unterschiedlichen Manns, die um das Gestirn Thomas herumschwirren, von ihm in Bann gehalten und immer mal wieder auch deutlich abgestoßen werden. 5 Sterne für dieses Leseabenteuer!
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich habe mich bislang eher mit dem Werk Thomas Manns beschäftigt als mit seinem Leben. Insofern fand ich es superspannend, etwas über die biografischen Bezüge zu erfahren, die in seinen Romanen verarbeitet wurden.
Vor dem Hintergrund geschichtlicher Ereignisse (die mit zunehmender Lektüre immer mehr in den Vordergrund rücken) wird die private Familie Mann vorgestellt, allen voran die ältesten Kinder Klaus und Erika, die ihren Vater immer wieder (heraus-)fordern.

Die Kinder scheinen Thomas Mann als abwesenden Vater wahrgenommen zu haben, dem sein Schaffen über alles ging. Der Roman weicht davon in Teilen ab. Auf mich wirkt T.M. zwar abwesend, aber nicht hartherzig. Schließlich hat er seine Kinder lebenslang finanziell unterstützt.

Sehr informativ auch die politischen Aktionen des Nobelpreisträgers. Vieles war mir davon noch nicht bekannt. Die Spannungsfelder, in denen er sich befand, werden sehr klar herausgearbeitet. Mann war ein Mann von Prinzipien.

Wenig anfangen konnte ich mit den homoerotischen Phantasien, die immer wieder eingestreut und T.M. in den Kopf gelegt wurden. Ich verstehe die Intention des Autors, allerdings sollte Sexualität etwas Privates sein. Ob Mann mit seinen 6 Kindern tatsächlich durch und durch homosexuell war und ständig an junge Männer dachte, wage ich zu bezweifeln. Doch dieser letzte Punkt wirft für mich nur einen kleinen Schatten auf das Gesamtkonstrukt des Romans, der mich alles in allem sehr gut unterhalten hat und durch den ich viele neue Einsichten bekommen habe.
Ich denke, dass es auch bei mir auf 5 gerundete Sterne hinauslaufen wird.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
4.048
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50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Ich kann mich den positiven Meinungen nur anschließen. Ich habe mich bisher intensiv mit einigen der Werke von Thomas Mann auseinandergesetzt und dadurch auch zwangsläufig mit seiner Biographie. Trotzdem habe ich noch vieles dazugelernt, auch wenn manches Fiktion ist, wobei das eher die Gespräche betreffen wird. Sehr interessant fand ich seine Rolle vor/im/ nach dem 2.Weltkrieg und seine Vereinnahmung durch die Politik. Das hat Toíbín ebenso wie Manns Rolle als Vater anschaulich herausgearbeitet. Ich kann den Roman jedem, der etwas über das Leben dieses Autors erfahren will (und auch allen anderen ;) ) nur ans Herz legen. Zudem liest er sich flüssig und wartet mit einer Sprache auf, die an Thomas Mann angelehnt ist.
Von mir gibt es 5 Sterne!
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich habe viele Dinge erfahren, die ich nicht wusste. Das ist auf alle Fälle positiv.
Einmal komprimiert durch Thomas Manns Leben. Ist nicht einfach diese Aufgabe.

Ein bisschen ist mir Der Zauberer entzaubert worden. Dass alle seine Romansujets einen so unmittelbaren Bezug zu seiner Umwelt hatten, war mir nicht bewusst. Ich empfinde dies als Entzauberung. Und dass er seinen Enkel als Vorbild nahm für die Darstellung eines entsetzlichen Kindssterbens finde ich als unglaublich unsensibel.
Na egal, ich wusste fast gar nichts von Thomas Manns Leben. Das hat sich geändert. Danke dafür. Aber als Mensch bin ich ihm kein Stück näher gekommen.

Meine Rezension werde ich noch streuen.
 
Zuletzt bearbeitet:

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ein bisschen ist mir Der Zauberer entzaubert worden. Dass alle seine Romansujets einen so unmittelbaren Bezug zu seiner Umwelt hatten, war mir nicht bewusst. Ich empfinde dies als Entzauberung.
Ich glaube, dass die meisten Schriftsteller ihre Umgebung „ ausbeuten“ und alles, Menschen, Ereignisse usw. für ihr Werk benutzen. Nur aus dem Inneren schöpfen bringt wahrscheinlich nicht so viel.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ein bisschen ist mir Der Zauberer entzaubert worden. Dass alle seine Romansujets einen so unmittelbaren Bezug zu seiner Umwelt hatten, war mir nicht bewusst. Ich empfinde dies als Entzauberung.
Das nun wiederum wunderte mich überhaupt nicht, ich habe es mehr oder weniger erwartet. Vielleicht nicht gerade, dass die Anlehnung an erlebte Wirklichkeit sich bis auf den Guten und den Schlechten Russentisch erstreckt - aber dass ein Autor das Inventar des Erlebten "verbaut", halte ich für gängig.
Und dass er seinen Enkel als Vorbild nahm für die Darstellung eines entsetzlichen Kindssterbens finde ich als unglaublich unsensibel.
Das ist ein so typischer Künstlerroman-Topos, dass ich in diesem Fall wirklich gern wüsste, ob es so passiert ist.
Es gibt in Emile Zolas Roman "Das Werk" (der an die Laufbahn des Malers Cézanne angelehnt ist) eine Szene, als der im Mittelpunkt stehende Maler sein eigenes kleines Kind auf dem Totenbett malt (während die weinende Mutter daneben sitzt) und das Porträt zu einer Ausstellung einsendet ...

