FAZIT zu "Der Ausflug"

Literaturhexle

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2. April 2017
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Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Wo sehr ihr seine Stärken und Schwächen? Bitte gebt ein spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Mein spontaner erster Ausruf nach dem Finale war: Alter!

Ich gebe zu, ich muss es näher erläutern. Ich habe einen Roman gelesen, der in meinen Augen einerseits erhebliche Schwächen aufweist, andererseits merkte ich, wie sehr er mich beschäftigte und auch - ihr habt es bemerkt -, dass ich kaum aufhören konnte zu lesen.

Dennoch bleibt insgesamt ein schaler Nachgeschmack: die Figuren sind zu eindimensional und schwach, die Dialoge ebenso unglaubwürdig wie die Handlung. Der Roman möchte die großen Fragen nach Schuld, Anstand und Moral stellen, scheitert aber daran, dass ich es ihm nicht abnehme, Antworten erhalten zu wollen. Vielmehr möchte er provozieren und zu einer Kontroversen anregen.

Auf der anderen Seite fand ich den Mittelteil von der Abfahrt beim Gasthof bis zum getöteten Strauß trotz der unsympathischen Viererbande äußerst intensiv und bedrohlich, die Atmosphäre sogar fast durchgehend gelungen.

Insgesamt überwiegt der Ärger, aber immerhin erzeugte er starke Reaktionen bei mir. Ich schwankte eigentlich permanent zwischen zwei und vier Sternen, weshalb ich mich wohl bei drei Sternen einpendeln werde.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
6.523
24.510
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Mein Fazit steht schon im letzten Abschnitt.
Ein Reißer, der auf mich unrealistisch wirkt, aber, wie Christian schon schreibt, mehr sein will. Große Fragen aufwirft, die bei mir, angesichts der unglaubwürdigen Story und der klischeehaften Figuren, verpufft.
Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich das Buch nicht gelesen.
Ja, man kann darüber diskutieren, ob so etwas möglich ist bei uns. Hoffentlich nicht.
Und darüber, wieviel Rassismus in jedem von uns steckt.
Und , wie würde man selbst entscheiden, sich opfern oder den Freund töten.
Da mich aber die Geschichte selbst nicht überzeugt hat, laufen die Fragen für mich hier ins Leere.
Nach dem Donovan die zweite Enttäuschung hier für mich. Umso schlimmer, da ich von beiden Autoren mehr erwartet habe.
Kein Buch, das ich empfehlen kann. Schade!
 

JoanStef

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5. Oktober 2020
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Bayern
Ich komme auch zum Anfang zurück:
Das Buch ist handwerklich, bzgl. Druck, Layout & Material gut.
Kommt man zum Inhaltlichen, ist mein Fazit & Gesamteindruck wirklich eher schlecht.
Ich hatte große Erwartungen, diese wurden nicht erfüllt. Als Diskussionsvorlage ist es für mich zu schwammig. Ich glaube, dass die Diskussion eher der zweifelhaft erzählten Geschichte gilt, als den zu suchenden Inhalten.
Ich kann RuLeka nur zustimmen. Ohne Leserunde hätte ich das Buch zur Seite gelegt.

Die zwischenzeitlichen Spannungsmomente konnten mich nicht "durchtragen.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
7.304
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Kurz und knackig fällt mein Fazit aus:

Was für ein misslungener "Ausflug". Sowohl der im Buch beschriebene als auch der Roman als solches. Verschwendete Lesezeit. Absolute Enttäuschung. Schade.

Habe ich nach "Haarmann" zu viel von Herrn Kurbjuweit erwartet? Scheinbar. Zum Glück war das Buch nicht länger.
Keine der Figuren konnte auch nur ansatzweise meine Sympathie erlangen; selbst die beruflich mir nahestehende Amalia hat mich nicht überzeugt. Der "Thriller"-Plot: dagegen ist ja selbst James Bond realistisch. Hanebüchen.