Mir ist erst gestern aufgefallen, als ich anfing, meine Rezi zu schreiben (bin noch nicht fertig), welche ungeheure Fülle an Stoff dieses Buch verarbeitet. Nicht nur Thomas Manns Schicksal, auch das der ganzen vielköpfigen Familie und des näheren Umfelds wird uns nahegebracht. Dazu ein Zeit- und Sittenbild, das zum Verständnis erheblich beiträgt, und schließlich werden wir am Rande noch ermuntert, mal wieder Thomas Mann zu lesen. Bei mir hat es jedenfalls funktioniert. Chapeau! Ich hätte ein paar kleine stilistische Einwände - ein bisschen trocken ist das Ganze ausgefallen, wie Wanda schrieb -, aber das ist möglicherweise genauso beabsichtigt. Könnte ich mir jedenfalls vorstellen. Ich denke noch etwas darüber nach.

Was anderes noch, da ich gerade dabei bin, zum Thema "Tod in Venedig".
Ich habe - ich glaube, im letzten Leseabschnitt - die Frage in die Diskussion geworfen, warum Thomas Mann für die Figur des Tadzio kein Mädchen gewählt hat. Ob das möglicherweise deshalb war, damit die straighten Leser gerade nicht denken, Aschenbachs Interesse wäre ein sexuelles.
Gestern abend habe ich mir das Buch nochmal vorgenommen und quergelesen, wie Tadzio beschrieben wird. Da hätte Mann unmöglich eine Mädchenfigur dafür wählen können. Das Besondere an Tadzio ist, neben seiner Schönheit, gerade der Umstand, dass er erheblich mehr persönliche Freiheit zu genießen scheint als seine Schwestern. Diese werden als geradezu gepanzert beschrieben, mit steifer Kleidung und an den Kopf geklebten Haaren, während der schöne Tadzio im Höschen am Strand herumtollt und mit Kameraden rauft. Undenkbar, das andersherum zu schreiben, jedenfalls zur damaligen Zeit. Es wirft aber auch ein bezeichnendes Licht auf die Vorstellungen von Mädchen- und Jungenerziehung.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Bevor ich hier ein ausführliches Fazit schreibe; nur mal vorab:
Ich werde diesen Roman auf jeden Fall in meinem Lesekreis vorstellen und als Weihnachtsgeschenk empfehlen . Zum einen weiß ich, dass es unter den Teilnehmern viele Thomas Mann- Leser gibt, zum anderen kennen alle den Autor Colm Tóibín ( wir haben seinen Roman „ Nora Webster“ vor einigen Jahren besprochen). Außerdem haben wir gemeinsam „Königsallee“ von Pleschinski gelesen. Da ist es auf jeden Fall interessant, den Blick eines anderen Schriftstellers auf Thomas Mann zu haben.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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welche ungeheure Fülle an Stoff dieses Buch verarbeitet.
Sehr gut zusammengetragen.
Hinzu kommen auch noch die anderen Manns und ihr Umfeld.
Bei mir hat es jedenfalls funktioniert
Bei mir auch!
ein bisschen trocken ist das Ganze ausgefallen, wie Wanda schrieb -
Das ist aus meiner Sicht der Tribut an den trockenen, preußisch geprägten Thomas Mann. Der war doch spröde bis in die Knochen;)
Auch im Stil hat sich Toibin ein bisschen an den Zauberer angepasst, will mir scheinen.
Undenkbar, das andersherum zu schreiben, jedenfalls zur damaligen Zeit. Es wirft aber auch ein bezeichnendes Licht auf die Vorstellungen von Mädchen- und Jungenerziehung.
Super, dass du dieser Überlegung nachgegangen bist. Stimmt alles! Wenn ein Mann ein Mädchen so en detail beschreiben würde, hätte es gleich einen Beigeschmack, während Homoerotik für das breite Publikum wahrscheinlich gar nicht präsent war, so wie sie damals im Verborgenen gehalten wurde.
 

Wandablue

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18. September 2019
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21.149
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Brandenburg
Die Sache mit der Entzauberung ist wohl meine Privatproblematik. Ging mit ganz genauso als ich eine Ausstellung besuchte, die thematisch ausgerichtet war. Da waren Bilder von Tanzenden und Bars und Lokalen - und Clowns und Alleen und whatsoever. Und mir ging auf, dass die Leuts einfach nur gemalt haben, was sie gesehen haben. Entzauberung. Obwohl immer noch bleibt, wie sie es gemalt haben.

Ja, ist mir klar, dass kein Schriftsteller alles aus sich heraus holt - und selbst wenn - es ist durch seine Umgebung dort hineingeraten. Aber bei der Schilderung von Tóibín schien es doch so, als ob die Eindrücke so unmittelbar auf seiner Umgebung beruhten. Na ja, es ist, wie es ist. Vllt hätte das Buch "Entzauberung" heißen sollen :D.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Wenn ein Mann ein Mädchen so en detail beschreiben würde, hätte es gleich einen Beigeschmack, während Homoerotik für das breite Publikum wahrscheinlich gar nicht präsent war, so wie sie damals im Verborgenen gehalten wurde.
(Ich weiß nicht, ob es hier so erwünscht ist, dass ich vom "Tod in Venedig" rede - wenn nicht, fahrt mir einfach über den Mund ...)
Wollte dazu noch sagen: Es ist gar nicht so viel von den Vorstellungen klassischer Schönheit die Rede, wie griechische Nase, hohe Stirn, zarte Haut, bla bla ... sondern erwähnt wird immer wieder die unbewusste Anmut der Bewegung, unbewusste lockere Pose im Sitzen oder Stehen etc. ... und genau aus diesem Grund wäre ein Mädchen nicht in Frage gekommen, da Mädchen in dieser Zeit, jedenfalls in der bürgerlichen Gesellschaft, viel früher zur Bewusstheit in der Bewegung erzogen wurden: sie hatten mehr still zu sitzen, durften nicht rennen, die Augen niederschlagen usw. usw., während bei Jungen die Erziehung zur Selbstkontrolle in wahrsten Wortsinn lockerer gehandhabt wurde. Mädchen, die im kurzen Hemd und nackten Beinen liefen und im Sand rumkullerten, waren "Naturkinder" und kamen eher in den bäuerlichen Schichten vor. Vielleicht hätte Aschenbach so ein Mädchen gefunden, an das er sich hätte hängen können, wenn er statt nach Venedig in die Abruzzen gefahren und dort einer Ziegenherde nachgegangen wäre ... Wenn man will, kann man den "Tod in Venedig" in diesem Sinn sogar feministisch lesen ... jetzt bin ich aber still, wir sind ja eigentlich bei einem anderen Buch.

Feine Begleiterscheinung von Tóibíns Buch jedenfalls, dass er zum Mann-Lesen anregt! Bei mir hat es funktioniert! :D
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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Feine Begleiterscheinung von Tóibíns Buch jedenfalls, dass er zum Mann-Lesen anregt! Bei mir hat es funktioniert! :D
Bei mir stapeln sich jetzt: Buddenbrooks (Bestand aus dem Regal), und als Neuzugang: Der Zauberberg, Viktor Mann: Wir waren fünf, Erika und Klaus Mann: Escape to life Deutsche Kultur im Exil, auf dem Kindle lese ich zwischendurch in der Sammlung aller Werke von Klaus Mann, und Doktor Faustus steht auch auf meiner "Einkaufsliste". Bitte keine Bücher wie dieses mehr, das ist dramatisch für meine SUB! Mein kommendes Lesejahr wird, mit einigen Ausnahmen (Mai 2022 Sibylle Berg, RCE, das muss sein) der Klassik gewidmet sein und dem vorhandenen Ungelesenen :-D
 

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28. Oktober 2018
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Ich werde diesen Roman auf jeden Fall in meinem Lesekreis vorstellen und als Weihnachtsgeschenk empfehlen .
Ich wurde auch bereits in einer FB Gruppe gefragt, ob der Roman als Geschenk für einen Thomas-Mann-Fan geeignet sei, habe ich sofort bestätigt und empfohlen, mit dem Hinweis, dass es ein biografischer Roman ist. Generell bin auch ich überzeugt, dass gerade biografische Romane wie dieser dazu führen, dass Lesende sich dann auch für die Künstler und Künstlerinnen interessieren, die jeweils im Mittelpunkt stehen.
 