Nein, das Buch war nicht meins. Ich bin froh, dass es vorbei ist.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Genau! Provokation allein macht keine große Literatur aus.
Fernsehfilm - Niveau. Atmosphäre stimmt, der Rest ist Klischee.
Hätte er es bei einem Drehbuch gelassen! Ich versuche ja immer, für die Rezension zu schauen, für welchen Personenkreis ein Roman geeignet wäre. Mit fällt hier niemand ein. Die "Literaten" (also wir) erkennen die unrealistische Handlung, die platten Dialoge und eindimensionalen Charaktere auf den ersten Blick. "Spannungslesern" geht wahrscheinlich der moralische Anspruch zu weit, von Samenspende, Abtreibung, Moral, Rassismus, Schuld und Sühne, Genderia,.... alles dabei.
Das Buch taugt für die Filmindustrie. Vielleicht schreibe ich das erste Mal in meinem Leben eine 1-Stern-Rezension. Hilfe, @Wandablue !
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich versuche ja immer, für die Rezension zu schauen, für welchen Personenkreis ein Roman geeignet wäre. Mit fällt hier niemand ein.
Also mir schon: Genrelesern ohne Scheuklappen. Menschen, die im Genre Horror und Thriller nicht nur Fitzek, Tsokos und verkorkste Schweden-Ermittler lesen, sondern ein bisschen offener sind.

Das Problem ist, dass das Buch so aber nicht präsentiert wird. Auf der Rückseite steht etwas von "aufrüttelnder Gesellschaftsroman". Das ist ein Fehlschuss erster Güte. Aber in der Nische würde er in meinen Augen durchaus Fans finden.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ein Zusatz, der mir noch einfiel gerade, weil ich mich daran erinnerte. Bei unserer Abstimmung über die Bücher hieß es von Renie zu diesem Buch, Zitat:

Anmerkung: Ist uns vom Verlag, der unsere Leserunden verfolgt und weiß, wie wir ticken, wärmstens empfohlen worden

Hat da etwa jemand vom Verlag die Foren verwechselt? ;)
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Für mich war es ein wenig ein falsches Buch zur richtigen Zeit oder wie auch immer. Ich finde, die dörflichen Vollidioten benehmen sich genau wie gewisse Politiker, die mal eben unschuldige Menschen umbringen lassen. Da reicht mir die Wirklichkeit, das brauche ich im Buch nicht. Man denkt eigentlich, so eine Schlechtigkeit darf es nicht geben und dann kriegt man es jeden Tag im TV zu sehen.
Dabei sind die vier Freunde für mich in den Hintergrund getreten und ich habe mir nicht so viele Gedanken gemacht. Die Rückblenden fand ich garnicht so schlecht, dass erklärt einiges. Nicht so glaubhaft fand ich, dass es kein Netz gegeben haben soll und dass man da nicht irgendwie so lange nicht rausfindet, bis zwei tot sind.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich finde, die dörflichen Vollidioten benehmen sich genau wie gewisse Politiker,
Aber im Grunde haben die vier Freunde sich doch nur ein bisschen überheblich aufgeführt und hatten eben einen PoC dabei... Ansonsten war die Gruppe harmlos. Wenn den Hirnis da so schnell die Jagdinstinkte sprießen, müsste es da doch vor toten Touristen nur so wimmeln...

Aber mal ehrlich: Früher habe ich Tess Gerritsen vor und zurück gelesen. Ob ihre Romane so wirklich den Realitätstest bestehen, ich bin mir unsicher...
Ich darf nicht so hart urteilen;)
 