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28. Oktober 2018
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Na egal, ich wusste fast gar nichts von Thomas Manns Leben. Das hat sich geändert. Danke dafür. Aber als Mensch bin ich ihm kein Stück näher gekommen.
Für mich war er schon immer etwas auf Distanz, ernst, darum habe ich , wie schon erwähnt, mehr mehr von und über Erika und Klaus Mann gelesen. Meiner Meinung nach kann man Thomas Mann als Mensch gar nicht noch näher kommen, als hier gerade mit diesem Roman.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich wurde auch bereits in einer FB Gruppe gefragt, ob der Roman als Geschenk für einen Thomas-Mann-Fan geeignet sei, habe ich sofort bestätigt und empfohlen, mit dem Hinweis, dass es ein biografischer Roman ist. Generell bin auch ich überzeugt, dass gerade biografische Romane wie dieser dazu führen, dass Lesende sich dann auch für die Künstler und Künstlerinnen interessieren, die jeweils im Mittelpunkt stehen.
Es sollten natürlich keine Thomas Mann- Verehrer sein, die ihr Idol auf ein Podest stellen.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Aber als Mensch bin ich ihm kein Stück näher gekommen.
Das ist bei mir anders. Ich konnte auch über die Person Thomas Mann sehr viel lernen und erfahren in diesem Roman. Es muss ja nicht immer vollkommen positiv sein, was solch ein Schriftsteller treibt und wie er handelt. Aber auch davon habe ich erstaunliches lesen können:
- wie er mit seiner Homosexualität umgeht, zum Beispiel. "Nur gucken, nicht anfassen!" Diese diskrete Umgehensweise mit Trieben und Sehnsüchten: Daran hat er sich weitestgehend gehalten und damit Katia auch wirklich keinen Anlass für Bedenken gegeben. Oder erlabt Ihr Euren Männern/Frauen nicht mal den Blick auf eine Vertreterin/einen Vertreter des für den Partner schönen Geschlechts?
- seine Sorgen um die Kinder zwecks Visa und Nachzugsmöglichkeiten war doch bei der Schar des Nachwuchses ungemein intensiv und immerwährend. Ja, bei Klaus hat er irgendwann die Geduld verloren und ihn irgendwie aufgegeben. Aber Kinder werden eben auch irgendwann mal erwachsen und sollten auf eigenen Füßen stehen. Nur weil der Vater Geld und Einfluss hat, sollte man ihnen keine Carte blanche geben für alles Fehlverhallten etc.
- die tiefe Verwurzelung in seiner Lübecker Familie, die ihn bis zum Ende des Romans nicht loslässt.
Interessant fand ich vor allem auch: Thomas Mann als politisch sehr unstark gefestigten Bürgerlichen kennenzulernen. Seine Abneigung gegen die Nazis ist zweifellos. Aber wofür steht er dann eigentlich. Weder er selbst weiß es so genau noch seine Umwelt, zB die Amerikaner, die ihm mal ein erstes Amt im Staate zutrauen und antragen möchten, ihn dann aber wieder als politisch unzuverlässig fallen lassen. Die Klarheit seiner Kinder und seines Bruders, das ist etwas, was ihm fehlt und worunter er wohl auch leidet.
Also: zusammenfassend: Für mich nicht Nur ein guter Roman, sondern auch eine interessante Quelle zum Leben Thomas Manns. (immer bewusst, dass es hier Fiktion ist!)
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Zu Beginn hatte ich leise Zweifel, ob ich mit dem Buch klar kommen würde. Ich wollte schon immer mal ein Buch von Thomas Mann lesen, habe mich aber nicht herangetraut. Ich wusste dahernur das gängige über Thomas Mann, und war mir nicht sicher, ob dies ausreicht, um mich beim lesen wohlzufühlen. Ich sah mich schon ständig im Internet nach Hintergrundinformationen suchen. Doch diese Zweifel waren unbegründet, ich habe durch den Roman einen umfassenden Einblick in das Leben des “Zauberers " erhalten, der mir seine Werke, aber auch sein Leben näher gebracht hat. Colm Tóibin streute genug Wissen, um einen angenehmen Lesefluss herzustellen. Er schaffte es, dass ich mit Spannung weitergelesen habe.
ich bin froh bei dieser Leserunde mitgemacht zu haben, und werde sicher bald etwas von Thomas Mann lesen
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Bei mir stapeln sich jetzt: Buddenbrooks (Bestand aus dem Regal), und als Neuzugang: Der Zauberberg, Viktor Mann: Wir waren fünf, Erika und Klaus Mann: Escape to life Deutsche Kultur im Exil, auf dem Kindle lese ich zwischendurch in der Sammlung aller Werke von Klaus Mann, und Doktor Faustus steht auch auf meiner "Einkaufsliste". Bitte keine Bücher wie dieses mehr, das ist dramatisch für meine SUB! Mein kommendes Lesejahr wird, mit einigen Ausnahmen (Mai 2022 Sibylle Berg, RCE, das muss sein) der Klassik gewidmet sein und dem vorhandenen Ungelesenen :-D
Ich habe mir erstmal nur die Buddenbrooks besorgt, aber deine Auswahl reizt zum nachahmen. ;)