Renie

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19. Mai 2014
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12.562
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich brauchte ein bisschen Abstand zum Roman und zu Euren Beiträgen, weil ich hier eine ansteckende Gruppendynamik festgestellt habe, und ich mich nicht infizieren lassen wollte. ;)
Nachdem ich den Roman sacken ließ, stelle ich fest, dass mir die Geschichte gefallen hat.
Zugegeben, anfangs war ich irritiert, denn alles deutete auf einen Thriller hin. Doch nachdem ich festgestellt habe, dass der Roman eine andere Richtung einnimmt, als ich erwartet habe, habe ich mich von dem Gelesenen leiten lassen.
Rückblickend habe ich keinen Thriller gelesen (was dieser Roman auch nicht ist), sondern einen Text, der in die Richtung einer Parabel geht. Hier standen für mich ganz klar die moralischen Fragen im Vordergrund; Schauplatz, Charaktere und Handlungen waren nebensächlich und bildeten lediglich den Rahmen für den ethischen Aspekt.
Insofern nehme ich dem Autoren auch nicht die Gestaltung seiner Charaktere krumm. Sie dienen lediglich dazu, die moralischen Fragen zu transportieren. Durch die Erzählperspektive bekommt nur Amalia Tiefe, bedingt durch ihre Vorgeschichte, die sie in ihren Erinnerungen erzählt. Von den Anderen, inklusive den feindlichen Hillybillies, erfahren wir nicht viel bzw. gar nichts.
Die Hillybillies in Verbindung mit dem Schauplatz (eigentlich völlig egal, wo dieser ist) schaffen ein unwirkliches und unheilverkündendes Szenario; die Handlung entwickelt sich zu einem dramatischen Eklat. Das Ende bleibt allerdings offen.
Ich mag Bücher, die mich gedanklich fordern. Und das hat "Der Ausflug" definitiv. Denn ich kann mich nicht davon freisprechen, dass ich mir nicht ständig die Frage gestellt habe, wie ich in Situationen gehandelt hätte, in die die Protagonisten geraten sind bzw. welchen Standpunkt ich innerhalb der Diskussionen eingenommen hätte.

Also wird es von mir eine positive Bewertung geben.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Hier standen für mich ganz klar die moralischen Fragen im Vordergrund; Schauplatz, Charaktere und Handlungen waren nebensächlich und bildeten lediglich den Rahmen für den ethischen Aspekt.
Du hast meine Bewunderung, dass du dich darauf hast fokussieren können. Für mich sind die ernsthaften, nachdenkenswerten Passagen in der Flut von einfachsten Dialogen und wenig nachvollziehbarem Verhalten der Protas verloren gegangen. Die stärksten Szenen lagen in Amelias Vergangenheit, als sie versuchte, den tragischen Unfalltod ihres Freundes zu rekapitulieren. Die Dialoge mit dem Offizier hatten Kraft, alle anderen nicht. Sehr schade, ich hätte das Buch wirklich mögen wollen und ich habe auch keine Scheu, gegen den Strom zu schwimmen, was mir hier leider unmöglich war.
 

JoanStef

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5. Oktober 2020
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Bayern
Du hast meine Bewunderung, dass du dich darauf hast fokussieren können. Für mich sind die ernsthaften, nachdenkenswerten Passagen in der Flut von einfachsten Dialogen und wenig nachvollziehbarem Verhalten der Protas verloren gegangen. Die stärksten Szenen lagen in Amelias Vergangenheit, als sie versuchte, den tragischen Unfalltod ihres Freundes zu rekapitulieren. Die Dialoge mit dem Offizier hatten Kraft, alle anderen nicht. Sehr schade, ich hätte das Buch wirklich mögen wollen und ich habe auch keine Scheu, gegen den Strom zu schwimmen, was mir hier leider unmöglich war.
Ich kann Dir nur beipflichten. Diese Art der "Konfrontation" durch mangelhaft ausgeführte Puzzleteile einer über Jahre hinweg verlaufenden Geschichte, überreizt meinen Konfrontationswillem bei Weitem.
 

JoanStef

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5. Oktober 2020
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Ich für meinen Teil denke: wenn ich dieses Buch ohne LR gelesen hätte, wäre mein Fazit noch schlechter ausgefallen.
Die Fragen, die man sich während der Lektüre stellt, sind hier NICHT durch raffinierte Textpassagen hervorgerufen worden.
Gegenteilig wäre sicher zu bedenken, dass eine "Herausforderung" an unsere Denkprozesse, doch mehr eigeninitiert, als durch den Autoren erfolgten.
Ich habe mich kostant gefragt, warum so viele Themen angerissen, dann aber wieder allein stehen gelassen wurden?
Zeitweilig war ich nur noch verärgert.
Diese Art von Reizung brauche ich wirklich nicht.
Ich kann mir zwar alles Mögliche in diese Geschichte hinein denken, aber wohin führt diese Denke?
Fest steht: Ich war offen für dieses Buch.
Für eine Erzählung, von der ich auch keinen "Thriller", erwartet habe.
Aber, selbst nach meiner handwerklich guten Einschätzung, kann das Buch nicht viel meiner Symphatie binden.
Wenn ich das Buch für seinen VK Preis erworben hätte... Ich würde dem Verlag schreiben und meinen Unmut kundtun.
Natürlich kann es auch sein, dass ich diese Art Lektüre nicht verstehe oder erfasse?!
Schade.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Rückblickend habe ich keinen Thriller gelesen (was dieser Roman auch nicht ist), sondern einen Text, der in die Richtung einer Parabel geht. Hier standen für mich ganz klar die moralischen Fragen im Vordergrund;
Hm. Ich möchte gerne verstehen. Parabel: Bildebene - Sachebene.

Der Autor schickt die Freundesgruppe in Feindesland, wo böse Menschen etwas gegen den farbigen Josef haben. Jene spielen ein Spiel: Entweder ihr tötet euren Freund selbst, oder wir töten alle.
Das setzt eine Dynamik in Gang, in deren Verlauf jeder der Freunde zu mindestens einem Zeitpunkt illoyal wird. Gero haut schließlich ab und wird schauerlich zur Strafe hingerichtet , vorher noch die Fische als Symbol. Die Schlinge zieht sich immer enger...
Schließlich erschießt Bodo Josef und die Feinde ziehen ab.
Für mich ist das bis zum Schluss ein Thriller. Ich sehe nichts anderes. Keine Moral, nichts.

Offenes Ende. Ja, aber. Amalias Gedanken machen mir deutlich, dass sie den Freitod sucht. Diese Szene ist die einzige wesentliche Verbindung zu der ganzen Fabian-Geschichte. Warum wurde sie uns sonst erzählt?

Renie: Ich kann den doppelten Boden nicht sehen. Für mich ist alles völlig sichtbar. Natürlich kann man das als Appell für mehr Toleranz lesen. Doch diese "Freunde" stehen doch von Anfang an nicht füreinander ein. Sie bleiben mir komplett fremd. Selbst Amalia komme ich nur in ihrem Rückblick rund um den getöteten Freund nahe. Sonst gibt sie Platitüden von sich. Gewiss werden ihre geschichtlichen Diskurse Parallelen zur Handlung haben. Das hat mich aber ehrlich gesagt nicht mehr interessiert. Ich versuche immer, einem Buch etwas Positives abzugewinnen. Das ist mir hier aber sehr schwer gefallen.

Ich bin sehr neugierig auf deine Rezension! Vielleicht erleuchtet sie mich;)
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Denn ich kann mich nicht davon freisprechen, dass ich mir nicht ständig die Frage gestellt habe, wie ich in Situationen gehandelt hätte, in die die Protagonisten geraten sind bzw. welchen Standpunkt ich innerhalb der Diskussionen eingenommen hätte.
Ich glaube schon, das dieses Sich- Befragen eine der Intentionen von Dirk Kurbjuweit war. Doch die Situation kam mir so unrealistisch vor, dass sich ein ernsthaftes Befragen erübrigt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich habe hier ein Interview mit dem Auto zu seinem neuen Roman entdeckt.
„ im Rausch niedergeschrieben….“ ( zu viel von dem billigen Fusel aus dem Gasthof getrunken )
In langweiligen Stunden, während er auf Merkel warten musste, entwickelt.
Die Idee kam ihm in den 2010er Jahren, als es im Osten um solche No Go - Areas ging, war ursprünglich eine Kurzgeschichte, Verfilmung ist schon geplant…
Das erklärt, warum wir es auch nicht richtig zeitlich einordnen können. Manches wirkt wie aus vergangenen Zeiten, die Diskussionen und manche Begriffe sind heutig. Als Kurzgeschichte mag es noch angehen, aber ausgewalzt in einen Roman funktioniert es leider nicht mehr.
Das Gespräch ist sehr wohlwollend.
 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
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Danke, @RuLeka! Ich habe es gleich gehört. Angenehmer Mensch, der Autor, der sein Werk in keiner Weise überhöht. Vielleicht hätte er es als Kurzgeschichte belassen sollen. Auch die Moderatorin hat den Roman "in zwei Stunden" (das schaffe ich nie;)) gelesen, von großer Reflexion war keine Rede. Es wurde nur die Spannung betont, keine zweite Ebene erwähnt, das krasse Ende angerissen. Der Film ist in Arbeit, obwohl K. das nicht beabsichtigte.
Ich bin wieder beruhigt, habe doch wohl alles gesehen, nur der Zugang wollte sich nicht einstellen.